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Ukraine-Krieg: Aktuelle arbeitsrechtliche und aufenthaltsrechtliche Fragen

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Aufgrund der russischen Invasion der Ukraine stellen sich für internationale Arbeitgeber vielfältige Fragen hinsichtlich der Beschäftigung ukrainischer Staatsangehöriger. Gleichzeitig sind hunderttausende Ukrainer:innen auf der Flucht, so dass sich die Frage der Einreise-, Aufenthalts- und Arbeitsmöglichkeit stellt. Wir fassen die wichtigsten Themen zusammen.

1. Einreise von Ukrainer:innen nach Deutschland

Ukrainische Staatsangehörige dürfen visumfrei nach Deutschland einreisen. Auch wenn sie zumeist über die Schengen-Grenzen (z.B. Polen) auf dem Landweg einreisen und daher in Deutschland i.d.R. keine Kontrollen stattfinden, benötigen sie grds. einen biometrischen Reisepass, der den Anforderungen der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) genügt.

2. Kurzfristiger Aufenthalt in Deutschland

Nach Einreise in den Schengen-Raum dürfen sich Ukrainer für 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen im Schengen-Raum aufhalten. Erläuterungen bzw. ein Rechentool der Europäischen Kommission vereinfachen die Ermittlung des zutreffenden Zeitraumes. Der Aufenthalt kann auf Antrag  bei der zuständigen Ausländerbehörde am Aufenthaltsort in Form einer Aufenthaltserlaubnis um weitere 90 Tage verlängert werden (§ 40 AufenthV, Art. 20 Abs. 2 SDÜ, Länderrundschreiben des BMI zur Lage in der Ukraine). Die Länder können durch Allgemeinverfügungen (siehe etwa hier Berlin: Verlängerung bis zum 31. Mai 2022 unter bestimmten Bedingungen) eine automatische antragsfreie Verlängerung vorsehen. Achtung: Während des visumfreien Aufenthalts ist eine Erwerbstätigkeit in Deutschland nicht gestattet!

3. Längerfristiger Aufenthalt und Arbeit in Deutschland

 Für einen längeren Aufenthalt benötigen ukrainische Staatsangehörige einen Aufenthaltstitel und für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit einen solchen Aufenthaltstitel, der ihnen diese Erwerbstätigkeit ausdrücklich erlaubt. Hierfür bieten sich mehrere Möglichkeiten:

  • Bereits in den nächsten Tagen könnte der Rat der EU mit qualifizierter Mehrheit einen Beschluss gemäß der „Massenzustromsrichtlinie EU“ fassen, nach dem vertriebenen ukrainischen Staatsbürgern ein vorübergehender Schutz von zunächst einem Jahr gewährt wird. Die Kommission hat hierfür bereits einen Vorschlag eingereicht. Daher raten wir derzeit noch von der Stellung eines Asylantrages ab. Diese Option ist insbesondere für Ukrainer:innen interessant, die ansonsten nur die Option eines Asylantrages hätten. Sie könnten dann bei den Ausländerbehörden einen Aufenthaltstitel gem. 24 Abs. 1 AufenthG beantragen; die Ausübung einer Beschäftigung bedürfte jedoch noch einer zusätzlichen Erlaubnis der Behörde.
  • Ukrainer:innen, die anderweitig die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel erfüllen, mussten bislang grds. vor Einreise ein nationales Visum in der deutschen Botschaft in Kiew beantragen. Das Bundesinnenministerium hält dies aktuell für unzumutbar und hat die Ausländerbehörden daher dazu angehalten, auch Anträge nach Ankunft in Deutschland bei der lokal zuständigen Ausländerbehörde des Aufenthaltsorts zu ermöglichen (s.a. etwa die zugehörige Mitteilung des Innenministeriums Schleswig-Holstein). Hierfür bleibt i.d.R. aber eine Meldebescheinigung Voraussetzung, weshalb sich die ukrainischen Staatsangehörigen nach Ankunft bei der zuständigen Meldebehörde anmelden sollten. Für mögliche einschlägige Aufenthaltstitel kann der Visa-Navigator des Auswärtigen Amts herangezogen werden. Für qualifizierte Fachkräfte (die Anerkennung ukrainischer Hochschulabschlüsse kann in der Datenbank Anabin überprüft werden) kommen etwa die Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für Fachkräfte mit akademischem Abschluss in Frage. Weitere Informationen liefern die FAQ zur Einreise aus der Ukraine des Bundesinnenministeriums.

4. Pflichten für deutsche Arbeitgeber mit (wehrpflichtigen) ukrainischen Beschäftigten

 Beschäftigen deutsche Arbeitgeber ukrainische Staatsangehörige, die aufgrund ukrainischen Rechts zum Militärdienst eingezogen werden, stellt sich die Frage, was mit dem deutschen Arbeitsverhältnis passieren soll. Angesichts der Strafdrohung für einen Nichtantritt ist damit zu rechnen, dass ein hoher Handlungsdruck bestehen wird.

Vorweggenommen: Die gesetzliche Lage ist unklar, weshalb die Parteien gut beraten sind, einvernehmlich z.B. ein (befristetes) Ruhen des Arbeitsverhältnisses zu vereinbaren:

  • Ausländischer Wehrdienst führt nicht zu einer automatischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
  • Es besteht keine gesetzliche Pflicht zur Ruhendstellung des Arbeitsverhältnisses. Die entsprechenden deutschen Schutzvorschriften finden neben deutschen Wehrpflichtigen nur auf Wehrpflichtige der Länder Anwendung, die Unterzeichner der Europäischen Sozialcharta 1961 sind. Eine erweiternde Anwendung auch auf spätere Fassungen der Charta, die auch Russland und die Ukraine gezeichnet haben, hat sich juristisch (noch?) nicht durchgesetzt.
  • Ukrainische Staatsangehörige werden, soweit nicht arbeitsvertraglich ausgeschlossen, eine vorübergehende Verhinderung ins Feld führen können, die den Arbeitgeber von einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls solange abhält, wie dies noch hinnehmbar ist; das Bundesarbeitsgericht hat in einem früheren Fall einmal zwei Monate „Ausfallzeit““ für angemessen gehalten. Mit Blick auf die unklare weitere Entwicklung der Lage in der Ukraine wird momentan kaum jemand wagen, eine entsprechende Prognose anzustellen.

Dr. Till Heimann

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Till Heimann berät Arbeitgeber mit Fokus auf Unter­neh­mens­trans­ak­tio­nen (mit anschlie­ßen­der Integration), Umstruk­tu­rie­run­gen auf Unter­neh­mens- und Betriebsebene und Har­mo­ni­sie­rung von Arbeits­be­din­gun­gen. Besondere Expertise besitzt Till Heimann darüber hinaus hinsichtlich der Beratung zu regulierter Vergütung (Banken/Kapitalanlagegesellschaften u.A. Institute), von Unternehmen der Technologiebranche sowie von Startups. Er besitzt langjährige Erfahrung in der Steuerung inter­na­tio­na­ler Projekte. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "ESG".
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