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Vorsicht bei Prozessvergleichen und möglicher Urlaubsabgeltung

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Wird die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit einem gerichtlichen Vergleich vereinbart, besteht zwischen den Parteien häufig Uneinigkeit bei der Frage, ob die Urlaubsabgeltung im Vergleich abschließend geregelt wurde. Das LAG Schleswig-Holstein hat in seiner Entscheidung vom 9. Juni 2021 klargestellt, dass die Vereinbarung einer ordnungsgemäßen Abrechnung einen unerwähnten Urlaubsabgeltungsanspruch nicht erfasst. Unter eine geregelte allgemeine Ausgleichsquittung falle ein Urlaubsabgeltungsanspruch hingegen schon.

Bei der Gestaltung von Vergleichen ist besondere Vorsicht im Zusammenhang mit Urlaubsabgeltungsansprüchen gemäß § 7 Abs. 4 BurlG geboten. Sofern ein Arbeitnehmer auf Urlaubsabgeltungsansprüche verzichten möchte, kann dies nur nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wirksam erfolgen. Vor der Beendigung kann ein solcher Verzicht nur über einen Tatsachenvergleich erreicht werden, indem sich die Parteien darauf einigen, dass Urlaub „in Natura gewährt worden“ oder „Urlaub tatsächlich genommen worden ist“. Mit der Frage, ob nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Ausgleichsquittung Urlaubsabgeltungsansprüche erfasst und ob eine vereinbarte „ordnungsmäßige Abrechnung“ dazu führt, dass ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung weiterhin besteht, hat sich das LAG Schleswig-Holstein intensiv auseinandergesetzt (3 Sa 82/21).

Der Sachverhalt

Die Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist zum 30.6.2020 gekündigt. Über die Wirksamkeit der Kündigungen wurde vor dem Arbeitsgericht gestritten. Im Rahmen dieses Rechtsstreits einigten sich die Parteien am 3.7.2020 auf einen Widerrufsvergleich, der neben der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.6.2020 u.a. die Zahlung einer Abfindung, eine ordnungsgemäße Abrechnung für den Monat Juni und die Vereinbarung einer Ausgleichsquittung vorsah. Wörtlich wurden die ordnungsgemäße Abrechnung und die Ausgleichsquittung wie folgt vereinbart:

„(…) 4. Die Beklagte erteilt dem Kläger eine ordnungsmäßige Abrechnung für den Monat Juni 2020 unter Berücksichtigung der Arbeitsunfähigkeit des Klägers auf der Grundlage einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 3.200,00 EUR und zahlt den sich daraus ergebenden Betrag an den Kläger – soweit noch nicht geschehen. Dabei erklärt die Beklagte, dass sie insoweit keinen Gegenanspruch gegenüber dem Kläger geltend mache. (…)

7. Mit Erfüllung dieses Vergleichs sind alle gegenseitigen Ansprüche zwischen den Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und solche Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, erledigt. Mit diesem Vergleich ist dieser Rechtsstreit erledigt. (…)“

Nachdem der Vergleich mangels Widerrufs wirksam geworden war, wandte sich der Kläger an die Beklagte und machte Urlaubsabgeltungsansprüche geltend. Er meinte, die Beklagte sei zur Abgeltung von 7,5 Urlaubstagen für 2020 verpflichtet, da sie gemäß Ziffer 4 des Vergleiches eine ordnungsgemäße Abrechnung für den Monat Juni 2020 auf der Grundlage seiner Bruttomonatsvergütung und entsprechende Zahlung schulde. Die Urlaubsabgeltung sei Teil der Vergütung des Klägers für den Monat Juni 2020. Aus dem Vergleich ergebe sich nicht, dass der Kläger auf seine Urlaubsabgeltung verzichtet habe. Die Beklagte war der Ansicht, ein etwaiger Urlaubsanspruch des Klägers habe sich mit der rechtswirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.6.2020 in einen Urlaubsabgeltungs- und damit in einen Zahlungsanspruch umgewandelt. Ein solcher Zahlungsanspruch sei durch die zwischen den Parteien vereinbarte Ausgleichsquittung erledigt worden. Nach Ziffer 4 des Vergleichs bezöge sich die ordnungsgemäße Abrechnung nur auf das noch ausstehende Gehalt des Monats Juni 2020. Damit seien weitere Zahlungsansprüche wie eine etwaige Abgeltung von Urlaubsansprüchen gerade exkludiert.

Der Kläger machte den Urlaubsabgeltungsanspruch vor dem Arbeitsgericht geltend. Dieses folgte den Argumenten der Beklagten und wies den Anspruch ab. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Berufung ein.

Die Entscheidung

Das LAG Schleswig-Holstein hielt die Berufung für unbegründet und folgte den Argumenten des Arbeitsgerichts. Es sah den geltend gemachten Urlaubsabgeltungsanspruch gemäß Ziffer 7 des geschlossenen Vergleichs als erloschen an.

Der Abgeltungsanspruch entstehe mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und dem Wegfall des Abgeltungsverbots. Die Parteien hätten sich mit Prozessvergleich darauf verständigt, dass ihr Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30.06.2020 geendet habe. Sie hätten damit auch die Rechtswirkung des § 7 KSchG herbeigeführt. Daher sei der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers bereits mit Ablauf des 30.06.2020 entstanden. Er konnte daher als bereits entstandene Forderung von der in Ziffer 7 des Vergleichs vereinbarten Ausgleichsquittung objektiv bereits erfasst werden. Dies ergebe die Auslegung: Ausgleichsklauseln in einem gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich seien im Interesse klarer Verhältnisse grundsätzlich weit auszulegen.

Durch eine Ausgleichsklausel im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wollten die Parteien in der Regel das Arbeitsverhältnis abschließend bereinigen und alle Ansprüche erledigen, gleichgültig, ob sie an diese dachten oder nicht. Entgegen der Ansicht des Klägers könne der nicht im Wortlaut des Vergleiches erwähnte Urlaubsabgeltungsanspruch auch nicht in die geschuldete ordnungsgemäße Abrechnung des Bruttomonatsgehalts für Juni hineininterpretiert werden. Hierfür gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Ein Bruttomonatsgehalt, wie es unter Ziffer 4 des Vergleichs in Bezug genommen wird, sei zweifelsfrei und eindeutig das „Gehalt“ für den angesprochenen Monat, ein Urlaubsabgeltungsanspruch sei ein völlig anderer Streitgegenstand.

Fazit

Die Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein zeigt, dass bei der Vereinbarung von Prozessvergleichen und deren Formulierung stets besondere Vorsicht geboten ist. Dies gilt insbesondere, sofern der Arbeitnehmer noch über Urlaub verfügt, der abzugelten wäre. Auch wenn das erkennende Gericht im vorliegenden Fall davon ausgeht, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch von der Ausgleichsquittung erfasst wird, ist bei Zweifeln über einen möglichen Abgeltungsanspruch, ein Tatsachenvergleich vorzugswürdig.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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