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Mindestlohn für alle – auch für Praktikanten?

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Seit dem 1. Januar 2015 gilt in Deutschland der gesetzliche Mindestlohn. Auch Praktikanten fallen grundsätzlich unter den Geltungsbereich des Mindestlohngesetzes. Doch es gibt Ausnahmen. Welche Praktika vom Mindestlohngesetz ausgenommen sind und welche Besonderheiten zu beachten sind, zeigt dieser Beitrag.

Obwohl Praktikanten nicht unter den allgemeinen Arbeitnehmerbegriff fallen, haben sie nach § 22 Abs. 1 S. 2 Mindestlohngesetz (MiLoG) grundsätzlich Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Denn Praktikanten sollen nicht unter dem „Deckmantel“ des Praktikums tatsächlich wie Arbeitnehmer beschäftigt werden. In § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 4 MiLoG hat der Gesetzgeber allerdings Ausnahmen von der Mindestlohnpflicht geschaffen. Insbesondere Pflichtpraktika, Praktika zur beruflichen Orientierung aber auch – unter engen Voraussetzungen – freiwillige studienbegleitende Praktika unterliegen nicht der Mindestlohnpflicht. In diesem Beitrag zeigen wir auf, welche Besonderheiten zu beachten sind.

Grundsatz: Mindestlohn auch für Praktikanten

Nach § 22 Abs. 1 S. 2 MiLoG gelten Praktikanten i als Arbeitnehmer i. S. d. MiLoG mit der Folge, dass sie grundsätzlich Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn haben. Die Frage, wer eigentlich Praktikant ist, beantwortet § 22 Abs. 1 S. 3 MiLoG:

„Praktikantin oder Praktikant ist unabhängig von der Bezeichnung des Rechtsverhältnisses, wer sich nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses für eine begrenzte Dauer zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit unterzieht, ohne dass es sich dabei um eine Berufsausbildung i. S. d. Berufsausbildungsgesetzes oder um eine damit vergleichbare praktische Ausbildung handelt.“

Ausnahme: Privilegierte Praktika

  • 22 Abs. 1 S. 2 MiLoG zählt abschließend die Praktika auf, die nicht der Mindestlohnpflicht unterfallen:

Nr. 1: Pflichtpraktikum

Ein Pflichtpraktikum wird verpflichtend aufgrund einer schul- oder hochschulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie geleistet. Die Vorschrift enthält zwar keine Beschränkung in zeitlicher Hinsicht. Die Höchstdauer ergibt sich jedoch (mittelbar) aus der jeweils anwendbaren (hoch-)schulrechtlichen Bestimmung. Schreibt diese eine bestimmte Dauer oder auch nur eine Mindestdauer vor, so liegt ein Pflichtpraktikum i. S. d. Nr. 1 nur vor, wenn dieses die (Mindest-)Dauer nicht überschreitet.

Beispiel: Die Hochschulordnung sieht vor, dass ein Praktikum von mindestens 6 Wochen abgeleistet werden muss. Ein Pflichtpraktikum i. S. d. § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 MiLoG kann nur für die Dauer von 6 Wochen vereinbart werden.

Nr. 2: Orientierungspraktikum

Ein solches liegt vor, wenn das Praktikum zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums für die Dauer von bis zu drei Monaten geleistet wird. Nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob das Praktikum einen inhaltlichen Bezug mit der späteren Berufsausbildung oder dem Studium aufweisen muss. Es lässt sich mit guten Argumenten vertreten, dass der Praktikant jedenfalls noch keine konkrete Ausbildung oder ein Studium geplant haben muss – schließlich dient das Praktikum gerade der Orientierung. Andererseits darf die Aufnahme der Ausbildung oder des Studiums nicht von vorneherein ausgeschlossen sein, etwa weil der Praktikant die Zulassungsvoraussetzungen gar nicht erfüllen kann.

