Die Gesellschaftsform der Europäischen Aktiengesellschaft (lat. Societas Europaea – SE) eröffnet aufgrund des Vorrangs der Verhandlungslösung attraktive Gestaltungsspielräume hinsichtlich der Unternehmensmitbestimmung. Insbesondere können sich Firmenleitung und Arbeitnehmervertreter in der Beteiligungsvereinbarung über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Unternehmensorganen verständigen. Diese Autonomie der Parteien wird jedoch durch gesetzliche Regeln eingeschränkt. So ist im Fall einer durch Umwandlung gegründeten SE gesetzlich bestimmt, dass „in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung“ zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden muss, wie in der Ursprungsgesellschaft. Die Frage, ob zu den unabdingbaren Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung auch das ausschließliche Vorschlagsrecht für Gewerkschaftsvertreter fällt, hat nun das BAG beschäftigt.
Worum ging es?
Die Arbeitgeberin war ursprünglich eine deutsche Aktiengesellschaft (AG), für die das deutsche Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) galt. Danach war ein 16-köpfiger Aufsichtsrat zu bilden, der paritätisch mit Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer besetzt war. Zwei der Arbeitnehmer waren von Gewerkschaften vorgeschlagen und in einem von den übrigen Arbeitnehmervertretern separaten Wahlgang gewählt worden. Im Jahr 2014 wurde die Arbeitgeberin in eine SE umgewandelt. Sie verfügt derzeit über einen 18-köpfigen Aufsichtsrat, der ebenfalls paritätisch sowohl mit über Gewerkschaften gewählten Arbeitnehmern als auch mit auf der Grundlage von regulären Arbeitnehmerlisten gewählten Vertretern besetzt ist. Im Zuge der Umwandlung wurde eine Beteiligungsvereinbarung zwischen der Arbeitgeberin und dem besonderen Verhandlungsgremium geschlossen, wonach der bestehende 18-köpfige Aufsichtsrat auf zwölf Mitglieder verkleinert werden kann. Für einen solchen Fall ist den Gewerkschaften zwar ein Vorschlagsrecht für die Wahl der Arbeitnehmervertreter eingeräumt worden, aber es soll kein getrennter Wahlgang stattfinden. Hiergegen wehrten sich die Gewerkschaften, da ihrer Auffassung nach die Regelungen zur Bildung des verkleinerten Aufsichtsrats gegen das SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) verstoße. Den Gewerkschaften müsse auch nach Umwandlung in eine SE ein ausschließliches Vorschlagsrecht für eine bestimmte Anzahl von Sitzen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zustehen.
Streit über Reichweite von § 21 Abs. 6 SEBG
Nach § 21 Abs. 6 SEBG muss in der Beteiligungsvereinbarung im Fall einer durch Umwandlung gegründeten SE „in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung“ zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, wie in der Ursprungsgesellschaft. Dadurch wird die in § 21 Abs. 1 SEBG enthaltene Autonomie der Parteien eingegrenzt. Hintergrund dieser Regelung ist, dass sich bei Gründung einer SE durch Umwandlung, bei der sich die Identität der Belegschaft nicht verändert, ein strenger Bestandsschutz erforderlich ist, um eine „Flucht aus der Mitbestimmung“ zu verhindern. Unklar ist aber, ob sich die Schutzfunktion des § 21 Abs. 6 SEBG auch auf einzelne Komponenten der Mitbestimmung erstreckt, im vorliegenden Fall also auf das ausschließliche Vorschlagsrecht der Gewerkschaften im Sinne der §§ 7 Abs. 2, 16 MitbestG, mit der Folge, dass dieses zwingend Bestandteil einer Beteiligungsvereinbarung sein muss.
Die Entscheidung der Vorinstanzen
Die Vorinstanzen haben das Begehren der Gewerkschaften abgewiesen (LAG Baden-Württemberg vom 9.10.2018 – 19 TaBV 1/18 und ArbG Mannheim – Kammer Heidelberg – vom 7.12.2017 – 14 BV 13/16). Nach Ansicht das LAG Baden-Württemberg würden die Regelungen zur Bildung des verkleinerten Aufsichtsrats in der Beteiligungsvereinbarung nicht gegen § 21 Abs. 6 SEBG verstoßen. Bereits nach dem Wortlaut von § 21 Abs. 6 SEBG beziehe sich die Gewährleistung des Bestandsschutzes auf „alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung“ und nicht auf „alle Komponenten der Mitbestimmung“. Die „Arbeitnehmerbeteiligung“ sei als Oberbegriff zu verstehen und nicht als Mitbestimmung, welche nur eines der Verfahren der Arbeitnehmerbeteiligung darstelle. Dieses Verständnis stehe auch im Einklang mit der zugrundeliegenden europäischen Richtlinie (Richtlinie 2001/86/EG – SE-RL), welche in Art. 4 Abs. 4 eine § 21 Abs. 6 SEBG entsprechende Regelung enthalte. Der nationale Gesetzgeber habe es bei der Übernahme von Art. 4 Abs. 4 der SE-RL belassen und in § 21 Abs. 6 SEBG keinen Verweis auf eine Berücksichtigung von Gewerkschaften aufgenommen. Auch die Gesetzesentstehung, Systematik und Sinn und Zweck des SEBG sowie der SE-RL würden gegen eine extensive Auslegung sprechen.
BAG fragt den EuGH
Dieser Auffassung ist das BAG nicht gefolgt. Vielmehr würde § 21 Abs. 6 SEBG nach Ansicht des BAG vorgeben, dass in der Beteiligungsvereinbarung zur Mitbestimmung ein gesondertes Auswahlverfahren für von Gewerkschaften vorgeschlagene Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer zu gewährleisten sei. Ob dieses Verständnis des nationalen Rechts aber mit Art. 4 Abs. 4 der SE-RL vereinbar sei, müsse nun geklärt werden. Das BAG (Beschluss v. 18.8.2020 – 1 ABR 43/18 (A)) ersucht daher den EuGH um Vorabentscheidung, ob es mit europäischem Recht vereinbar ist, dass in der Beteiligungsvereinbarung ein gesondertes Auswahlverfahren für von Gewerkschaften vorgeschlagene Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer zu gewährleisten ist.
Fazit
Die Auffassung des BAG führt zu einer Sitzgarantie für Gewerkschaftsvertreter. Wie das BAG seine Auffassung begründet, bleibt abzuwarten. Bislang liegt insoweit nur die Pressemitteilung vor. Die Vorinstanz, das LAG Baden-Württemberg, hatte jedenfalls ausführlich anhand von Wortlaut, Gesetzesentstehung, Systematik und Sinn und Zweck herausgearbeitet, dass § 21 Abs. 6 SEBG zwar alle Komponenten der Arbeitnehmermitbestimmung schützt, hierunter aber nicht das gewerkschaftliche Vorschlagsrecht fällt. Abzuwarten bleibt daher, wie der EuGH die Frage entscheidet. Festgelegte Sitze für Gewerkschaftsvertreter in den Unternehmensorganen haben ihren Ursprung jedenfalls im deutschen Mitbestimmungsrecht; bei der SE haben sie keine Entsprechung.