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Matrixstruktur: Deutscher Arbeitnehmer mit internationaler Rolle klagt gegen Kündigung

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Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) hatte in einer jüngst veröffentlichten Entscheidung vom 26. August 2020 über den Fall eines Chief Commercial Officer zu entscheiden. Dieser war bei der deutschen Tochtergesellschaft eines US-Konzerns angestellt und zuständig für die weltweiten Marketing- und Vertriebsaktivitäten des Konzerns. Im Rechtsstreit ging es unter anderem um die Frage, inwieweit er in den deutschen Betrieb eingegliedert war, und ob die deutsche Gesellschaft verpflichtet gewesen wäre, ihm vor Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung den freien Arbeitsplatz eines Controllers anzubieten.

Matrixstrukturen sind seit vielen Jahren eine beliebte Organisationsform in deutschen und internationalen Konzernen. Im Kern geht es darum, dass das fachliche und das disziplinarische Weisungsrecht auseinander fallen. So könnte beispielsweise ein deutscher Mitarbeiter disziplinarisch dem Chief Financial Officer (CFO) der deutschen Gesellschaft unterstehen, fachlich aber Weisungen vom Leiter der Sparte „Medizinprodukte“ erhalten. Diese Lösung der Weisungsrechte von der klassischen Betriebs- und Unternehmensstruktur führt zu einer Vielzahl von Fragen im Kündigungsschutz- und Betriebsverfassungsrecht. Im vorliegenden Fall (Hessisches LAG, Urteil vom 26.08.2020 – 2 Sa 119/20) war der Kläger fachlich und weitgehend auch disziplinarisch dem Präsidenten und Chief Executive Officer (CEO) der Muttergesellschaft unterstellt.

Der Fall

Als Chief Commercial Officer (CCO) war der Kläger seit 2015 zuständig für die weltweiten Marketing- und Vertriebsaktivitäten des Konzerns. Fachlich berichteten an ihn die Lokal Sales Manager der 15 weltweit verteilten Produktions- und Vertriebsgesellschaften. Dazu gehörte auch der deutsche Sales Manager inklusive eines dreiköpfigen Teams von Verkaufsmitarbeitern sowie einer Assistentin. Das deutsche Team war dem Kläger auch disziplinarisch jedenfalls insoweit unterstellt, als er für Spesenabrechnungen und Urlaubsanträge sowie Zielvereinbarungsgespräche zuständig war. Seine eigenen Urlaubswünsche stimmte er mit dem CEO der Muttergesellschaft ab. Mehr als 1/3 seiner Arbeitstage verbrachte er auf Dienstreisen. Im Übrigen nahm er seine Tätigkeit im Wesentlichen in den Räumen der Beklagten, gelegentlich auch im Homeoffice wahr. Unstreitig wurde jedenfalls ein Teil seiner bei der deutschen Tochtergesellschaft anfallenden Gehaltskosten bei einem Jahreszielgehalt von zuletzt EUR 312.500,00 der Muttergesellschaft in Rechnung gestellt.

Nach dem Vortrag der Beklagten entfiel der Beschäftigungsbedarf an der Position des Klägers, nachdem die Muttergesellschaft entschieden hatte, die Position des CCO zu streichen. Für die zeitgleich ausgeschriebenen Stellen als Produktionscontroller oder als European Finance Director sei der 1968 geborene Kläger, so die Beklagte, allein aufgrund der im Studium erworbenen Grundkenntnisse nicht geeignet.

Entscheidung des Gerichts

Auch wenn es im Falle des Klägers an den hierfür typischen Weisungen des Vertragsarbeitgebers fehlt, liegt ein Arbeitsverhältnis vor. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers kann im Wege der Stellvertretung auch durch Dritte ausgeübt werden, hier also durch den CEO der Muttergesellschaft.

