In einer Vielzahl von Unternehmen werden zukunftsfähige Geschäftsfelder („Legacy Business“) zunehmend verselbständigt und neu aufgestellt. Bei solchen „Carve Outs“ stellt die Prüfung der Sanierungsfähigkeit auch aus arbeitsrechtlicher Sicht einen entscheidenden Faktor dar.
Viele Unternehmen in Deutschland haben – trotz und wegen COVID – einen tiefgreifenden Transformationsprozess eingeleitet, der vielfach nach einer ersten Phase („Stop the Bleeding“) der Personalanpassung durch Freiwilligenprogramme derzeit in einer zweiten Phase zu strukturellen Anpassungen im Leistungsangebot der Unternehmen führt (dazu Göpfert, Business Transformation, ZIP 2016, 803 ff.). Dabei werden „zukunftsfähige“ Geschäftsfelder vom bisherigen Geschäft („Legacy Business“) getrennt; erfolgt dies betrieblich und gesellschaftsrechtlich, spricht man – ganz unabhängig vom gesellschaftsrechtliche Durchführungsweg – von einem „Carve Out“. Der – medizinisch vorgeprägte – Begriff ist personalpolitisch nicht sehr glücklich; die „Konzentration auf Zukunftsthemen“ (ggf. sozial begleitet durch eine „Zukunftsvereinbarung“, vgl. hierzu unseren Beitrag „Zukunftssicherung durch “Zukunftsvereinbarung”? Die Ergebnisse der IG-Metall-Tarifrunde in NRW“) und die „Neuaufstellung“ („Partnering“) des „Legacy Business“ sind passendere Begriffe. Insgesamt leiten diese Prozesse eine dritte Phase der Transformation ein: Grundlegende M&A-Prozesse, die das Kerngeschäft weiter stärken und das „Legacy Business“ durch strategische Partnerschaften industriell auf eine „neue Reise“ senden.
1. „Carve Out“ aus arbeitsrechtlicher Sicht
Aus arbeitsrechtlicher Sicht werden diese Projekte leider oft sehr auf die Frage des Betriebsteilübergangs, insbesondere des Risikos von Widersprüchen gegen diese Übergänge, verengt. In der betrieblichen Praxis sind diese „Risiken“ längst durch die Instrumente der „Überleitungsvereinbarung“, der personalpolitischen Begleitung – etwa durch Wechsel- und Bleibeprämien („Retention“) – und die Gestaltung von Abfindungsregelungen in Sozialplänen weitgehend beherrschbar. Gerade bei der Gestaltung von Sozialplänen lässt sich nach § 112 Abs. 5 Nr. 2 BetrVG sehr gut differenzieren, je nachdem, ob eine Überleitungsvereinbarung die potentiellen Nachteile (weitgehend) mildert – sogar bis hin zum Ausschluss von Abfindungsleistungen. Auch das „Offenlassen“ der Abfindungsberechtigung bis zur Feststellung der Widersprüche und Regelung in einem Nachtrag kann in Betracht kommen und Widersprüche im Vorfeld steuern.
2. „Carve Out“ aus personalpolitischer Sicht
Viel herausfordernder ist die personalpolitische Begleitung. Dabei sind vier Ebenen zu unterscheiden:
- Betriebsverfassungsrechtliche Ebene: In der Regel ist bei einem Carve Out die betriebliche Spaltung, und damit die Interessenausgleichspflicht, unvermeidbar. Überleitungsvereinbarungen regeln insoweit meist das Verfahren, auch zu Übergangsmandaten und Neuwahlen. Schwierig stellt sich dagegen oft die Frage dar, ob Freistellungen oder gar Mandate entfallen, ob zumindest noch eine Konzernmitbestimmung bestehen bleibt und wie insbesondere die machtpolitischen Auswirkungen der Spaltung in den Gremien begleitet werden kann. Ohne hier ein klares Bild zu haben, sind alle weiteren Schritte in der Praxis kaum umsetzbar.
- Tarifpolitische Ebene: Hier geht es oft weniger um die Sorge nach „Tarifflucht“, sondern viel mehr um die künftige Gestaltung und Besetzung in Aufsichtsräten, den Einfluss der organisierten Belegschaft (die zumeist im „Legacy Business“ ist) und die Sorge, dass of jahrelang „lieb gewonnene“ Quersubventionierungen plötzlich messbar und transparent werden. In jüngster Zeit ist deswegen ein großer Vorbehalt auf gewerkschaftlicher Seite gegen Carve Outs zu erkennen, und oft nur eingebettet in Verkaufsprozesse („Best Owner-Ansätze“) lösbar.
