Der Beschluss des BAG vom 19. November 2019 (1 ABR 22/18), in dem sich das BAG (endlich) zu der Frage des Bestehens eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats hinsichtlich einer Mindestbesetzungsstärke für das Pflegepersonal in Krankenhäusern (mit potenziellen Auswirkungen auf diverse andere Branchen) äußern sollte, wurde mit Spannung erwartet. Doch so weit kam es nicht. Denn das BAG erachtete den entsprechenden Spruch der Einigungsstelle (einmal wieder) bereits unter formalen Gesichtspunkten als unwirksam. Die Einigungsstelle habe ihre Regelungskompetenz überschritten.
Streit der Betriebsparteien um eine Mindestpersonalbesetzung
In unserem Blog-Beitrag vom 7. Januar 2019 hatten wir bereits über die Vorentscheidung (LAG Schleswig-Holstein vom 25. April 2018 – 6 TaBV 21/17) berichtet. Den Sachverhalt fassen wir nachfolgend, soweit für hier erläuterte Fragen von Belang, nochmal kurz zusammen:
Nachdem es zwischen der Arbeitgeberin, die eine Spezialklinik betreibt, und dem Betriebsrat zu Auseinandersetzungen über die Frage einer Mindestbesetzung für das Pflegepersonal auf einzelnen Stationen gab, beschloss der Betriebsrat im Frühjahr 2013 die Einrichtung einer Einigungsstelle zum „Arbeits- und Gesundheitsschutz“ auf Grundlage des Mitbestimmungsrechts gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Später konkretisierte er dies dahingehend, eine „Mindestbesetzung in der Dienstplanung auf einzelnen Station“ anzustreben, wogegen sich die Arbeitgeberin stetig wehrte. Im weiteren Verlauf wurde der Regelungsgegenstand mehrfach verändert bzw. erweitert. Die Einigungsstelle sollte einerseits für die Vornahme einer Gefährdungsbeurteilung sowie andererseits für die sich daraus ergebenden Arbeitsschutzmaßnahmen zuständig sein. Außerdem schlossen die Beteiligten eine Betriebsvereinbarung ab, nach der ein Steuerungskreis für beides eingerichtet wurde.
Die von der Einigungsstelle eingeholten drei Gutachten zur Belastungs- und Gefährdungssituation des Pflegepersonals stellten u.a. fest, dass die physische und psychische Belastung eine kritische Grenze erreiche. Da weitere Verhandlungen keine Einigung erbrachten, endete die Einigungsstelle Ende 2016 durch Spruch. Mit diesem wurde – entgegen den Stimmen der Arbeitgeberseite – eine Betriebsvereinbarung verabschiedet, die eine Schichtbesetzung mit einer Mindestzahl von Pflegekräften für bestimmte Belegungssituationen vorschreibt.
Auf die Anfechtung durch die Arbeitgeberin hat die erste Instanz den Spruch noch gebilligt. Dagegen kam das LAG Schleswig-Holstein zu dem Ergebnis, dass der Betriebsrat über § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG keine Mindestbesetzung im Pflegedienst erzwingen könne, da es sich um einen Aspekt der (mitbestimmungsfreien) Personalbedarfsplanung handele. Das BAG erklärte den Spruch mangels hinreichender Bestimmtheit des Regelungsauftrages und damit mangels Spruchkompetenz der Einigungsstelle für unwirksam. Nachdem der Regelungsgegenstand inhaltlich mehrfach verändert worden sein, sei dieser letztlich nicht (mehr) auf den Gegenstand des Spruchs einer „Mindestbesetzung der Pflegekräfte“ zurückgeführt worden. Insoweit fehlte das notwendige Einverständnis der Arbeitgeberin, die die Einigungsstelle fortwährend in Bezug auf die Regelung einer Mindestbesetzung für unzuständig und eine solche auch nicht für erforderlich hielt. Zudem könne einer Einigungsstelle nicht – wie vorliegend geschehen – zeitgleich ein Auftrag zur Ausgestaltung/Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung sowie zur Festlegung der daraus folgenden Maßnahmen übertragen werden.
Bedeutung des Regelungsgegenstandes einer Einigungsstelle
Neben der Person des Vorsitzenden und der Anzahl der von den Betriebsparteien jeweils zu benennenden Beisitzer ist bei der Bildung einer Einigungsstelle deren Bestellungs- bzw. Einigungsgegenstand festzulegen. Dies erfolgt entweder einvernehmlich oder – soweit streitig – im Wege der gerichtlichen Einsetzung der Einigungsstelle. Der Regelungsgegenstand kann grundsätzlich weit gefasst und – nur im Einvernehmen beider Betriebsparteien – auch im Verlauf der Einigungsstelle geändert werden. Stets muss hinreichend klar sein, über welche konkreten Regelungsfragen die Einigungsstelle verhandeln – und später durch Spruch befinden – darf. So begrenzt der Regelungsgegenstand den Zuständigkeitsrahmen der Einigungsstelle: Zum einen darf sie keine (streitige) Regelung außerhalb dessen beschließen. Zum anderen muss sie eine abschließende Regelung treffen. Andernfalls kann dies im Zweifel zur Unwirksamkeit des gesamten Einigungsstellenspruchs führen (mit weitreichenden Konsequenzen).
In der Regel weniger problematisch ist die Festlegung des Regelungsbereichs z.B. bei einer Einigungsstelle zur Verhandlung eines Interessenausgleichs oder zum Abschluss eines Sozialplans. Problematisch kann dies hingegen bei den Mitbestimmungsrechten gemäß § 87 BetrVG sein, bei denen im Einzelfall sauber abzugrenzen ist, was genau der erzwingbaren Mitbestimmung unterliegt und daher konkreter Regelungsgegenstand der Einigungsstelle ist. So genügt es insbesondere nicht, ohne nähere Konkretisierung nur die gesetzliche Bezeichnung eines Mitbestimmungsrechtes als Regelungsgegenstand zu identifizieren (z.B. also nicht: „Arbeits- und Gesundheitsschutz“, da dieses Thema lediglich den Inhalt des Mitbestimmungsrechts wiedergibt).
Aufgabe der Betriebsparteien und des Vorsitzenden
Einigungsstellen können zeitaufwendig und kostspielig sein. Der Beschluss des BAG zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, den Regelungsgegenstand einer Einigungsstelle
1.) zu deren Beginn sorgsam festzulegen,
2.) ggfs. im Verlauf der Einigungsstelle unter Einbeziehung der jeweils anderen Betriebsparteien anzupassen,
3.) immer wieder auf die Einhaltung der von ihm vorgegebenen Grenzen zu überprüfen und
4.) eine abschließende Regelung in Bezug auf ihn zu treffen.
Diese Pflicht betrifft Arbeitgeberseite und Betriebsrat (und selbstverständlich den Vorsitzenden) gleichermaßen. Sollte es zu einer streitigen Entscheidung im Wege eines Spruchs kommen, unterliegt dieser einer Rechtskontrolle durch die Arbeitsgerichte.
Fazit
Die Entscheidung des BAG zeigt deutlich, dass der Regelungsgegenstand Dreh- und Angelpunkt einer Einigungsstelle ist. Nachlässigkeiten bei dessen Eingrenzung und Ausgestaltung können zum „Supergau“ einer Unwirksamkeit des Spruchs führen, verbunden mit der Folge, dass die ggf. kosten- und zeitintensive Einigungsstelle eine (langwierige) gerichtliche Auseinandersetzung nach sich zieht und „umsonst“ abgehalten wurde, d.h. im Zweifel nochmals von vorne anfangen muss.