Talent Retention bleibt ein Dauerbrenner. Mit demografischem Wandel und Fachkräfte-Mangel steigen die Recruitingkosten. Sie stellen neben „inneren Kündigungen“, d.h. demotiviertem Personal, und erkrankten Arbeitnehmer*innen den größten Kostentreiber im Personalbereich dar. Schon aus diesem Grund gilt: Das beste Recruiting ist eine erfolgreiche Mitarbeiterbindung. Doch wie hält man die Talente? Wir geben einen Überblick über die Gestaltungsmöglichkeiten und deren arbeitsrechtliche Implikationen.
Neue Anforderungen der „Generation Y“
Die „Generation Y“ (die 18- bis 35-Jährigen) ist im Arbeitsleben angekommen und hat andere Erwartungen an ihre Berufstätigkeit. Sie ist zugleich die Zielgruppe des „run for talents“ und nur ein Vorgeschmack auf die „Generation Z“, die in den kommenden zehn Jahren den Bewerbermarkt prägen wird. Ein guter Zeitpunkt also, um die bestehenden Personalstrategien zu hinterfragen und ggf. anzupassen. Doch wie nun die „Generation Y“ gewinnen und an das Unternehmen binden? Neben der Incentivierung durch feste und variable Vergütung einschließlich solcher Gestaltungsmittel wie Stichtagsklauseln und Long Term Incentives (z. B. durch Aktienoptionspläne) gewinnen andere Faktoren an Relevanz – den dem mittlerweile fast schon vorausgesetzte mobile Arbeiten.
Ein Blick in den „Talent Retention“-Werkzeugkasten
Ein – unvollständiger – Überblick über die derzeit beliebtesten neuen Gestaltungsmittel und ihre (arbeits-)rechtlichen Implikationen:
- Corporate Benefits sinnvoll einsetzen
Der gute alte Dienstwagen und die betriebliche Altersvorsorge erfreuen sich zwar weiterhin großer Beliebtheit. Doch seit einigen Jahren erobern neue Trends wie Fitnessstudio-Mitgliedschaften, das Inhouse-Yoga-Training, geförderte Fahrräder oder ein „Mobilitätsbudget“ den Markt. Neben den physischen Vorteilen fördert tägliche Bewegung auch die Kreativität und beugt Burn-out-Erkrankungen vor – bis zu einer Grenze von derzeit monatlich 44,00 € sogar steuerfrei. Doch Vorsicht: Seitens der Beschäftigten kann auch ohne feste vertragliche Zusage aufgrund einer betrieblichen Übung ein (dauerhafter) Anspruch auf die Gewährung der „Benefits“ begründet werden. Um das zu vermeiden, können rechtliche Gestaltungsmittel wie eine doppelte Schriftformklausel oder ein ausdrücklicher Ausschluss des Anspruchs genutzt werden.
- Talente intern mit Weiterbildungsprogrammen entwickeln
Weiterbildungsprogramme steigern nachweislich die Arbeitnehmerzufriedenheit. Die Auswahl der geförderten Weiterbildungsangebote sollte zwar die Interessen der Belegschaft abbilden, muss sich aber vor allem auch an den Bedürfnissen des Unternehmens orientieren. Um ein Abwandern der mit hohen Kosten aufgebauten Expertise zu verhindern, ist eine Absicherung der Talent Retention durch Rückzahlungsklauseln zu empfehlen. Derartige Klausel können unter bestimmten, von der Rechtsprechung definierten Voraussetzungen eine Rückzahlung der Weiterbildungskosten vorsehen.
- Mit agiler Arbeit den Austausch fördern und Strukturen neu denken
Ebenso neu wie spannend ist die Einführung agiler Formen der Zusammenarbeit („agile Transformation“). Ziel der agilen Arbeit ist es u. a., hierarchisch streng gegliederte Organisationsformen aufzubrechen, um (immer oder für ausgewählte Projekte) alle Beteiligten (neu) zu motivieren und den Austausch mit anderen Fachbereichen zu fördern. Arbeitsrechtlich stellen sich insbesondere Fragen zum Direktionsrecht und zu der Beteiligung des Betriebsrats – z.B. wegen Versetzungen nach § 99 BetrVG oder bei umfassenden Änderungen aufgrund einer Betriebsänderung nach §§ 111, 112 BetrVG.
