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Kündigung wegen Befreiung vom Tragen eines Mund-Nase-Schutzes möglich?

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Mund Nase Schutz

Mit der Verlängerung der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung bleiben auch in Zeiten allmählich sinkender Fallzahlen und zunehmender Impfquote Streitigkeiten um das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes an der Tagesordnung. Besteht aufgrund einer wirksamen Befreiung oder der Weigerung des Arbeitnehmers keine andere Einsatzmöglichkeit, kann der Arbeitgeber nach einer aktuellen Entscheidung des Arbeitsgerichts Cottbus kündigen.

In einer Vielzahl von Unternehmen gehört das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes auch der „Rückkehr“ ihrer Mitarbeiter weiterhin zum gewohnten Alltag im Betrieb und wird das Bild auch über die nächsten Monate weiter prägen. In der Praxis stellt sich ebenso regelmäßig die Frage, was Arbeitgeber tun können, wenn Arbeitnehmer einen Mund-Nase-Schutz nicht tragen wollen oder sogar können. Mit dieser Frage hatte sich vor kurzem auch das Arbeitsgericht Cottbus (11 Ca 10390/20) zu befassen und gab der Arbeitgeberin nach dem Ausspruch einer Beendigungskündigung Recht. Wir geben eine erste Einordnung.

Worum geht’s?

Arbeitsschutzrechtlich sind Arbeitgeber nach der vor kurzem erfolgten Verlängerung der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung bis zum 24.11.2021 weiter verpflichtet, das Risiko von Infektionen im Betrieb zu minimieren und die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu schützen (vgl. § 1 Abs. 1 Corona-ArbSchV). Ergibt die hierzu vom Arbeitgeber durchzuführende Gefährdungsbeurteilung, dass das Tragen medizinischer Gesichtsmasken erforderlich ist, sind grundsätzlich die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Masken oder mindestens gleichwertige Masken zu tragen. In der Praxis stellt sich regelmäßig die Frage, was Arbeitgeber tun können, wenn Arbeitnehmer einen Mund-Nase-Schutz nicht tragen wollen oder sogar können.

Problemstellung

Arbeitgeber sind aufgrund ihrer Fürsorgepflicht (§§ 611a, 618, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 3 ff. ArbSchG) grundsätzlich verpflichtet, (alle) Arbeitnehmer im Betrieb vor Gesundheitsgefahren zu schützen. Da es derzeit an einer branchenübergreifenden Verpflichtung der Arbeitnehmer fehlt, sich vor Zutritt zum Betriebsgelände auf das Coronavirus testen zu lassen, kann vor allem in Zeiten einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (vgl. § 5 IfSG) ein anerkennenswertes Interesse des Arbeitgebers bestehen, Infektionsketten durch das Tragen medizinischer Gesichtsmasken (Mund-Nase-Schutz) zu unterbrechen. Nach einer Entscheidung des LAG Köln (LAG Köln, Urteil vom 12. April 2021 – 2 SaGa 1/21) ist die Anordnung einer Maskenpflicht derzeit sogar durch das arbeitgeberseitige Direktionsrecht (§ 611a Abs. 1 Satz 2 BGB; § 106 Satz 1 GewO) gedeckt. Dem gegenüber steht der letztlich aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 1 und 2 GG) abgeleitete sog. „allgemeine Beschäftigungsanspruch“ des Arbeitnehmers (vgl. BAG vom 9. April 2014 – 10 AZR 637/13), der vor allem bei Arbeitnehmern besonders zu beachten ist, die zur Erfüllung ihrer Arbeitspflicht auf den Zutritt zum Betriebsgelände angewiesen sind.

In Betrieben, in denen ein Schutz der Beschäftigten insbesondere durch technische und organisatorische Schutzmaßnahmen nicht ausreichend ist, lässt sich mit der aktuellen instanzgerichtlichen Rechtsprechung durchaus belastbar argumentieren, dass die Anordnung einer Maskenpflicht (vgl. § 2 Abs. 2 Corona-ArbSchV) selbst dann zu den „erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes“ i.S.v. § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG zählen kann, wenn Arbeitnehmer eine Maske aufgrund physischer oder sogar psychischer Beeinträchtigungen nicht tragen können. Denn arbeitgeberseitige Interesse des gesundheitlichen Schutzes weiterer Beschäftigter und Besucher überwiegt regelmäßig das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers an einer Beschäftigung ohne Mund-Nasen-Schutz (vgl. LAG Köln, Urteil vom 12. April 2021 – 2 SaGa 1/21; ArbG Siegburg, Urteil vom 18. August 2021 – 4 Ca 2301/20). Zudem sind Arbeitnehmer neben ihrer Treuepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) nach geltendem Arbeitsschutzrecht grundsätzlich verpflichtet, für die Sicherheit und Gesundheit von Personen zu sorgen, die von ihren Handlungen bei der Arbeit betroffen sind (§ 15 Abs. 1 S. 2 ArbSchG).

Diese Abwägungsentscheidung musste auch das Arbeitsgericht Cottbus treffen. Die Klägerin war als Logopädin beschäftigt und behandelte daher Menschen mit u.a. Sprach-, Sprech- oder Stimmbeeinträchtigungen. Obwohl die beklagte Arbeitgeberin eine Maskenpflicht angeordnet hatte, verweigerte die Klägerin das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes unter Vorlage mehrerer ärztlicher Atteste auch, nachdem ihr von der Arbeitgeberin sowohl verschiedene Masken zum Ausprobieren und Trainieren sowie die Einlegung von zusätzlichen Pausen angeboten worden waren. Daher kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis schließlich ordentlich und stellte die Klägerin unwiderruflich unter Anrechnung auf Urlaubs- und Freistellungsansprüche frei.