Nr. 3: Freiwilliges Praktikum

Unter diesen Tatbestand fallen Praktika, die nicht nach der Studienordnung vorgeschrieben (also keine Pflichtpraktika nach Nr. 1) sind, sondern freiwillig begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung geleistet werden. Der Ausnahmetatbestande setzt voraus, dass

  • ein inhaltlicher Bezug zu dem Studium besteht,
  • das Praktikum maximal drei Monate dauert und
  • niemals zuvor ein solches Praktikumsverhältnis, d.h. ein freiwilliges Praktikum i. S. d. § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 MiLoG, mit demselben Ausbildenden bestanden hat.

Nr. 4: Einstiegsqualifizierung

Der letzte Ausnahmetatbestand betrifft die Teilnahme an einer Einstiegsqualifizierung nach § 54 a SGB III oder einer Berufsausbildung nach §§ 68-70 BBiG. Ziel ist die Förderung von Menschen mit Vermittlungshemmnissen und die Integration dieser Menschen in den Arbeits- oder Ausbildungsmarkt.

Achtung: Höchstdauer keinesfalls überschreiten!

Fallstricke ergeben sich insbesondere dann, wenn die zeitlichen Grenzen der Praktika nicht eingehalten werden. Besonders relevant ist dies bei den freiwilligen Praktika i. S. d. § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 MiLoG. Die Höchstdauer von drei Monaten ist unbedingt einzuhalten. Denn nach überwiegender Auffassung führt ein Überschreiten der Höchstdauer dazu, dass das Praktikum ab dem ersten Tag – und nicht erst mit Beginn des vierten Monats – der Mindestlohnpflicht unterliegt. Auch eine nachträgliche Verlängerung des Praktikums über die Dauer von drei Monaten hinaus ist nicht möglich bzw. löst eine Mindestlohnpflicht aus.

Kombination von Pflicht- oder Orientierungspraktikum und freiwilligem Praktikum – geht das?

Grundsätzlich ja. An ein Pflicht- oder Orientierungspraktikum kann sich ein freiwilliges Praktikum von maximal drei Monaten anschließen. Die nacheinander erbrachten Praktika sind jeweils getrennt voneinander zu betrachten, sodass deren Dauer nicht zusammengerechnet wird. Erforderlich ist jedoch, dass es sich bei dem zweiten Praktikum tatsächlich um ein weiteres, von dem ersten Praktikum losgelösten Praktikum handelt. Das erste Praktikum darf also nicht bloß fortgesetzt werden. Denkbar ist etwa, dass der Praktikant im Rahmen des zweiten Praktikums in einer anderen Abteilung eingesetzt wird.

Es ist dringend zu empfehlen, für beide Praktika separate Praktikantenverträge abzuschließen. In den Verträgen sollte die Art des jeweiligen Praktikums kenntlich gemacht und die Lern- und Ausbildungsziele – die sich idealerweise unterscheiden sollten – des jeweiligen Praktikums festgelegt werden.

Achtung: Angemessene Vergütung i. S. d. § 17 BBiG

Liegt einer der Privilegierungstatbestände des § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 MiLoG vor, so hat der Praktikant zwar keinen Anspruch auf Zahlung des Mindestlohns. Zu beachten ist allerdings, dass Orientierungspraktika sowie freiwillige, studienbegleitende Praktika unter § 26 BBiG fallen. Die Praktikanten haben daher einen Anspruch auf angemessene Vergütung i. S. d. § 17 Abs. 1 BBiG.

Fazit

Praktikanten fallen grundsätzlich unter den Geltungsbereich des MiLoG. Es gibt jedoch privilegierte Praktika, die von der Mindestlohnpflicht ausgenommen sind. Die im Gesetz genannten sowie von Rechtsprechung und Literatur entwickelten Voraussetzungen sind dabei unbedingt zu beachten, andernfalls drohen Nachzahlungen und sogar Bußgelder.

Dr. Kerstin Seeger 

Rechts­an­wäl­tin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Counsel
Kerstin Seeger berät Arbeitgeber in erster Linie zur Ver­trags­ge­stal­tung, zur Führung von Kün­di­gungs­schutz­rechts­strei­tig­kei­ten sowie zu betriebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Fragen. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "Datenschutz".
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