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Zurück in den Job mit betrieblichem Eingliederungsmanagement: Nicht erzwingbar, aber ratsam

Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, soll der Arbeitgeber gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann, klären. Diese Verpflichtung des Arbeitgebers, bei Vorliegen der Voraussetzungen ein sog. betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen, stellt zwar keinen klagbaren Anspruch des Arbeitnehmers dar, so jedenfalls kürzlich das LAG Nürnberg im Urteil vom 8. Oktober 2020 (5 Sa 117/20). Dennoch kann es für Arbeitgeber u. U. ratsam sein, ein BEM bei Vorliegen der Voraussetzungen durchzuführen.

Hintergrund

Das BEM ist eine präventive Aufgabe des Arbeitgebers, gesetzlich verankert in § 167 Abs. 2 SGB IX. Dadurch soll einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen möglichst frühzeitig vorgebeugt und es soll die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden. Der genaue Inhalt eines BEM ist vom Gesetzgeber nicht festgelegt worden, vielmehr handelt es sich um einen verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozess. Umstritten ist, ob der betroffene Arbeitnehmer eine Einleitung oder gar die Durchführung des BEM-Verfahrens selbst einklagen kann.

Der Fall beim Arbeitsgericht Würzburg und LAG Nürnberg

Diese Frage stand kürzlich erneut zur Entscheidung an: Der mit einem Grad der Behinderung von 30 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Kläger ist bei einer Gemeinde seit dem Jahr 2000 beschäftigt. Zuletzt wurde der Kläger auf dem von der Gemeinde betriebenen Campingplatz eingesetzt. In den Jahren 2018 und 2019 war er mehrfach erkrankt, zuletzt in der Zeit vom 1.1.2019 bis 25.8.2019 an 86 Tagen. Im August 2018 forderte er deshalb die Durchführung eines BEM. Sein Antrag wurde jedoch von der Gemeinde abgelehnt. Der Kläger erhob daraufhin am 23.9.2019 Klage beim Arbeitsgericht Würzburg unter Verweis auf einen Anspruch auf Durchführung des BEM gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX und obsiegte. Laut Arbeitsgericht Würzburg (Urteil v. 28.1.2020 – 2 Ca 1068/19) ergebe sich der Anspruch zwar nicht direkt aus § 167 Abs. 2 SGB IX, wohl aber aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB i. V. m. § 167 Abs. 2 SGB IX.

Mit ihrer gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegten Berufung beim LAG Nürnberg hatte die Gemeinde Erfolg. Anders als das Arbeitsgericht meint das LAG: Ein klagbarer Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung – oder auch nur Einleitung – eines BEM ergebe sich weder aus § 167 Abs. 2 SGB IX noch aus § 241 Abs. 2 BGB. Zwar folge aus § 167 Abs. 2 SGB IX eine Rechtsverpflichtung des Arbeitgebers, allerdings seien in der Norm selbst keine Rechtsfolgen vorgesehen, wenn der Arbeitgeber seiner Verpflichtung nicht nachkommt. Einen ausdrücklichen Anspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung eines BEM habe der Gesetzgeber gerade nicht vorgesehen. Ein einklagbarer Anspruch des Arbeitnehmers könne daher auch nicht aus der Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB abgeleitet werden; denn dies würde der Wertung des Gesetzgebers zuwiderlaufen.

Einordnung der Entscheidung und Ausblick

Die Entscheidung des LAG Nürnberg ist zu begrüßen und der weitere Verfahrensgang bleibt spannend. Denn gegen die Entscheidung des LAG wurde Revision zum BAG eingelegt (9 AZR 571/20). Zudem hatte – anders als nun das LAG Nürnberg – in 2014 das LAG Hamm (13.11.2014 – 15 Sa 979/14) noch entschieden, Beschäftigte hätten einen klagbaren Individualanspruch gegen ihren Arbeitgeber auf Durchführung des BEM.

Praxistipp

Allerdings sind Arbeitgeber dennoch gut beraten, bei Vorliegen der Voraussetzungen ein BEM auch durchzuführen. Denn nach bisheriger Rechtsprechung bleibt eine Missachtung der Verpflichtung aus § 167 Abs. 2 SGB IX nicht in jedem Fall folgenlos. Vielmehr können Beschäftigte eine Pflichtverletzung oder ein Unterlassen des Arbeitgebers u. U. im Rahmen von Kündigungsschutzverfahren oder beim Streit über den Inhalt des Weisungsrechts des Arbeitgebers erfolgreich thematisieren. Wegen der Verschiebung der Darlegungs- und Beweislast wird ein Arbeitgeber ohne vorheriges BEM insbesondere kaum erfolgreich krankheitsbedingt kündigen können (vgl. weiterführend u. a. unseren Beitrag vom 19.3.2019).

Dr. Daniela Quink-Hamdan 

Rechtsanwältin
Fach­an­wäl­tin für Arbeitsrecht
Counsel
Daniela Quink-Hamdan berät Arbeitgeber vor allem zu Umstruk­tu­rie­run­gen sowie zu Fragen des Betriebs­ver­fas­sungs- und Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­rechts. Im Rahmen der Pro­zess­ver­tre­tung bringt sie ihre Erfah­run­gen als ehemalige Richterin in der Arbeits­ge­richts­bar­keit ein. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "Arbeitszeit und Arbeitszeiterfassung".
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