  • Eingliederung in den Betrieb der Beklagten

Das Gericht folgt der Auffassung des Klägers, dass dieser in den Betrieb der Beklagten eingegliedert ist und somit in einen Betrieb, in dem unstreitig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt sind (so dass der Kündigungsschutz auf sein Arbeitsverhältnis Anwendung findet). Für das Gericht waren hierbei die ausschlaggebenden Kriterien, dass der Kläger zur Ausübung seiner Tätigkeit materielle Betriebsmittel der Beklagten inklusive seines im Betrieb eingerichteten Büros nutzte. Ihm stand eine Assistentin zur Seite. Seine Krankheits- und Urlaubstage wurden von der deutschen Personalabteilung verbucht. In seiner Rolle als Vorgesetzter hat er sich überdies mit der Personalabteilung zu Themen wie „Personaleinsatz“ und „Resturlaubsständen“ abgestimmt. Die umfangreichen Dienstreisen seien unerheblich. Die Eingliederung in einen Betrieb setze keine Mindestanwesenheitszeit voraus (so das Hessische LAG unter Hinweis auf eine Entscheidung des LAG Düsseldorf, Beschluss vom 20.12.2017 – 12 TaBV 66/17, Rz. 45). In der Matrixstruktur sei es zudem möglich, den Arbeitnehmer sowohl dem Betrieb des Vertragsarbeitgebers wie auch demm Betrieb der steuernden Einheit zuzuordnen.

  • Weiterbeschäftigung auf freien Arbeitsplätzen des Arbeitgebers

Während der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs in der Entscheidung nicht weiter thematisiert wurde, wurde der Beklagten zum Verhängnis, dass der Kläger als studierter Betriebswirt für die zeitgleich mit seiner Kündigung ausgeschriebenen Stellen als Produktionscontroller und als European Finance Director nicht gänzlich ungeeignet war. Die Beklagte hatte versäumt, in der von ihr zur Gerichtsakte gereichten Stellenbeschreibung ausreichend zu verdeutlichen, welche fachlichen Vorkenntnisse, welchen Studienschwerpunkt und wie viele Jahre einschlägiger mehrjährige Berufserfahrung sie für die offenen Stellen als erforderlich angesehen hatte.

  • Weiterbeschäftigung auf freien Arbeitsplätzen im Konzern, ggf. im Ausland

Da die Beklagte bereits an den inländischen freien Arbeitsplätzen gescheitert war, kam es auf die Frage nicht an, ob es darüber hinaus freie Arbeitsplätze in anderen Konzerngesellschaften gegeben hätte. Dies ist in Matrixstrukturen angesichts der durch das Homeoffice verschwimmenden Ländergrenzen eine zunehmend häufig geführte Diskussion. Voraussetzungen für eine solche Weiterbeschäftigungsmöglichkeit sind neben einer Konzernversetzungsklausel im Arbeitsvertrag die Durchsetzbarkeit dieser Weiterbeschäftigung durch den Vertragsarbeitgeber oder eine selbst bindende Verpflichtung des aufnehmenden Konzernunternehmens, vgl. BAG, 18.10.2012 – 6 AZR 41/11, Rz. 53 ff.

Fazit

Was hätte die Beklagte anders machen können? Der Arbeitsvertrag war auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers mit der deutschen Gesellschaft abgeschlossen worden. Eine Eingliederung in den deutschen Betrieb hätte nur dann verhindert werden können, wenn der Kläger keinerlei materielle oder personelle Betriebsmittel der Beklagten genutzt hätte und auch sonst in keiner Weise in den Betrieb eingegliedert gewesen wäre. Eine konkreter zugeschnittene Stellenbeschreibung für die offenen Arbeitsplätze beim Vertragsarbeitgeber wäre sinnvoll gewesen. Ob das BAG der Entscheidung des Hessischen LAG in der Revision (Az. 9 AZR 447/20) folgt, bleibt abzuwarten.

Dr. Jessica Jacobi 

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Partner
Dr. Jessica Jacobi ist seit 2003 Partnerin der Sozietät. Gemeinsam mit ihrem Team berät sie nationale und internationale Arbeitgeber in allen Fragen des deutschen Arbeitsrechts, wie z.B. bei der Reorganisation von Unternehmen, bei Massenentlassungen und in schwierigen Individualstreitigkeiten inklusive interner Ermittlungen. Sie ist ein aktives Mitglied der International Practice Group für Data Privacy bei unserem internationalen Kanzleinetzwerk Ius Laboris und berät häufig z.B. bei der Einführung neuer technischer Systeme und deren Verhandlung mit dem Betriebsrat, bei Auskunftsansprüchen von Arbeitnehmern nach Art. 15 DS-GVO und bei internationalen Datenübertragungen. Sie ist Autorin einer Vielzahl von Veröffentlichungen und tritt regelmäßig als Referentin auf. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "Datenschutz".
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