Kurz vor dem Jahreswechsel wurde ein neuer Gesetzentwurf des Bundesarbeitsministeriums bekannt: Das sogenannte „Betriebsrätestärkungsgesetz“ soll die Gründung von Betriebsräten erleichtern und die Rechte von Betriebsräten stärken. Die meisten der geplanten Neuregelungen dürften die derzeit ohnehin angespannte Stimmung bei vielen Arbeitgebern nicht verbessern. Wir geben einen Überblick über die wesentlichen Regelungen und nehmen eine erste Bewertung vor.
Die „Highlights“ des Gesetzentwurfs
Der Gesetzentwurf sieht hauptsächlich Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) und des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) vor. Die wichtigsten Neuregelungen im Überblick:
- Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens: Der Anwendungsbereich des vereinfachten Betriebsrats-Wahlverfahrens (§ 14a BetrVG) wird erheblich erweitert. Das vereinfachte Verfahren ist künftig in Betrieben mit bis zu 100 (bisher: 50) Arbeitnehmern verpflichtend und in Betrieben mit bis zu 200 (bisher: 100) Arbeitnehmern freiwillig – d.h. nach Vereinbarung mit dem Arbeitgeber – möglich.
- Betriebsratssitzungen per Video- und Telefonkonferenz: Betriebsratssitzungen sollen auch in Zukunft grundsätzlich als Präsenzsitzungen stattfinden, was explizit im Gesetz festgeschrieben wird. Ausnahmsweise sollen aber auch Sitzungen per Video- und Telefonkonferenz unter bestimmten Voraussetzungen (u.a. Regelung in der Geschäftsordnung des Betriebsrats) möglich sein. Wir berichteten im April 2020 über die Chancen digitaler Betriebsratsarbeit.
- „Obligatorischer“ Sachverständiger für Informations- und Kommunikationstechnik: Der Gesetzentwurf sieht vor, dass künftig in allen Angelegenheiten, die technische Einrichtungen i.S.d. § 87 Absatz 1 Nr. 6 BetrVG betreffen, die Hinzuziehung eines Sachverständigen durch den Betriebsrat „als erforderlich gilt“.
- Erweiterung der Mitbestimmung bei der Berufsbildung: Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei der Berufsbildung werden erweitert. Die Neuregelung sieht vor, dass sich Arbeitgeber und Betriebsrat „auf Maßnahmen der Berufsbildung zu einigen haben“. Kommt eine Einigung nicht zustande, kann jede Seite die Einigungsstelle anrufen, die sodann „eine Einigung der Parteien zu versuchen“ hat.
- Neues Mitbestimmungsrecht zur mobilen Arbeit: Dem Betriebsrat wird ein neues, eigenständiges Mitbestimmungsrecht bei der „Ausgestaltung von mobiler Arbeit“ eingeräumt. Das Mitbestimmungsrecht soll in den Katalog der Mitbestimmungsrechte nach § 87 Absatz 1 BetrVG aufgenommen, also als erzwingbares Mitbestimmungsrecht ausgestaltet werden. Wir berichteten im Oktober 2020 über den Vorschlag zum „Mobile Arbeit Gesetz“ und die darin vorgesehene Mitbestimmung.
- Erweiterung des Kündigungsschutzes für Wahlinitiatoren und „Wahlvorbereiter“: Der Sonderkündigungsschutz für Initiatoren einer Betriebsratswahl wird erweitert. Er erstreckt sich künftig auf bis zu sechs (bisher: drei) Arbeitnehmer, die zu einer Betriebsratswahl einladen; außerdem ist eine Kündigung von Wahlinitiatoren künftig nur noch nach vorheriger Zustimmung des Arbeitsgerichts möglich. Neu eingeführt werden soll außerdem ein Sonderkündigungsschutz für Arbeitnehmer, die „Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats“ unternehmen und die „Absicht“ haben, einen Betriebsrat zu gründen; auch solche Arbeitnehmer sollen künftig nur noch außerordentlich und mit vorheriger Zustimmung des Arbeitsgerichts gekündigt werden können.
Erste Bewertung
Das geplante „Betriebsrätestärkungsgesetz“ dürfte – wenn es in der Fassung des derzeitigen Referenten-Entwurfs in Kraft tritt – einige Auswirkungen für die betriebliche Praxis haben.
Das vereinfachte Wahlverfahren wird durch die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Betriebe mit bis zu 200 Arbeitnehmern an praktischer Bedeutung gewinnen. Auch die Nutzung moderner Kommunikationsmittel im Rahmen der Betriebsverfassung dürfte (weiter) zunehmen, wenngleich die geplante Neuregelung zu Betriebsratssitzungen per Video- und Telefonkonferenz eher halbherzig und wie ein Versuch wirkt, den nicht mehr zu verhindernden Einzug moderner Technik auf das Nötigste zu begrenzen (die zum 30.6.2021 auslaufende „Corona-Übergangsregelung“ in § 129 BetrVG ging da schon deutlich weiter).
Ein „teurer Spaß“ für Arbeitgeber dürfte die Einführung des obligatorischen Technik-Sachverständigen und die Erweiterung der Mitbestimmungsrechte bei der Berufsbildung und mobilem Arbeiten werden. Die diesbezüglichen Regelungen sind nicht nur inhaltlich fragwürdig, sondern auch handwerklich schlecht gemacht, so dass innerbetriebliche und gerichtliche Streitigkeiten vorprogrammiert sind.
Dies gilt erst Recht für die vorgesehenen Regelungen zur Erweiterung des Sonderkündigungsschutzes für Wahlinitiatoren und „Wahlvorbereiter“. Insbesondere der geplante Schutz für „Wahlvorbereiter“ geht nicht nur weit über das gesetzgeberische Ziel der Erleichterung von Betriebsratswahlen hinaus, sondern lädt zu missbräuchlicher Nutzung geradezu sein. Denn der Sonderkündigungsschutz greift bereits dann ein, wenn ein Arbeitnehmer gesetzlich nicht näher konkretisierte „Vorbereitungshandlungen“ unternimmt und eine beglaubigte Erklärung abgegeben hat, wonach er die „Absicht“ habe, einen Betriebsrat zu errichten. Ab diesem Zeitpunkt kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer selbst bei schwersten Verfehlungen nur noch kündigen, wenn er zuvor ein arbeitsgerichtliches Verfahren – ggf. über mehrere Instanzen – erfolgreich durchgeführt hat. Ob die hiermit einhergehende massive Beschränkung des Kündigungsrechts nach § 626 BGB noch sachlich gerechtfertigt ist, erscheint zumindest zweifelhaft.
Fazit und Ausblick
Das geplante „Betriebsrätestärkungsgesetz“ enthält eine Vielzahl von Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage. Insbesondere die Regelungen zur Erweiterung der Mitbestimmung und des Sonderkündigungsschutzes sind dabei wenig überzeugend. Allerdings sind sie auch im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen. Es ist daher davon auszugehen, dass der Entwurf im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch Federn lassen wird.