Neues aus Erfurt: Im Jahr 2021 haben sich die Zuständigkeiten der Senate am Bundesarbeitsgericht geändert. Neuerdings entscheidet der zweite Senat über Fragen im Zusammenhang mit Betriebsübergängen. Dabei scheint dieser eine „lockerere Hand“ als der zuvor zuständige achte Senat zu haben, dessen Rechtsprechung gegenüber Arbeitgebern in den einschlägigen Fällen als eher streng anzusehen war. Resultieren aus dem Senatswechsel tatsächlich Vorteile für Arbeitgeber?
Bei einem Betriebsübergang sind aus rechtlicher Sicht viele Dinge zu beachten. Insbesondere ist die Unterrichtung der Arbeitnehmer über den Betriebsübergang nach § 613a Abs. 5 BGB von enormer Wichtigkeit, da der Arbeitnehmer dem automatischen Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprechen kann. Die Frist für einen solchen Widerspruch beträgt einen Monat und läuft ab dem Zeitpunkt der ordnungsgemäßen Unterrichtung. Die Anforderungen an das Unterrichtungsschreiben ergeben sich aus dem Gesetz, jedoch hat der achte Senat diese in der Vergangenheit immer weiter präzisiert und verschärft.
Der neuerdings zuständige zweite Senat hatte im Sommer vergangenen Jahres erstmalig in seiner Zuständigkeit über die Wirksamkeit eines Widerspruchs gegen einen Betriebsübergang zu entscheiden (BAG vom 22. Juli 2021 – 2 AZR 6/21) und in seiner Entscheidung angedeutet, bei Unterrichtungsfehlern in Zukunft möglicherweise in bestimmten Fällen „ein Auge zudrücken“ zu wollen.
Worum ging es?
In dem zu entscheidenden Fall veräußerte der beklagte Arbeitgeber einen Teil seines Betriebs, worüber er seine Arbeitnehmer kurz zuvor unterrichtete. Diese Unterrichtung entsprach allerdings nicht den Anforderungen aus § 613a Abs. 5 BGB. Des Weiteren wurde den Arbeitnehmern im Rahmen eines Überleitungstarifvertrags ein zeitlich begrenztes Rückkehrrecht für den Fall einer betriebsbedingten Kündigung durch die Erwerberin eingeräumt. Acht Jahre nach dem Betriebsübergang und nachdem der letztmögliche Zeitpunkt für die Ausübung des Rückkehrrechts längst überschritten war, wurde bei der Erwerberin das Insolvenzverfahren eröffnet. Infolgedessen widersprachen mehrere Arbeitnehmer dem Betriebsübergang, darunter der Kläger.
Der Kläger meinte, er habe wirksam von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht, da die einmonatige Widerspruchsfrist mangels ordnungsgemäßer Unterrichtung nicht zu laufen begonnen habe. Zudem habe der Beklagte aufgrund des Rückkehrrechts mit einer Rückkehr rechnen müssen.
Die Frage der Verwirkung: Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung
In Einklang mit der Rechtsprechung des achten Senats hat auch der zweite Senat entschieden, dass bei einer Unterrichtung über die „grundlegenden Informationen“ zum Betriebsübergang und einer widerspruchslosen Weiterarbeit des Arbeitnehmers nach über sieben Jahren das Widerspruchsrecht allein aufgrund des Zeitablaufs verwirkt ist. Auch das hiervereinbarte Rückkehrrecht ändere daran nach Ansicht des BAG nichts, da kein Zusammenhang zwischen dem Widerspruchsrecht und dem Rückkehrrecht bestehe.
Anlaufen der Widerspruchsfrist: Neue Bewertung
Zur Frage des Beginns der Widerspruchsfrist deutete der zweite Senat jedoch eine eigene Linie an: Nach der bisherigen Rechtsprechung des achten Senats läuft die Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nur bei einer ordnungsgemäßen Unterrichtung an. Erfolgt die Unterrichtung gar nicht oder fehlerhaft, wird die Frist überhaupt nicht in Gang gesetzt. Da die Anforderungen an die Unterrichtung aufgrund der Voraussetzungen nach § 613a Abs. 5 BGB sowieso schon auf einem hohen Niveau liegen und infolge der immer präziser werdenden Ansprüche der Rechtsprechung zunehmend höher werden, fällt es Arbeitgebern naturgemäß sehr schwer, die Vorgaben zu erfüllen. Infolgedessen wächst das Risiko, dass Arbeitnehmer dem Betriebsübergang auch noch nach langer Zeit widersprechen können.
Doch nun kommt vielleicht die Kehrtwende – oder zumindest ein Abbremsen: Der zweite Senat hat in dem entschiedenen Fall angedeutet, in Zukunft eine „differenzierte Betrachtungsweise“ bezüglich der Anforderungen an die Unterrichtung in Erwägung zu ziehen. Konkret soll es darauf ankommen, ob der konkrete Fehler für die Entscheidung des Arbeitnehmers überhaupt ursächlich war. So hat das BAG ausdrücklich offengelassen,
„ob an den durch die bisherige Rechtsprechung aufgestellten inhaltlichen Anforderungen an das Unterrichtungsschreiben und den Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerspruchsfrist uneingeschränkt festzuhalten ist, oder ob jedenfalls bei Fehlern, die regelmäßig für den Willensbildungsprozess der Arbeitnehmer ohne Belang sind, eine differenzierte Betrachtungsweise erforderlich ist“.
Sollte das BAG in Zukunft entscheiden, dass ein Unterrichtungsfehler für den Willensbildungsprozess der Arbeitnehmer von Belang – also kausal – sein muss, würde dies einen Richtungswechsel in Bezug auf die Anforderungen an ein Unterrichtungsschreiben darstellen.
Offen bleibt allerdings, wie dann festzustellen ist, ob ein Unterrichtungsfehler für die Willensbildung relevant ist oder nicht. Der zweite Senat stellt auf solche Fehler ab, die „regelmäßig für den Willensbildungsprozess“ von Belang sind. Wahrscheinlich soll es dabei nicht auf den individuellen Willensbildungsprozess ankommen, sondern auf den eines durchschnittlichen Arbeitnehmers.
Fazit:
Das Urteil ist ein kleiner Lichtblick für Arbeitgeber. Erfreulich ist zum einen, dass der zweite Senat weiter an der Linie bezüglich der Frage der Verwirkung festhält. Zum anderen ist der angedeutete Richtungswechsel bezüglich der Folgen von Unterrichtungsfehlern zu begrüßen. Aus der Begründung ergibt sich, dass der Senat möglicherweise in Zukunft vom strengen bisherigen Kurs abkehren wird, indem er den Anlauf der Widerspruchsfrist bei unwesentlichen Unterrichtungsfehlern trotzdem bejaht. Dies könnte zumindest dann gelten, wenn sich ein Arbeitnehmer trotz eines Unterrichtungsfehlers eine abschließende Meinung dazu bilden konnte, für welchen Arbeitgeber er in Zukunft arbeiten will.
Aufatmen können Arbeitgeber aber noch nicht ganz. Bei der Unterrichtung der Arbeitnehmer über einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang bleibt Vorsicht geboten. Zum einen hat das BAG die Abkehr von seiner bisherigen strengeren Auffassung lediglich angedeutet, eine entsprechende Entscheidung steht noch aus. Zum anderen ist noch unklar, welche Informationen nach Ansicht des BAG solche sind, die „regelmäßig für den Willensbildungsprozess von Belang“ sind. Bis dahin ist eine Unterrichtung über einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang genaustens an den Vorgaben aus § 613a Abs. 5 BGB zu orientieren, um Fehler zu vermeiden.