Dauerbrenner Urlaubsrecht: Im vergangenen Jahr hat das Bundesarbeitsgericht – dem EuGH folgend – entschieden, dass Voraussetzung für das Eingreifen der besonderen urlaubsrechtlichen Verfallsvorschriften (§ 7 Abs. 3 BUrlG) ist, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt, den Urlaubsanspruch tatsächlich zu nehmen (vgl. im Einzelnen unsere Blog-Beiträge vom 15.08.2019 und 8.11.2018).
In nicht wenigen Fällen haben Arbeitgeber in der Vergangenheit die ihnen nach der neuen Rechtsprechung obliegenden Mitwirkungspflichten nicht erfüllt. Vielfach sind offene Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern daher am Ende des Bezugs- bzw. Übertragungszeitraumes entgegen der Erwartung der Unternehmen nicht verfallen.
„Rettungsanker“ Verjährung?
Die neue Rechtsprechung des BAG führt – darauf haben wir bereits frühzeitig hingewiesen – unweigerlich zu Fragen, die zuvor kaum praktische Relevanz hatten: Unterliegen Urlaubsansprüche nach deutschem Recht der Verjährung? Falls ja, steht dies im Einklang mit dem Europarecht?
Arbeitgeber, die ihre Mitwirkungsobliegenheiten in der Vergangenheit nicht erfüllt haben, werden geneigt sein, die Verjährung von Urlaubsansprüchen einzuwenden, soweit die dreijährige Regelverjährungsfrist nach § 195 BGB abgelaufen ist. Hierfür dürfte neben finanziellen Erwägungen oft auch ein praktisches Bedürfnis bestehen, da die Erfüllung von Urlaubsansprüchen aus ggf. weit zurückliegenden Bezugszeiträumen mitunter schwer nachzuweisen sein wird. Die Frage, ob die Verjährung von Urlaubsansprüchen möglich ist, wurde in der Vergangenheit in Rechtsprechung und Rechtsliteratur unterschiedlich beantwortet. Noch im letzten Jahr hatte das BAG diese Frage offen lassen können.
Worum geht es im aktuellen Fall?
In dem nun zu entscheidenden Fall war die Klägerin von Ende 1996 bis Mitte 2017 bei dem Beklagten beschäftigt. Mit der im Februar 2018 erhobenen Klage hat die Klägerin die Abgeltung von 101 Urlaubstagen – darunter zahlreiche aus der Zeit vor 2012 – verlangt. Im Verlauf des Prozesses hat der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben. Er hat geltend gemacht, für die Urlaubsansprüche, deren Abgeltung die Klägerin verlange, sei die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelaufen. Das BAG hat den EuGH um Vorabentscheidung über folgende Frage ersucht:
„Stehen Art. 7 RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union der Anwendung einer nationalen Regelung wie § 194 Abs. 1 iVm. § 195 BGB entgegen, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub einer regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren unterliegt, deren Lauf unter den in § 199 Abs. 1 BGB genannten Voraussetzungen mit dem Schluss des Urlaubsjahres beginnt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben?“
Was verrät die Vorlage an den EuGH?
Das BAG vertritt nunmehr offenbar die – zutreffende – Auffassung, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch nach nationalen Vorschriften der Verjährung unterliegt. Ansonsten hätte es der Vorlage an den EuGH nicht bedurft, weil die Vorlagefrage dann nicht entscheidungserheblich wäre. Damit verabschiedet sich das BAG endgültig von seiner alten Rechtsprechung aus dem Jahr 1995. Ebenso scheinen die Erfurter Richter einer Entscheidung des LAG München nicht zu folgen, wonach die Verjährung mangels Fälligkeit des Urlaubsanspruchs ohne entsprechende Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers überhaupt nicht mit Ablauf eines Kalenderjahres zu laufen beginne.
Wie wird der EuGH entscheiden?
Prognosen sind bekanntlich mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Wie schon auf diesem Blog berichtet, hat der EuGH in der Vergangenheit aber bereits Arbeitnehmern Urlaubsansprüche zuerkannt, die über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren angesammelt wurden. Die Richter hatten in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber bereits von der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers profitiert habe und durch einen Verfall der Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers unzulässig bereichert würde. In der Entscheidung vom 6.11.2018 hat der EuGH zudem maßgeblich darauf abgestellt, dass der Arbeitnehmer die schwächere Partei des Arbeitsvertrags sei und deswegen davon abgeschreckt sein könne, Urlaubsansprüche gegenüber seinem Arbeitgeber geltend zu machen. Rein tatsächlich spricht daher einiges dafür, dass der EuGH die Vorlagefrage dahingehend beantworten wird, nationale Verjährungsvorschriften dürften der Durchsetzbarkeit von Urlaubsansprüchen nicht entgegen gehalten werden.
Erhebliche Einwände gäbe es dennoch. So verliert der Urlaub, je weiter der Bezugszeitraum in die Ferne rückt, zunehmend seine Erholungsfunktion. Er kann dem auch nach dem EuGH so wichtigen Gesundheitsschutz nicht mehr dienen. Zudem ist nicht erkennbar, warum das den Verjährungsvorschriften zugrundeliegende Bedürfnis nach Rechtsfrieden im Bereich des Urlaubsrechts keine Geltung beanspruchen können soll. Es entspricht gerade dem Prinzip der Verjährung auch denjenigen, der sich – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – unrechtmäßig verhält, eines Tages vor der Inanspruchnahme durch den Gläubiger zu schützen. Vor diesem Hintergrund erscheint auch die nach deutschem Recht anzuwendende dreijährige Regelverjährungsfrist als angemessener Ausgleich der wechselseitigen Interessen.
Ausblick
Der Umgang mit offenen Urlaubsansprüchen steht spätestens seit der viel beachteten Entscheidung des EuGH vom 6.11.2018 (Max-Planck-Gesellschaft) bei vielen Arbeitgebern auf der Agenda. Die Reaktionen sind nach unserer Einschätzung allerdings ganz unterschiedlich ausgefallen. Während einige Unternehmen die Problematik proaktiv angegangen sind, zögern andere nach wie vor. Für letztere dürfte die Entscheidung des EuGH zur Verjährung von Urlaubsansprüchen ein erheblicher Faktor der künftigen Risikobewertung werden. Unserer Auffassung nach bietet sich jedoch gerade für die von der Corona-Pandemie stark betroffenen Unternehmen derzeit an, angesichts geringerer Arbeitsvolumina Resturlaubsansprüche abzubauen.