- Belegschaftsebene: Nicht minder sind die Vorbehalte auf beiden Seiten der künftigen Belegschaften. Insbesondere führt eine zu starke Fokussierung auf das Thema „Widersprüche“ dazu, dass der Blick auf die eigentliche „Zukunftsbelegschaft“ verloren geht. Zukunftsvereinbarungen, aber auch die frühe und transparente Kommunikation zu den Zuordnungsprozessen in den sog. Querschnittsfunktionen sind daher ein Schlüssel der erfolgreichen Carve-Out Planung.
- Führungsebene: An dieser Stelle ist nicht von den üblichen „Retentions“ die Rede. Wer viele M&A-Prozesse personalpolitisch begleitet hat, kennt bestens den „Shift of Loyality“, der zwischen Signing und Closing eintritt und die Führung eines Unternehmens sehr belasten kann. In jüngster Zeit beobachtet man aber, dass schon lange vor dem Signing – manchmal schon in der Planungsphase – Themen wie Vertraulichkeit, der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen und ganz allgemein die Loyalität in verstörender Weise abnehmen kann. Personalpolitisch müssen diese Themen hier schon im Projektaufsatz dokumentier, beobachtet und ggf. früh gegensteuert werdn.
3. Sanierungsfähigkeit
Was hat es nun mit der im Titel genannten „Sanierungsfähigkeits-Prüfung“ auf sich? Ganz unabhängig von den gesellschafts-, steuer- und insolvenzrechtlichen Verpflichtungen haben der abgebende und der aufnehmende Rechtsträger im Rahmen eines Carve-Out die betroffenen Arbeitnehmer:innen nach § 613a BGB auch über die wirtschaftlichen Folgen des Betriebsübergangs zu unterrichten. Spätestens nach den Entscheidungen in den Verfahren AGFA und BENQ hat sich dabei eine Betrachtung herausgebildet, die zur Notwendigkeit einer genauen Beschreibung auch der künftigen Finanzierung des aus der Spaltung hervorgehenden Rechtsträgers führt. In der Praxis werden daher die Unternehmensfinanzierung (also Konzerneinbindung, Konzernfinanzierung, ggf. Patronatserklärungen) sowie die finanzielle Ausstattung für wesentliche Verpflichtungen (z.B. die Ausstattung der Sicherung von Altersteilzeit- und Pensionsverpflichtungen) in den Schreiben nach § 613a eingehend beleuchtet.
Wenn aber mit dem Carve Out das oft schon über Jahre leidende „Legacy Business“ einen „schwierigen Weg“ vor sich hat, bedarf dies einer angemessenen Erläuterung. In diesem Zusammenhang kann (und ist) es oft schon aus gesellschafts- und insolvenzrechtlicher Sicht notwendig, dass unabhängige Wirtschaftsprüfer in einem dafür vorgesehenen Verfahren (IDW-S6) die „Stand alone Survivability“ des oder ggf. sogar beider aus Spaltung hervorgehenden Rechtsträger zu dokumentieren. In arbeitsrechtlicher Hinsicht ist dieser Prozess eine ganz entscheidende „Stütze“ für die o.g. Konsultationsverfahren und die Absicherung der Schreiben nach § 613a BGB.
4. Praktischer Hinweis
Es reicht also nicht mehr aus, die Frage der „Überlebensfähigkeit“ der aus dem Carve Out hervorgehenden Bereiche nur intern zu dokumentieren und im Übrigen der aus der Aufspaltung hervorgehenden Geschäftsleitung für den ersten Budgetprozess „mit auf die Reise zu geben“. Gerade in Zeiten großer wirtschaftlicher Volatilitäten (COVID, Lieferkette, Energieverteuerung, Inflation usw.) ist es Angelegenheit der abgebenden Geschäftsleitung (und ihrer Aufsichtsgremien), die „Stand alone Survivability“ proaktiv zu prüfen, zu bewerten und zu dokumentieren. Bei größeren Carve Outs ist sonst immer damit zu rechnen, dass spätestens die wirtschaftlichen Berater der Sozialpartner diese Prüfungen selbst vornehmen und Unklarheiten / Risiken werden den o.g. Sozialprozess nicht nur verzögern, sondern nachhaltig belasten. Ein Gutachten nach anerkannten Grundsätzen der Wirtschaftsprüfer (IDW) kann und muss hier die notwendige Absicherung schaffen und ist auch mit Blick auf die Schreiben nach § 613a BGB heute praktisch unverzichtbar.
Wenn Sie praktische Erfahrungen im Umgang mit Sanierungsfähigkeitsprüfungen bei Carve Outs weiter interessieren, bietet KLIEMT.Arbeitsrecht Ihnen gerne einen „Quick Check“ Workshop an, den wir gemeinsam mit einem zur Verschwiegenheit verpflichteten Sanierungsgutachter durchzuführen.