„Warum trifft es gerade mich?“ – mit dieser Frage von Arbeitnehmern nach der zutreffenden Sozialauswahl sehen sich Arbeitgeber bei betriebsbedingten Kündigungen regelmäßig konfrontiert. Die Sozialauswahl ist in der Praxis eine hohe Hürde. Welche grundlegenden „Spielregeln“ sind hierbei zu beachten?
Bei einem betriebsbedingten Wegfall von Arbeitsplätzen, etwa im Rahmen einer Restrukturierung, hat der Arbeitgeber unter den hiervon betroffenen Arbeitnehmern eine Sozialauswahl durchzuführen. Danach muss er bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung ausreichend berücksichtigen. Wichtig ist, dass hierbei zwei Schritte strikt auseinanderzuhalten sind, um eine korrekte Sozialauswahl zu gewährleisten. Punkteschemata können die Durchführung der Sozialauswahl erleichtern.
Erfordernis einer Sozialauswahl
Fällt der Bedarf zur Beschäftigung von Arbeitnehmern weg, weil z.B. deren Arbeitsplätze ins Ausland verlagert, Abteilungen zusammengelegt oder Aufgaben an externe Dienstleister ausgelagert werden, reicht dies allein noch nicht aus, um die Arbeitnehmer der betroffenen Bereiche betriebsbedingt kündigen zu können. Bleiben weniger Arbeitsplätze übrig als Arbeitnehmer, muss der Arbeitgeber die verbliebenen Arbeitsplätze nach den Grundsätzen der Sozialauswahl „matchen“: Zu diesem Zweck hat er gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG unter allen vergleichbaren Arbeitnehmern diejenigen zu identifizieren, welche nach der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit, ihrem Lebensalter, ihren Unterhaltspflichten und einer etwaigen Schwerbehinderung sozial am wenigsten schutzwürdig und daher vorrangig zu kündigen sind. Dabei sind zwei Schritte strikt auseinander zu halten:
Erster Schritt: Ermittlung der vergleichbaren Arbeitnehmer
Im ersten Schritt muss der Arbeitgeber den Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer ermitteln. Dabei sind nur die Arbeitnehmer des vom Personalabbau betroffenen Betriebes zu berücksichtigen, da die Sozialauswahl betriebsbezogen, nicht unternehmensbezogen ist. Eine Vergleichbarkeit besteht, wenn kumulativ folgende Anforderungen erfüllt sind:
- Erforderlich ist zunächst eine rechtliche Vergleichbarkeit: Fällt beispielsweise der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers A weg, kann er sich nur dann darauf berufen, dass statt seiner der Arbeitnehmer B zu kündigen sei, wenn A mit B rechtlich vergleichbar ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitgeber den A einseitig kraft seines Direktionsrechts – insbesondere aufgrund einer Versetzungsklausel im Arbeitsvertrag – auf den Arbeitsplatz des B versetzen kann.
- Außerdem muss eine hierarchische Vergleichbarkeit bestehen: Nur Arbeitnehmer auf derselben Hierarchieebene sind im Rahmen der Sozialauswahl miteinander vergleichbar. Handelt es sich bei A um den Abteilungsleiter und bei B um einen nachgeordneten Sachbearbeiter, kann der A nicht den B im Rahmen der Sozialauswahl verdrängen, da es keinen „Verdrängungswettbewerb nach unten“ gibt. Im umgekehrten Fall gilt das Gleiche: Es gibt keinen Anspruch auf Beförderung qua Sozialauswahl.
- Schließlich wird eine fachliche Vergleichbarkeit gefordert: So kann der A den B nur dann verdrängen, wenn er dessen Tätigkeit nach seiner beruflichen Qualifikation und Berufserfahrung binnen einer angemessenen Einarbeitungszeit übernehmen kann. Eine absolute zeitliche Grenze gibt es dabei nicht. Eine Einarbeitungszeit von drei Monaten sind von der Rechtsprechung bereits als zu lang angesehen worden (vgl. BAG vom 5.5.1994 – 2 AZR 917/93). Eine Ausbildung oder ein Studium muss der Arbeitgeber dem betroffenen Arbeitnehmer also keinesfalls ermöglichen.
Zweiter Schritt: Durchführung der eigentlichen Sozialauswahl
Im zweiten Schritt wird die eigentliche Sozialauswahl durchgeführt. Es ist zu ermitteln, welche der vergleichbaren Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Sozialkriterien Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung sozial am wenigsten schutzwürdig und daher von der Kündigung betroffen sind. Weitere Faktoren dürfen nicht herangezogen werden. Es gibt keine mathematische Exaktheit, insbesondere keine Rangordnung der vier Sozialkriterien. Vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Dabei hat der Arbeitgeber einen gewissen Beurteilungsspielraum, da er die Sozialkriterien nach dem Gesetz lediglich „ausreichend“ berücksichtigen muss (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG).
Bei größeren Restrukturierungen kann die Verwendung eines Punkteschemas helfen, wonach pro Jahr der Betriebszugehörigkeit sowie für Lebensjahre, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung bestimmte Punktewerte vergeben werden (vgl. BAG vom 6.7.2006 – 2 AZR 442/05). Aber Vorsicht: Hier besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats! „Leistungsträger“, welche bei Anwendung der Grundsätze der Sozialauswahl an sich zu den zu kündigenden Arbeitnehmern gehören würden, können unter bestimmten Voraussetzungen von der Sozialauswahl ausgenommen (§ 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG) und so im Unternehmen gehalten werden.
Fazit
Die Sozialauswahl ist in der Praxis häufig die höchste Hürde für betriebsbedingte Kündigungen. Gerade bei größeren Restrukturierungen sollte daher eine sorgfältige Sozialauswahl durchgeführt werden. Sie kann sonst zu einem Einfallstor werden, um die Rechtswirksamkeit der Kündigungen in Frage zu stellen, und dazu führen, dass der betroffene Arbeitnehmer – zu Recht – sagen kann: „Ich nicht!“.