Was sagt die Entscheidung?

Die 11. Kammer des Arbeitsgerichts Cottbus hat die Kündigung für wirksam erklärt und gab der Arbeitgeberin Recht. Diese habe „aufgrund seriöser wissenschaftlicher Erkenntnisse“ davon ausgehen können, dass das Risiko einer Übertragung des Coronavirus „SARS-CoV-2“ in geschlossenen Räumen nur durch das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes wirksam eingedämmt werden könne. Daher sei die Arbeitgeberin nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet gewesen, zum Schutz der Gesundheit der Patienten und der Klägerin sowie zum Eigenschutz eine Maskenpflicht anzuordnen. Da die Klägerin das Tragen einer Maske trotz der von der Arbeitgeberin unternommenen Bemühungen wiederholt verweigert hatte, sei die Arbeitgeberin letztlich zur Kündigung berechtigt gewesen.

Etwas anderes folge auch nicht aus den von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Attesten. Da darin lediglich festgestellt worden sei, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen am Tragen einer Maske gehindert sei, nicht aber welche konkret zu benennenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen beim Tragen einer Maske zu erwarten seien und woraus diese im Einzelnen resultieren, könnten diese Atteste nicht Gegenstand einer Befreiungsentscheidung sein. Denn die Arbeitgeberin nicht habe nachvollziehen können, ob die jeweiligen Voraussetzungen tatsächlich vorlagen.

Warum ist die Entscheidung wichtig für die Praxis?

Zunächst festigt und liegt die Entscheidung auf einer Linie mit der derzeitigen Rechtsprechung mehrerer Instanzgerichte, wonach nicht nur das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers an einer Beschäftigung ohne Mund-Nasen-Schutz regelmäßig hinter dem Interesse des Arbeitgebers am gesundheitlichen Schutz von Beschäftigten und Besuchern zurücktreten muss, sondern ein vom Arbeitnehmer zu einer Befreiung von der Maskenpflicht vorgelegtes Attest neben den andernfalls zu erwartenden und konkret zu benennenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen einschließlich ihrer genauen Ursachen auch erkennen lassen muss, auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gekommen ist (vgl. LAG Köln, Urteil vom 12. April 2021 – 2 SaGa 1/21; ArbG Siegburg, Urteil vom 18. August 2021 – 4 Ca 2301/20).

Das Arbeitsgericht Cottbus – und das ist von besonderem Interesse – beschränkt sich indes nicht nur auf diese Feststellung, sondern kommt vielmehr zu dem Ergebnis, dass die Kündigung auch wegen der fehlenden Einsatzmöglichkeit als durch dringende betriebliche Erfordernisse i. S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 3 KSchG sozial gerechtfertigt gewesen wäre. Da die Klägerin das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes während der Arbeit endgültig abgelehnt hatte, sei für sie keine Einsatzmöglichkeit im Betrieb der Arbeitgeberin mehr vorhanden gewesen, deren Entscheidung zur Einführung einer Maskenpflicht auch im Hinblick auf das Risiko einer zeitweisen Schließung der Praxis infolge einer Infektion resp. Quarantäneanordnung „absolut nachvollziehbar“ gewesen sei.

Konkret: Das ArbG Cottbus hat damit als, soweit ersichtlich, erstes Arbeitsgericht die pandemiebedingte Anordnung des Tragens eines Mund-Nase-Schutzes nicht nur als Arbeitsschutzmaßnahme, sondern faktisch ebenso als unternehmerische Entscheidung angesehen, die – jedenfalls bei Weigerung eines Arbeitnehmers – sogar zum dauerhaften und vollständigen Wegfall des Beschäftigungsbedarfs führen kann.

Fazit und Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung verdient zunächst insoweit Beachtung, als auch das Arbeitsgericht Cottbus die bisherige Rechtsprechung der Instanzgerichte weiter festigt und sowohl Maskenverweigerern als auch „Gefälligkeitsattesten“ – zu Recht – eine klare Grenze aufzeigt und deutlich macht, dass Arbeitgeber ihre arbeitsschutzrechtlichen Pflichten erforderlichenfalls mit dem Ausspruch von Beendigungskündigungen durchsetzen können. Von besonderem Interesse bleibt aber die Frage, wie mit Fällen umzugehen ist, in denen Arbeitnehmer eine Maske aufgrund physischer oder sogar psychischer Beeinträchtigungen nicht tragen können.

Da an eine zunächst ebenso naheliegende personenbedingte Beendigungskündigung hohe Anforderungen zu stellen sein können, zeigt der vom Arbeitsgericht Cottbus alternativ herangezogene Begründungsansatz über den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs einen nicht uninteressanten Ansatz auf, den es auch in der künftigen Diskussion zu beachten gelten wird. Da die Klägerin Berufung beim LAG Berlin-Brandenburg (Az. 7 Sa 990/21) eingelegt hat, wird sich wohl auch die obergerichtliche Rechtsprechung in näherer Zukunft mit diesem durchaus brisanten Thema zu befassen haben.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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