Wir wissen bereits seit dem Urteil des BAG vom 19. Februar 2019 (siehe unseren Blogbeitrag vom 15. August 2019), dass der Urlaub eines Arbeitnehmers in der Regel nicht am Ende des jeweiligen Kalenderjahres bzw. eines zulässigen Übertragungszeitraumes verfällt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht zuvor ordnungsgemäß und individuell auf den noch offenen Urlaubsanspruch sowie dessen Verfall hingewiesen hat. Das hat das BAG nun in einem neueren Urteil bestätigt (vom 22. Oktober 2019 – 9 AZR 98/19) und dies soll sogar dann gelten, wenn der Arbeitnehmer vertraglich dazu berechtigt ist, seinen Urlaub ganz ohne vorherige Beantragung und Genehmigung durch den Arbeitgeber zu nehmen. Die spannende Frage war darüber hinaus, über wie viele Jahre sich dieser Urlaubsanspruch eigentlich kumulieren kann oder ob es nicht doch eine zeitliche Grenze gibt.
Sachverhalt
Der Kläger war beim beklagten Verein als Geschäftsstellenleiter tätig und schied im Juli 2016 durch Eigenkündigung aus. Mit seiner Klage machte er noch die Abgeltung von Urlaub für die Jahre 2011 (5 Tage), 2012 und 2013 (jeweils 35 Tage) geltend. Den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs begründete er damit, er sei vom beklagten Arbeitgeber nicht auf den Verfall des Urlaubanspruchs hingewiesen worden, weswegen dieser nach wie vor bestünde. Dem entgegnete der Beklagte, der Urlaub sei spätestens 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres verfallen. Zudem hätte der Kläger auch ohne vorherige Genehmigung Urlaub nehmen können, weswegen es eines gesonderten Hinweises nicht bedurft hätte.
Entscheidung des BAG
Nach erstinstanzlicher Klageabweisung und Zurückweisung der Berufung des Klägers durch das LAG, hatte die Revision des Klägers beim BAG Erfolg. Der Urlaub des Klägers aus den Jahren 2011 bis 2013, sei, so das BAG, aufgrund richtlinienkonformer Auslegung von § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG mit der bisherigen Begründung des LAG nicht am Ende des Kalenderjahres bzw. eines zulässigen Übertragungszeitraumes verfallen. Der Arbeitgeber müsse den Arbeitnehmer zur Urlaubsnahme auffordern und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres verfällt, wenn er ihn nicht verlangt. Der Arbeitgeber sei hierbei in der Wahl seiner Mittel frei, solange diese zweckentsprechend seien. Dazu führt das BAG weiter aus, die Mittel müssten geeignet sein, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt oder nicht. Habe der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, trete der am Ende des Kalenderjahres nicht verfallene Urlaubsanspruch zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entstehe. Der Arbeitgeber könne das uneingeschränkte Kumulieren von Urlaubsansprüchen aus mehreren Jahren sodann noch dadurch vermeiden, dass er seine Mitwirkungsobliegenheiten für den Urlaub aus zurückliegenden Urlaubsjahren nachhole. Insoweit trage der Arbeitgeber fortwährend die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. An dieser ändere auch die Tatsache nichts, dass der Kläger vorliegend ohne vorherige Genehmigung durch den Beklagten seinen Urlaub nehmen durfte. Ob eine diesen Anforderungen entsprechende Aufforderung seitens des Arbeitgebers erfolgt sei, müsse noch durch die Vorinstanz aufgeklärt werden.
Schließlich seien die Urlaubstage auch nicht ohne weiteres 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres erloschen. Die Frage, ob eine Befristung des Urlaubsanspruchs bei unterlassener Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten zum Schutz eines überwiegenden Interesses des Arbeitgebers vor dem unbegrenzten Ansammeln von Urlaubsansprüchen geboten sein könne, ließ das BAG offen. Denn im vorliegenden Fall waren bereits keine Umstände ersichtlich, aufgrund derer ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers hätte angenommen werden können.
Offene Fragen und Praxistipps
Hand aufs Herz: Haben Arbeitgeber die BAG-Vorgaben zum individuellen, ordnungsgemäßen Hinweis auf offene Urlaubsansprüche und deren Verfall bereits im Unternehmen etabliert? Falls nein, sollte dies schleunigst nachgeholt werden. Einige Praxistipps können unserem Blogbeitrag vom 15. August 2019 entnommen werden. Konkretere Vorgaben, wie die Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt werden können, lassen sich der hiesigen Entscheidung wiederum nicht entnehmen. Fest dürfte aber stehen, dass allgemeine oder pauschale Hinweise im Arbeitsvertrag, Intranet oder gar durch Aushang im Betrieb nicht ausreichen. Ein weiteres Risiko für Arbeitgeber: Das BAG sieht die unbegrenzte Ansammlung von Urlaubsansprüchen grundsätzlich als zulässig an. Auf die Beantwortung der Frage, ob eine Befristung der Ansprüche im Einzelfall (zum Beispiel auf 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres entsprechend dem Verfall von Urlaubsansprüchen im Krankheitsfall) zum Schutz eines überwiegenden Arbeitgeberinteresses geboten sein kann, müssen wir weiter warten.