Mit der Einführung des Entgelttransparenzgesetzes („EntgTranspG“) im Jahr 2017 sollte der Weg für eine gleiche Bezahlung von Frauen und Männern geebnet und das in Artikel 157 Abs. 1 AEUV verankerte Gebot der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen umgesetzt werden. Um die Entgelttransparenz zu steigern, wurden darin maßgeblich zwei Regelungsinstrumente verankert: ein individueller Auskunftsanspruch der Beschäftigten in Bezug auf das Gehalt vergleichbarer Arbeitnehmergruppen und eine Berichtspflicht für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten.
Das klingt zunächst nach einem großen Wurf, doch die Zwischenbilanz nach drei Jahren EntgTranspG fällt schwach aus: Nur sehr wenige ArbeitnehmerInnen nutzen den Auskunftsanspruch, um zu erfahren, was KollegInnen auf vergleichbaren Positionen verdienen und so die eigene Verhandlungsposition zu stärken. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass die Geltendmachung des Anspruchs nur in Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten möglich ist und voraussetzt, dass die Vergleichsgruppe des anderen Geschlechts aus mindestens sechs Personen besteht. Der Anspruch führt also von vornherein nicht zu Entgelttransparenz in kleineren und mittleren Unternehmen und auf höheren Hierarchieebenen.
Größerer Kreis der Anspruchsberechtigten
Von allen rechtlichen Hürden unbeeindruckt, klagte eine für den ZDF tätige Fernseh-Journalistin zunächst vor dem ArbG (Az. 56 Ca 5356/15) und später vor dem LAG Berlin-Brandenburg (Az. 16 Sa 983/18), nachdem sie von der besseren Bezahlung eines männlichen und – mutmaßlich – vergleichbaren Kollegen erfahren hatte. Sie stützte den Auskunftsanspruch bezüglich des Gehalts ihrer männlichen Vergleichsgruppe zuletzt auf § 10 Abs. 1 EntgTranspG. Doch die Vorinstanzen verneinten einen Auskunftsanspruch u.a. mit Verweis darauf, dass die Klägerin als „feste Freie“ – eine Sonderform in der Medien- und Werbebranche – lediglich eine arbeitnehmerähnliche Beschäftigte sei. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG sind jedoch nur „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ berechtigt, die Auskunft zu verlangen.
Dieses Verständnis des § 5 Abs. 2 Nr. 1 EntgTranspG hat das BAG mit Urteil vom 25.6.2020 (8 AZR 145/19) nunmehr gegen den vermeintlich eindeutigen Wortlaut der Norm gekippt. Der Arbeitnehmerbegriff sei vielmehr unionsrechtskonform weit auszulegen und umfasse alle Arbeitsverhältnisse, im Rahmen derer „eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält.“ Das überzeugt methodisch, weil das EntgTranspG der Umsetzung der Richtlinie 2006/54/EG dient. Ein anderes Verständnis des § 5 Abs. 2 EntgTranspG würde zur Unionsrechtswidrigkeit der Norm führen.
Aufgrund der Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten wird die noch nicht im Volltext veröffentlichte Entscheidung jedoch bereits jetzt in der Fachpresse als „Grundsatzurteil“ bezeichnet. Doch welche Folgen hätte es, wenn tatsächlich vermehrt auch arbeitnehmerähnliche Selbstständige Auskunftsansprüche geltend machen würden?
Nach wie vor: ein zahnloser Tiger
Die kurze Antwort ist: in der Regel keine. Selbst wenn die Auskunft ergibt, dass der Anspruchsteller oder die Anspruchstellerin weniger als das höhere Durchschnittsgehalt (den „Median“) der Vergleichsgruppe bekommt, knüpfen daran keine unmittelbaren Rechtsfolgen. Das EntgTranspG enthält keine Sanktionen, sodass lediglich Ansprüche auf Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes („AGG“) in Betracht kommen. Hierfür muss eine Benachteiligung wegen des Geschlechts dargelegt werden. Nach der Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichte hat jedoch ein bloßer Gehaltsunterschied keine Indizwirkung i.S.d. § 22 AGG. Ein Schadensersatz- oder Entschädigungsanspruch nach § 15 AGG scheidet daher aus, wenn nicht noch weitere Umstände darauf schließen lassen, dass die schlechtere Bezahlung konkret auf das Geschlecht zurückzuführen ist.
Schließlich droht auch nur in begrenztem Maße eine Störung des Betriebsfriedens durch mehr Auskunftsansprüche, weil die interne Weitergabe der im Rahmen des Auskunftsverlangens erhaltenen Informationen gem. § 8 Abs. 2 EntgTranspG in den meisten Fällen untersagt ist.
Kein wirksamer Mechanismus zur Behebung der Entgeltlücke
Die Auswirkungen des BAG-Urteils dürften daher für die Praxis vorerst gering sein. Das könnte sich jedoch ändern, wenn die (nationale) Rechtsprechung zur fehlenden Indizwirkung eines höheren Medians gekippt wird. Die Klägerin hat bereits Verfassungsbeschwerde eingelegt, weil sie in der unterlassenen Vorlage an den EuGH einen Verstoß gegen das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter sieht. Sie trägt nach Pressemeldungen vor, die nationale Rechtsprechung zur fehlenden Indizwirkung von Gehaltsunterschieden sei europarechtswidrig.
Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens werden dadurch jedoch die erneut angestoßenen Fragen zur (Geschlechter-)Gleichheit nicht abschließend beantwortet. Hierfür braucht es andere Lösungen. Transparente Gehaltsstrukturen und die Förderung von unterrepräsentierten Beschäftigten auf allen Hierarchieebenen stellen unlängst wissenschaftlich nachweisbare und wirtschaftlich messbare Erfolgsfaktoren dar, die Unternehmen stärken – und im Übrigen auch talentierte BewerberInnen anziehen. Der Auskunftsanspruch des § 10 Abs. 1 EntgTranspG allein wird die hierfür notwendige Transformation der Arbeitswelt jedoch nicht vorantreiben.