- Mentoring nutzt bestehendes Know-how und fördert Talente
Ein recht neues Phänomen sind Mentoring-Programme. Sie dienen dem Wissens- und Erfahrungsaustausch, ermöglichen eine gezielte Talentförderung und unterstützen die Persönlichkeitsentwicklung – und zwar sowohl für Mentees als auch für Mentor*innen (Stichwort „Reverse Mentoring“). Ein Mentoring kann innerhalb des Unternehmens oder als „Cross Mentoring“ durch Externe stattfinden. Neben der datenschutzrechtlichen Absicherung des Mentoring-Prozesses stellt sich für den Arbeitgeber die Frage, ob eine Teilnahme als Arbeitszeit zu behandeln ist. ist aus Unternehmenssicht zu beachten, dass für die Teilnahme an einem Mentoring ausreichend Arbeitszeit eingeplant werden muss und das Konzept letztlich nur bei einer intrinsischen Motivation der Beteiligten erfolgversprechend ist.
- Feedback-Kultur: kontante Verbesserung institutionalisieren
Regelmäßiges Feedback motiviert nachweislich und gibt auch den Arbeitnehmer*innen die Möglichkeit, rechtzeitig eigenes Verbesserungspotential zu identifizieren und zugleich Optimierungsmöglichkeiten auf der Arbeitgeberseite zu kommunizieren. Um das zu institutionalisieren, muss gerade in größeren Einheiten eine sinnvolle Feedback-Struktur etabliert werden, mit hierfür fest eingeplanter (Arbeits-)Zeit, der notwendigen Dokumentation und Auswertung unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Vorgaben (auch in der digitalen Personalakte) und Führungskräfteschulungen. Der Betriebsrat hat ebenfalls Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte, wenn die geschaffene Feedback-Struktur einen kollektiven Charakter hat. So ist er u. a. beim Aufstellen von Personalfragebögen und allgemeinen Beurteilungsgrundsätzen zu beteiligen.
Die passende „Talent Retention“-Strategie anstelle der Gießkannentaktik
Unternehmen sollten sich keinesfalls genötigt sehen, das ganze Füllhorn der „Benefits“ zusätzlich zu einer attraktiven Vergütungsstruktur über der Belegschaft auszuschütten. Ziel muss es vielmehr sein, die zum Unternehmen und der Belegschaft passende „Talent Retention“-Strategie zu entwickeln und kontinuierlich zu überprüfen.
Hierfür sind im ersten Schritt der Status quo und die Unternehmensziele zu ermitteln: Wie sieht unser „Forecast“ aus, also das Ergebnis der Personalbedarfsermittlung? Jetzt, in fünf und in zehn Jahren? Welche Qualifikation, welche Altersstruktur findet sich in den jeweiligen Bereichen? Wie sind die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe zu bewerten? Welche Benefits gibt es vielleicht schon, die nicht ausreichend kommuniziert werden? Welche Bedürfnisse der Zielgruppe werden noch nicht angesprochen? Was bieten die Unternehmen, die um die gleiche Zielgruppe konkurrieren?
Im zweiten Schritt muss die Personalstrategie passend zur Zielgruppe innerhalb des Unternehmens und im Kreis der Bewerber*innen entwickelt oder aktualisiert und rechtlich implementiert werden. Dienstwagen sind in urbanen Regionen weniger attraktiv, Schulungen für agiles Arbeiten ergeben nicht für jede*n Sinn und nicht jede*r Arbeitnehmer*in zieht Vorteile aus einem Mentoring.
Fazit
Attraktive „Corporate Benefits“ sind in großen Unternehmen bereits Normalität. Flache und agile Strukturen, lebenslanges Lernen im Arbeitsumfeld, eine gesunde Fehlerkultur und transparente Karrierewege fördern nachweisbar Motivation und Engagement und steigern die Arbeits- und Unternehmensergebnisse. Eine durchdachte „Talent Retention“-Strategie kann die Unternehmens-Performance bei gleichzeitiger Senkung von Recruiting-Kosten nachhaltig verbessern. Das Arbeitsrecht ist bei diesen Themen in der Regel nicht der Treiber. Eine sorgfältige rechtliche Umsetzung – ggf. unter Einbeziehung eines vorhandenen Betriebsrats – ist dennoch wichtig.
Dieser Beitrag entstand mit der freundlichen Unterstützung von Merle Elberg, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Hamburg Büro.