Nicht zuletzt aufgrund der Änderungen im Datenschutzrecht und dem Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) ist in jüngerer Zeit wieder Bewegung in die Rechtsprechung zum Einsichtnahmerecht des Betriebsrats in Gehaltslisten gekommen (vgl. hierzu unsere Blogbeiträge vom 20. November 2019 und 3. August 2020). In seiner Entscheidung vom 29. September 2020 – 1 ABR 32/19 hatte das BAG nun Gelegenheit klarzustellen, dass sich an dem bisherigen Verständnis der Einsichtnahme auch angesichts Gehaltslisten in digitaler Form und des EntgTranspG nichts geändert hat.
Was ist der Ausgangspunkt?
§ 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG. Nach dem 1. Halbsatz der Norm sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen; Halbsatz 2 der Norm regelt, dass der Betriebsausschuss oder – in kleineren Betrieben – der Betriebsratsvorsitzende oder ein anderes Betriebsratsmitglied berechtigt sind, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen. Einblicknehmen bedeutet dabei nach ständiger Rechtsprechung eine Vorlage der Gehaltslisten zum Zwecke Einsicht und keine Aushändigung.
Worum ging es in der Entscheidung?
Unter Hinweis auf das Entgelttransparenzgesetz, seine Förderaufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, sonstigen betriebsverfassungsrechtlichen Überwachungspflichten und das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verlangte der Betriebsrat die dauerhafte Überlassung der Gehaltslisten für einen Zeitraum von Juni 2018 bis November 2018.
Die Entscheidung des BAG
Das BAG erteilte dem nicht nur vorübergehenden Zugriffsrecht auf die Gehaltslisten für den begehrten Zeitraum eine Absage.
Dabei machte es zum einen deutlich, dass das Einsichtnahmerecht mit gegenwärtigen oder zukunftsbezogenen betriebsverfassungsrechtlichen Überwachungs- und Förderungsaufgaben und Mitbestimmungsrechten korrespondiert. Der Betriebsrat konnte vorliegend nicht darlegen, weshalb die Einsichtnahme in zum Zeitpunkt der Einleitung des erstinstanzlichen Beschlussverfahrens bereits größtenteils abgeschlossenen Zeitraum gleichwohl zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlich gewesen ist.
Weiter führte das Gericht aus, dass der Wortlaut von § 80 Abs. 2 S. 2 Halbsatz 2 BetrVG – anders als Halbsatz 1 der Norm – einen Anspruch auf Einblicknahme in Gehaltslisten gebe, nicht jedoch auf deren Zurverfügungstellung. Der Wortlaut trage verfassungs- und datenschutzrechtlicher Anforderungen Rechnung. Auch folge weder aus dem Einblicksrecht des § 13 Abs. 3 S. 1 EntgTranspG noch aus dem entgeltlistenbezogenen Einsichts- und Auswertungsrecht von § 13 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG ein Anspruch des Betriebsrats auf dauerhafte Überlassung von Gehaltslisten. Diese Rechte sind an die Zuständigkeit des Betriebsrats für die Beantwortung individueller Auskunftsverlangen nach § 10 Abs. 1 EntgTranspG gebunden (vgl. hierzu unseren Blogbeitrag vom 3. August 2020). Hierzu hatte der Betriebsrat vorliegend ohnehin nichts vorgetragen. Darüber habe sich der Gesetzgeber bei der Formulierung von § 13 Abs. 2 S. 1 bzw. § 13 Abs. 3 S. 1 EntgTranspG ersichtlich am Wortlaut des § 80 Abs. 2 S. 2 BetrVG orientiert und sich der Formulierung eines „Zur-Verfügung-Stellens“ enthalten.
Fazit
Die Entscheidung des BAG ist uneingeschränkt zu begrüßen, schafft sie doch weiter Klarheit im Umgang mit den Einsichtnahmerechten von Betriebsausschuss bzw. Betriebsrat. Ebenfalls am 29. September 2020 hatte das BAG zudem entschieden, dass auch eine regelmäßige monatliche Einsichtnahme in Gehaltslisten nicht ohne weiteres erforderlich ist (1 ABR 23/19).
Unklar ist, ob und inwieweit die Rechtsprechung des BAG zur Art und Weise der Durchführung der Einsichtnahme in Gehaltslisten ggf. einer Anpassung erfährt. So hatte das BAG bereits in den 1970er und 1980er Jahren entschieden, dass der Betriebsrat berechtigt ist, sich Notizen zu machen, jedoch keine Abschriften oder Fotokopien der vorgelegten Gehaltslisten verlangen kann – dies würde schließlich einer dauerhaften Überlassung und damit Aushändigung gleichkommen. Wie diese richtige, weil differenzierende Betrachtungsweise in das „Zeitalter der Digitalisierung“, in dem Gehaltslisten in der Regel elektronisch geführt werden und es andere technische Mittel zur dauerhaften Wiedergabe als Fotokopien gibt, übertragen wird, bleibt abzuwarten.