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Diskriminierungsrecht: Vorsicht bei Kinderzuschlägen in Sozialplänen und Freiwilligenprogrammen

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Wenn ein Arbeitsplatz abgebaut werden muss, gibt es meist Zuschläge für diejenigen, die durch den Wegfall besonders betroffen sind. Das Kriterium „Lohnsteuerabszugsmerkmal Kinderfreibetrag“ ist nun kürzlich von einem Gericht als mittelbar diskriminierend gegenüber Frauen eingestuft worden. Was sich dadurch ändert, zeigt dieser Blogbeitrag.

Häufig werden in Sozialplänen und Freiwilligenprogrammen zusätzlich zur Grundabfindung noch Zuschläge für Mitarbeiter vereinbart, die besonders durch den Wegfall des Arbeitsplatzes betroffen sind.  Üblich sind: Schwerbehinderung, Kinder, sonstige Unterhaltsverpflichtungen. Da der Arbeitgeber meist nicht weiß, ob diese Kriterien erfüllt sind, behelfen sich die Betriebsparteien oft mit formalen Nachweisen wie z.B. der Lohnsteuerabzugsberechtigung bei Unterhaltspflichten. Dies könnte in Zukunft nicht mehr ohne weiteres zulässig sein. Das LAG Hessen hat entschieden, dass das Kriterium „Lohnsteuerabzugsmerkmal Kinderfreibetrag“ mittelbar Frauen diskriminiert und diese Diskriminierung nicht gerechtfertigt ist.

 Hintergrund der Entscheidung

Es ging um ein Freiwilligenprogramm, bei dem Mitarbeiter auf Basis von Aufhebungsverträgen aus dem Unternehmen ausscheiden konnten. Hierzu wurde eine freiwillige Betriebsvereinbarung geschlossen, die eine Abfindung vorsah. Weiter enthielt sie folgende Regelung:

Die Abfindung aus der vorstehenden Ziffer 1 erhöht sich bei den Arbeitnehmern (…)

  1. d) um EUR 5.000 pro Kind, das am Stichtag (Abschluss dieses Sozialplans) auf der Lohnsteuerkarte eingetragen ist; dieser Betrag wird auch gezahlt, wenn das Kind nur zu 0,5 auf der Lohnsteuerkarte eingetragen ist.

Geklagt auf Erhöhung der Abfindung um 10.000 Euro hatte eine Mitarbeiterin mit zwei Kindern, die nicht berücksichtigt wurden. Da Sie die Lohnsteuerklasse V gewählt hatte, bestand nach § 38b Abs. 2 EStG keine Möglichkeit, ihre beiden Kinder bei den Steuermerkmalen zu berücksichtigen.

Die Entscheidung des LAG Hessen

Während die Vorinstanz die Klage abgewiesen hatte (…), sprach das LAG Hessen der Mitarbeiterin die erhöhte Abfindung zu (LAG Hessen, Urteil v. 28.10.2020 –            18 Sa 22/20). Zunächst einmal legte es die Regelung allerdings aus, denn Lohnsteuerkarten gibt es seit Einführung von ELStAM nicht mehr. Es sei gemeint, so das LAG Hessen, das „Lohnsteuerabzugsmerkmal Kinderfreibetrag“.

Das Gericht hatte ermittelt, dass die Lohnsteuerklasse V vor allem von Frauen gewählt wird. Dies beruhe darauf, dass sich Ehepaare häufig noch für die Lohnsteuerklassenkombination III/V entscheiden, wenn erhebliche Unterschiede in der Höhe des Bruttoerwerbseinkommens bestehen und meist Frauen, auch wegen Teilzeitarbeit, gegenüber einem Ehemann das geringere Einkommen erzielen. Die Möglichkeit, die Steuerklassen IV/IV mit Faktor zu wählen – so ein Gegenargument des Arbeitgebers – sei hingegen nicht sehr bekannt. Damit sei das Kriterium „Lohnsteuerabzugsmerkmal Kinderfreibetrag“ mittelbar diskriminierend i.S.v. § 1 AGG.

Die Argumente des Arbeitgebers würden diese Diskriminierung auch nicht rechtfertigen. Zwar sei es legitim, dass ein Sozialplanvolumen durch die Wahl bestimmter, einschränkender Kriterien begrenzt werde und auch die Notwendigkeit einer Kalkulierbarkeit des Budgets im Vorfeld sei anerkennenswert. Im Falle eines Freiwilligenprogrammes sei aber eine abschließende Schätzung ohnehin nicht möglich und auch das Argument der Praktikabilität trage nicht, da anderweitige Nachweise möglich seien. De facto könne mit dieser Regelung auch nicht das – legitime – Ziel erfüllt werden, alle MitarbeiterInnen mit faktischen Unterhaltspflichten finanziell zu unterstützen.

Die Konsequenz dieser ungerechtfertigten Diskriminierung war die „Anpassung nach oben“. Die Mitarbeiterin erhielt also den Aufstockungsbetrag, den sie ohne die diskriminierende Regelung erhalten hätte.

Fazit und Praxishinweise

Das LAG Hessen hat die Revision zugelassen, die Entscheidung ist also noch nicht rechtskräftig. Es wich mit seiner Auffassung möglicherweise von der Auffassung des BAG ab. Denn dieses hatte in zwei Fällen zumindest im Ergebnis  anders entschieden. In einem ging es um die Berücksichtigung von Kindern für die Sozialauswahl nach § 125 InsO. Hier anerkannte das BAG (BAG, Urteil vom 28.06.2012 – 6 AZR 682/10) das Abstellen ausschließlich auf die in der Lohnsteuerkarte eingetragenen Unterhaltspflichten weil alles andere einen zu großen Nachforschungsaufwand für den Insolvenzverwalter mit sich brächte. Auch in einer Entscheidung aus dem Jahr 1997 akzeptierte das BAG ein ausschließliches Abstellen auf die Lohnsteuerkarte und begründete dies mit der notwendigen Planbarkeit der finanziellen Belastungen (BAG, Urteil vom 12.03.1997 – 10 AZR 648/96). Allerdings hatte in beiden Fällen keine Mitarbeiterin geklagt und sich auf Diskriminierung berufen und es ging auch nicht um ein Freiwilligenprogramm.

Die Betriebsparteien sollten zukünftig darauf achten, dass in Betriebsvereinbarungen zu Freiwilligenprogrammen und auch in Sozialplänen die Unterhaltsverpflichtungen nicht nur aufgrund der elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmale berücksichtigt werden, sondern die Mitarbeiter auch anderweitige geeignete Nachweise erbringen können. Hier bietet sich bspw. der Kindergeldbescheid an. Zwar aufwändig, aber die sicherste Methode um Streitigkeiten im Nachgang auszuschließen ist es, im Vorfeld die Unterhaltsverpflichtungen bereits abzufragen. Dies ermöglicht dann zudem eine geeignete Schätzungsgrundlage für das finanzielle Budget des Arbeitgebers.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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