Beim Abschluss eines Aufhebungsvertrags muss das Gebot fairen Verhandelns beachtet werden. Wird dieses Gebot verletzt, ist der Aufhebungsvertrag unwirksam. Eine Verletzung liegt aber nur in „Extremfällen“ vor. So jedenfalls das LAG Hamm in einer kürzlich ergangenen Entscheidung.
Das BAG hat für das Gebot fairen Verhandelns beim Abschluss von Aufhebungsverträgen einige Grundsätze entwickelt, an denen konkrete Situationen im Einzelfall zu messen sind. Über die hierzu ergangene Grundsatzentscheidung des BAG hatten wir bereits in unserem Blog berichtet. Auch das LAG Hamm hatte sich kürzlich mit den vom BAG aufgestellten Grundsätzen zur Beachtung des Gebots fairen Verhandelns beim Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu beschäftigen: Es kam zu dem Ergebnis, dass in dem zugrundeliegenden Fall noch kein nach dem Prüfungsmaßstab des BAG anzuerkennender Extremfall vorlag, der einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns nach sich zieht (Urteil v. 17.5.2021 – 18 Sa 1124/20).
Worum ging es?
Die Klägerin war als Teamkoordinatorin des Verkaufs bei der Beklagten beschäftigt. Sie wurde während der Arbeitszeit zu einem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Beklagten in dessen Büro gebeten. An diesem Gespräch nahm auch der Anwalt der Beklagten teilt. Der Klägerin wurde vorgeworfen, unberechtigt im EDV-System der Beklagten gespeicherte Einkaufspreise für Waren manipuliert und Waren zu einem unangemessen niedrigen Preis veräußert zu haben. Vor diesem Hintergrund wurde ihr ein bereits vorbereiteter Aufhebungsvertrag vorgelegt, der eine Beendigung zum Ende des Monats aus betrieblichen Gründen vorsah. Diesen Aufhebungsvertrag unterzeichnete die Klägerin noch während des Gesprächs.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Klägerin vor dem Zustandekommen des Aufhebungsvertrags im Laufe des Gesprächs eine fristlose Kündigung und eine Strafanzeige in Aussicht gestellt wurde, falls sie sich weigere, den Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen. Eine Woche nach Unterzeichnung ließ die Klägerin den Aufhebungsvertrag von ihrem Anwalt anfechten. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin. Mit ihrer Klage wandte sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit des Aufhebungsvertrags und der Kündigung. Das ArbG Paderborn hat der Klage nach Beweiserhebung stattgegeben. Die Klägerin sei widerrechtlich durch Drohungen zur Unterschrift veranlasst worden und es liege ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns vor.
Grundsätze des BAG zum Gebot fairen Verhandelns
Wie bereits in unserem Blog berichtet, handelt es sich bei dem Gebot fairen Verhandelns um eine aus dem Arbeitsverhältnis resultierende Nebenpflicht zur angemessenen Berücksichtigung der Interessen des Vertragspartners (§ 241 Abs. 2 BGB). Das BAG nimmt einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns an, wenn die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird. Es bewertet eine Verhandlungssituation dann als unfair, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht. Dies kann durch die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken, geschehen. Denkbar ist nach dem BAG auch die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse. Auch die Nutzung eines Überraschungsmoments im Sinne einer Überrumpelung kann nach dem BAG die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners beeinträchtigen. Dagegen ist eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit noch nicht gegeben, wenn der eine Auflösungsvereinbarung anstrebende Arbeitgeber lediglich weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktrittsrecht einräumt. Auch eine Ankündigung des Unterbreitens einer Aufhebungsvereinbarung ist nicht erforderlich (BAG v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18).
Entscheidung des LAG Hamm
In der Entscheidung des LAG Hamm hatte die Berufung der Beklagten Erfolg. Nach Auffassung des LAG Hamm ist der Aufhebungsvertrag wirksam zustande gekommen. Weder seien Formvorschriften verletzt noch sei der Aufhebungsvertrag aufgrund der Anfechtung als nichtig anzusehen. Der Klägerin stünde kein Anfechtungsrecht zu. Insbesondere sei die Klägerin nicht widerrechtlich durch Drohung zum Abschluss des Aufhebungsvertrags bestimmt worden. Auch ein verständiger Arbeitgeber hätte bei einem solchen Sachverhalt, bei dem hinreichende Anhaltspunkte für schwerwiegende Pflichtverletzungen vorlagen, den Ausspruch einer fristlosen Kündigung und Erstattung einer Strafanzeige in Betracht ziehen dürfen. Eine Inadäquanz zwischen dem eingesetzten Mittel (Drohung mit Kündigung und Strafanzeige) und dem erstrebten Zweck (Abschluss des Aufhebungsvertrags) liege nicht vor.
Kein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns
Der Aufhebungsvertrag sei auch nicht deshalb unwirksam, weil er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen sei. Eine Gesamtbewertung der Umstände ergebe, dass die Grenzen fairen Verhandelns nicht überschritten wurden. Dabei sei zu beachten, dass nach dem Prüfungsmaßstab des BAG das Gebot fairen Verhandelns nur in „Extremfällen“ verletzt werde. Es sei grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass der Arbeitgeber versuche, das Arbeitsverhältnis durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages zu beenden, um das Risiko eines Kündigungsschutzprozesses zu vermeiden. Im Rahmen der Vertragsverhandlungen sei er nicht darauf beschränkt, das Einverständnis des Arbeitnehmers durch das Angebot einer Abfindungszahlung „abzukaufen“. Er dürfe vielmehr jedes Argument anführen, dass aus seiner Sicht für den Abschluss des Aufhebungsvertrages spreche. Auch wenn die Beklagte im vorliegenden Fall den Aufhebungsvertrag durch (nicht widerrechtliche) Drohungen, durch die Unterbreitung eines Vertragsangebots, das nur sofort anzunehmen war, sowie durch Hinzuziehung eines Rechtsanwalts und Schaffung einer besonderen Verhandlungssituation herbeigeführt habe, seien die Verhandlungsbedingungen nicht so gewesen, dass eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit für die Klägerin vorgelegen habe.
Praxishinweise
Das BAG hat mit seinen aufgestellten Grundsätzen zum Gebot fairen Verhandelns in erster Linie Arbeitnehmern eine Möglichkeit gegeben, Aufhebungsverträge nachträglich anzugreifen. Die Entscheidung des LAG Hamm zeigt jedoch, dass für eine Missachtung des Gebots fairen Verhandelns eine besondere Situation, sprich ein „Extremfall“, vorliegen muss. Ein solcher liegt nach Auffassung des LAG Hamm noch nicht vor, wenn ein Arbeitgeber beim Abschluss eines Aufhebungsvertrags einen Rechtsanwalt zum Trennungsgespräch hinzuzieht, einen Aufhebungsvertrag vorlegt, der nur sofort abgeschlossen werden kann und dies mit der – im Streitfall nicht widerrechtlichen – Drohung verbindet, er werde eine fristlose Kündigung aussprechen und Strafanzeige erstatten. Das LAG Hamm hat allerdings die Revision zugelassen. Diese ist derzeit beim BAG anhängig. Das letzte Wort ist in diesem Fall daher noch nicht gesprochen. Arbeitgeber sollten in jedem Fall darauf achten, dem Gebot fairen Verhandelns beim Abschluss von Aufhebungsverträgen ausreichend Rechnung zu tragen.