Darf sich der Arbeitnehmer mit der Anzeige einer fortdauernden Erkrankung mehr Zeit lassen als bei der Ersterkrankung? Muss der Arbeitgeber sogar damit rechnen, dass ein häufig und länger kranker Arbeitnehmer automatisch weiter krank ist, auch wenn er sich nicht meldet? Mit diesen Fragen hat sich nun auch das BAG beschäftigt und klargestellt, dass der Arbeitgeber bei verspäteter Anzeige einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit zur Kündigung berechtigt sein kann.
Was war passiert?
Ein seit Juli 2016 durchgehend krankgeschriebener Arbeitnehmer verletzte wiederholt die Pflichten zur Anzeige seiner fortdauernden Arbeitsunfähigkeit und änderte sein Verhalten trotz wiederholter Abmahnung durch den Arbeitgeber nicht. Obwohl die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit an einem Freitag endete, meldete sich der Arbeitnehmer zunächst gar nicht, sondern hielt es für ausreichend, am darauffolgenden Montag beim Pförtner eine Folgearbeitsunfähigkeitsbescheinigung abzugeben, die seinen Vorgesetzten am Folgetag erreichte. Damit war für die Arbeitgeberin eine Grenze überschritten, die das Arbeitsverhältnis daraufhin kündigte. Nachdem das Arbeitsgericht Ulm der vom Arbeitnehmer erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben und auch das LAG Baden-Württemberg die Berufung der Arbeitgeberin zurückgewiesen hatte, musste letztlich das Bundesarbeitsgericht für Klarheit sorgen.
Problemstellung
Im Mittelpunkt der Entscheidung (BAG vom 7. Mai 2020 – 2 AZR 619/19) steht die Frage, ob auch die verspätete Anzeige einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen kann. Das BAG hatte dies bislang nur für die verspätete Anzeige der Ersterkrankung bestätigt. Das LAG Baden-Württemberg hatte die Auffassung vertreten, eine verspätete Anzeige sei für den Arbeitgeber weniger gravierend, da ihn das Nichterscheinen im Fall der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit nicht unvorbereitet treffe.
Entscheidung des BAG: Kündigung kann gerechtfertigt sein
Das BAG stellt klar, dass auch die schuldhafte Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Anzeige einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit eine verhaltensbedingte Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG rechtfertigten kann und verwies den Fall ans LAG Baden-Württemberg zurück. Gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG sind Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber ihre Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer mitzuteilen. Dies umfasse auch die Verpflichtung, eine über den ursprünglich mitgeteilten Zeitpunkt hinaus fortdauernde Arbeitsunfähigkeit unverzüglich zu melden. Denn die Anzeigepflicht soll den Arbeitgeber in die Lage versetzen, sich auf das Fehlen eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers möglichst früh einstellen zu können. Dieses Bedürfnis bestehe auch bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit unvermindert fort.
Daher müsse die Anzeige beim Arbeitgeber auch im Fall einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit unverzüglich erfolgen. Unverzüglich setze dabei nach der Legaldefinition in § 121 Abs. 1 S. 1 BGB voraus, dass nicht schuldhaft gezögert wird. Bedient sich der Arbeitnehmer eines Boten, trage er zudem das Risiko der rechtzeitigen und zutreffenden Übermittlung.
Das LAG Baden-Württemberg dürfte, falls es keinen neuen Sachvortrag gibt, in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis kommen, dass der Kläger bei der Anzeige seiner fortdauernden Erkrankung schuldhaft gezögert hat. Er hätte sich bei seinem Vorgesetzten (notfalls per Telefon oder E-Mail) am Montag persönlich melden können. Er trägt das Risiko für die rechtzeitige Übermittlung durch den Pförtner, der im Regelfall als Bote zu qualifizieren sein dürfte.
Im Hinblick auf die erforderliche Interessenabwägung führt das BAG aus, dass eine verspätete Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit den Arbeitgeber genauso gravierend treffen könne wie die verspätete Anzeige der erstmaligen Arbeitsunfähigkeit. Damit erteilt das BAG der vom LAG Baden-Württemberg in der Vorinstanz vertretenen Ansicht – zu Recht – deutlich eine Absage. Vielmehr dürfe der Arbeitgeber darauf vertrauen, dass die Arbeit nach Ende der angezeigten Arbeitsunfähigkeit wieder aufgenommen werde. Der Arbeitgeber müsse nicht damit rechnen, das Arbeitsvolumen auch weiterhin anderweitig auffangen zu müssen. Insbesondere gebe es auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach es eher unwahrscheinlich sei, dass ein Mitarbeiter nach einer langen Arbeitsunfähigkeit und einer Vielzahl von Folgekrankschreibungen „ohne anderslautende Verlautbarung“ den Dienst wieder antrete.
Im Rahmen der einzelfallbezogenen Interessenabwägung sei zudem weiter zu beachten, ob der Arbeitnehmer etwa für termingebundene Arbeiten eingeplant, durch andere Kollegen ersetzbar gewesen oder ob es zu betrieblichen Ablaufstörungen gekommen sei. Das LAG Baden-Württemberg muss hierzu im Rahmen der erneuten Entscheidung noch Feststellungen treffen.
Fazit:
Die Entscheidung ist zu begrüßen. Das BAG hat überzeugend klargestellt, dass Arbeitnehmer verpflichtet sind, dem Arbeitgeber auch eine fortdauernde Arbeitsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen und andernfalls mit dem Ausspruch einer Kündigung rechnen müssen. Denn während der Arbeitgeber und die Kollegen durch einen unvorhersehbar längeren Arbeitsausfall vor zusätzliche Herausforderungen gestellt werden, ist es dem Arbeitnehmer in den allermeisten Fällen ein Leichtes, seinen gesetzlichen Pflichten nachzukommen und dem Arbeitgeber seine fortdauernde Erkrankung (z.B. per E-Mail oder Telefon) anzuzeigen. Er darf nicht darauf vertrauen, seine Erkrankung habe bereits „lange genug“ angedauert, so dass es auf einen Tag mehr oder weniger nicht ankomme. Wer diese Spielregeln nicht befolgt, muss die daraus folgenden Konsequenzen bis hin zur Kündigung tragen.