Wie lassen sich die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen ausgleichen? Der Gender Pay Gap ist von einer abstrakten Problembeschreibung zu einer konkreten Handlungsanweisung geworden, ihn zu eliminieren. Durch die neue Institutsvergütungsverordnung gibt es nun auch in der Finanzbranche Handlungsbedarf.
Die allgemeine Diskussion um geschlechtsspezifische Vergütungsunterschiede erhielt rund um den erst wenige Wochen zurückliegenden Equal Pay Day am 10. März 2021 große mediale Aufmerksamkeit. Doch dem Grundsatz „Equal Pay“ wird nicht nur von zahlreichen Medien und Interessenvertreter*innen eine wichtige Bedeutung beigemessen, die Europäische Kommission etwa versucht diesem mit einem Richtlinienvorschlag zu begegnen, wie unser Blogbeitrag vom 29. April zeigt. In der Finanzbranche wird Equal Pay künftig eine wichtige Rolle spielen: Die vierte Version der Institutsvergütungsverordnung (IVV 4.0) schreibt nun die Gewährleistung eines geschlechtsneutralen Vergütungssystems verpflichtend vor. Wir erklären, was Institute künftig bei der Gestaltung ihrer Vergütungssysteme zu beachten haben.
Die IVV und ihre Hintergründe
Die IVV beruht auf europarechtlichen Vorgaben und ist ursprünglich als Reaktion auf die weltweite Finanzkrise entstanden. Sie beinhaltet bankaufsichtsrechtliche Mindestanforderungen für die Vergütungssysteme von deutschen Finanzinstituten, um Gefahren für die Gesamtwirtschaft durch riskante Spekulationen zu minimieren.
Der Blickwinkel hat sich seit der Finanzkrise erweitert. Der europäische Richtliniengeber fasst nun auch die Geschlechtergerechtigkeit ins Auge. Art. 74 Abs. 1 Unterabs. 2 und Art. 92 Abs. 2 Lit. aa) der Eigenkapitalrichtlinie, auch Capital Requirements Directive (CRD IV) genannt, schreiben vor, dass Vergütungspolitik und -praxis geschlechtsneutral sein müssen. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 65 CRD IV ist hiermit der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit gemeint.
Pflicht zur geschlechtsneutralen Ausgestaltung von Vergütungssystemen
Zur Umsetzung dieser und anderer vergütungsbezogener Vorgaben hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) am 12. November 2020 ihren Entwurf zur mittlerweile vierten Novelle der IVV veröffentlicht. Künftig soll es in § 5 Abs. 1 Nr. 6 IVV heißen: „Die Vergütungssysteme sind angemessen ausgestaltet, wenn sie geschlechtsneutral sind, so dass eine Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts ausgeschlossen ist.“ Bereits seit dem 29. Dezember 2020 gilt zudem nach § 25d Abs. 5 S. 1 KWG n.F., dass die Vergütungspolitik und -praxis für Mitglieder des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans von Finanzinstituten geschlechtsneutral sein muss.
Damit gilt der Grundsatz der geschlechtsneutralen Vergütung, der für Arbeitnehmer*innen bereits nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Entgelttransparenzgesetz besteht, bald auch für Geschäftsführer*innen und Vorstände von Instituten. Die Vergütungsgleichheit zwischen Männern und Frauen wird damit für Banken und Finanzinstitute zu einem aufsichtsrechtlich vorgegebenen Muss.
Job Architecture und systematischer Ansatz zur Stellenbewertung
Vor dem Hintergrund dieser Gesetzes- und Verordnungsänderung sollten Banken und andere Finanzinstitute ihre Vergütungsstrukturen kritisch prüfen und Regelungen überdenken, die Arbeitnehmer*innen potentiell aufgrund ihres Geschlechts diskriminieren (können) oder aufgrund ihrer nicht neutralen Formulierung zumindest den Eindruck einer Benachteiligung erwecken. Zur Sicherstellung einer geschlechtsneutralen Vergütung kann beispielsweise der Einsatz einer formellen Job Architecture und eines systematischen Ansatzes zur Stellenbewertung eingeführt werden. Hierdurch können Institute einheitliche, geschlechtsneutrale Vergütungsmodelle aufbauen und sicherstellen, dass ihr Stellenbewertungssystem nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts führen kann. Zudem sollten Vergütungsgrundsätze Überprüfungsmechanismen zur Einhaltung des Equal Pay Grundsatzes sowie deren Dokumentation vorschreiben.
Umsetzung notwendiger Änderungen bestehender Vergütungssysteme
Falls Institute bezüglich ihrer bestehenden Vergütungssysteme Änderungsnotwendigkeiten erkennen, sollten sie eine Anpassung bei nächster Gelegenheit ins Auge fassen. Tritt die IVV 4.0 in Kraft, gilt sie ohne Übergangsfrist unmittelbar. Nach § 14 IVV trifft Institute dann die Pflicht, im Rahmen des rechtlich Zulässigen auf die Anpassung bestehender Verträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen oder betrieblicher Übungen hinzuwirken.
Probleme auf kollektivrechtlicher Ebene
Die Umsetzung einer notwendigen Anpassung bereits bestehender Systeme kann auf vielfältige Art und Weise erfolgen und hängt vom spezifischen „Setting“ des jeweiligen Instituts ab. Ist ein Vergütungssystem – wie es überwiegend der Fall sein dürfte – in einer Betriebsvereinbarung geregelt, ist grundsätzlich das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beachten. Lediglich dann, wenn gesetzliche Vorgaben spiegelbildlich umgesetzt werden, ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aufgrund des Gesetzesvorbehalts des § 87 Abs. 1 S. 1 BetrVG ausgeschlossen. Geht man davon aus, dass den Vorgaben der IVV bei der Gestaltung von Vergütungssystemen exakt entsprochen werden muss, könnte – soweit diese Vorgaben reichen – mangels eines Spielraumes der Institute bei der Umsetzung auch kein Raum mehr für ein Mitbestimmungsrecht bleiben. Denn auch wenn die IVV kein formelles Gesetz darstellt, besteht nach dem Zweck des Gesetzesvorbehalts in § 87 Abs. 1 S. 1 BetrVG für ein Mitbestimmungsrecht dann kein Bedürfnis, wenn Arbeitgeber*innen hinsichtlich eines Regelungsgegenstandes keinen Entscheidungsspielraum haben. Zumindest bei solchen Vereinbarungen, die über den Regelungsgehalt der IVV hinausgehen und/oder einen gewissen Ermessensspielraum eröffnen, ist die Mitbestimmung des Betriebsrats aber in jedem Fall zu berücksichtigen.
Sollte zur Umsetzung der IVV die Kündigung einer bereits bestehenden Betriebsvereinbarung erforderlich sein, kann unter Umständen die Nachwirkung zu Problemen führen. Ähnliche gelagerte Probleme können zudem auftreten, wenn ein tariflich geregeltes Vergütungssystem geändert werden soll, da auch bei einem Austritt des Arbeitgebers oder nach Kündigung des Tarifvertrags dessen Inhalt zunächst nachwirkt, bis eine neue Vereinbarung, z. B. in Form eines Haustarifvertrags, einer Betriebsvereinbarung oder individualvertraglicher Regelungen, getroffen ist. Eine Einigung mit Betriebsrat oder Gewerkschaft auf ein neues Vergütungssystem ist zur Anpassung eines bereits bestehenden tariflich geregelten Vergütungssystems daher entscheidend.
Probleme auf individualrechtlicher Ebene
Ungeachtet der Umsetzungsprobleme im kollektivrechtlichen Bereich kann auf individualvertraglicher Ebene eine Änderung oder Anpassung bei Verträgen oder betrieblichen Übungen notwendig sein. Hier sind unterschiedliche Handlungsinstrumente denkbar, die indes allesamt mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sind. Einer einvernehmlichen Änderungsvereinbarung werden Arbeitnehmer*innen bei bestehenden Ungleichheiten nicht zustimmen, wenn keine Anpassung „nach oben“ erfolgt, sondern die Anpassung ggf. nachteilig ist. In Betracht kommt dann der Ausspruch einer Änderungskündigung, an die das BAG allerdings extrem hohe Maßstäbe anlegt, wenn eine Entgeltreduzierung Inhalt der Änderung ist. Alternativ kommt zur Anpassung bestehender Vereinbarungen der Abschluss von Betriebsvereinbarungen als Gestaltungsinstrument in Betracht, wenn die bestehenden Arbeitsverträge betriebsvereinbarungsoffen gestaltet sind. Nach der Rechtsprechung des BAG besteht diese Möglichkeit zwar nicht nur, wenn der Arbeitsvertrag die Betriebsvereinbarungsoffenheit ausdrücklich regelt, sondern auch im Fall der konkludenten Betriebsvereinbarungsoffenheit. Da die Anforderungen an die konkludente Vereinbarung einer Betriebsvereinbarungsoffenheit bisher aber nicht abschließend geklärt sind, können rechtliche Risiken bestehen, ob eine nicht ausschließlich zugunsten der Arbeitnehmer*innen wirkende Betriebsvereinbarung tatsächlich für alle Arbeitnehmer*innen Geltung entfalten kann.
Fazit
Angesichts der zahlreichen Herausforderungen, die sich auf kollektiv- aber auch individualrechtlicher Ebene bei der Umsetzung der neuen Vorgaben zur geschlechtsneutralen Vergütung ergeben, ist es ratsam, dass Institute sich bereits jetzt mit der Prüfung ihrer bestehenden Vergütungsregelungen befassen. Nur so kann eine schnelle Reaktion erfolgen und eine Konformität mit der IVV 4.0 erreicht werden.