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Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers auch beim Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen

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Der Verfall von Urlaub setzt bekanntlich voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt, den Urlaubsanspruch tatsächlich zu nehmen. Den Arbeitgeber treffen hier also besondere Aufforderungs- und Hinweispflichten. Dies gilt nicht nur für den gesetzlichen Mindesturlaub, sondern auch – wie das BAG im November letzten Jahres entschieden hat – für den Anspruch auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen.

Verfall von gesetzlichem Mindesturlaub nur bei Belehrung durch den Arbeitgeber

Seit der Entscheidung des BAG vom 19.2.2019 (9 AZR 541/15) ist klar, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht automatisch am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG) bzw. des Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 S. 3, 4 BUrlG) verfällt (siehe hierzu auch unser Blogbeitrag vom 15.8.2019). Ein Verfall setzt vielmehr voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch zu nehmen und der Arbeitnehmer den Urlaub gleichwohl nicht nimmt. Seine Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt der Arbeitgeber, indem er den Arbeitnehmer dazu auffordert, seinen Urlaub zu nehmen und ihm außerdem mitteilt, dass der Urlaub verfällt, wenn er ihn nicht bis zum Ende des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums nimmt. Kommt der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nach, tritt der nicht verfallene Urlaub zum Urlaubsanspruch des Folgejahres hinzu (kumulierter Urlaubsanspruch).

Gilt dies auch für Anspruch auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 208 Abs. 1 SGB IX?

Bislang höchstrichterlich nicht entschieden war die Frage, ob die Mitwirkungspflichten auch für den gesetzlichen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 208 Abs. 1 SGB IX gelten. In seiner Entscheidung vom 30.11.2021 (9 AZR 143/21) hat das BAG die Frage nun bejaht. Überraschend ist diese Entscheidung nicht. Zwar gelten die unionsrechtlichen Vorgaben nicht für den Zusatzurlaub, da der nationale Gesetzgeber Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die über den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch hinausgehen, frei regeln kann. Das BAG vertritt allerdings in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass der Zusatzurlaub das rechtliche Schicksal des gesetzlichen Mindesturlaubs teilt (Grundsatz der urlaubsrechtlichen Akzessorietät). Es ist daher konsequent, dass das BAG die für den Mindesturlaub geltenden Vorschriften zur Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung auch für auf den gesetzlichen Zusatzurlaub anwendet.

Was bedeutet das für die Praxis?

Der Arbeitgeber muss also einen schwerbehinderten Arbeitnehmer auffordern, seinen gesetzlichen Mindesturlaub sowie seinen Zusatzurlaub nach § 208 Abs. 1 SGB IX zu nehmen und ihm außerdem mitteilen, dass der Urlaub verfällt, wenn er ihn nicht nimmt. Tut er dies nicht, verfällt der Zusatzurlaubsanspruch nicht, sondern tritt zu dem neuen Urlaubsanspruch des Folgejahres hinzu.

Und wenn der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung hat?

Der Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 208 Abs. 1 SGB IX entsteht unabhängig davon, ob der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers Kenntnis hat oder nicht. Bedeutet dies nun, dass der Arbeitgeber vorsorglich auf einen etwaigen Zusatzurlaub hinweisen und den Arbeitnehmer auffordern muss, diesen ggf. in Anspruch zu nehmen? Oder muss er erfragen, ob der Arbeitnehmer schwerbehindert ist?

Nein, so das BAG in seiner Entscheidung vom 30.11.2021. Denn der Arbeitgeber könne grundsätzlich erwarten, dass der Arbeitnehmer, der den Zusatzurlaub nach § 208 Abs. 1 SGB IX wahrnehmen möchte, ihn über seine Schwerbehinderung in Kenntnis setzt. Tut der Arbeitnehmer dies nicht, so verfällt der Zusatzurlaub am Ende des Kalenderjahres bzw. am Ende eines zulässigen Übertragungszeitraums. Der Arbeitnehmer kann sich dann nicht darauf berufen, der Arbeitgeber sei seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen.

Wer muss was beweisen?

In einem gerichtlichen Verfahren trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ihm die Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten unmöglich war, weil er von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers keine Kenntnis hatte. Da es sich bei der Unkenntnis um eine „negative Tatsache“ handelt, gilt insoweit allerdings eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast:

  • Es genügt zunächst, wenn der Arbeitgeber behauptet, ihm sei die Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers nicht bekannt gewesen.
  • Den Arbeitnehmer trifft dann eine sekundäre Beweislast, d.h. er muss bzw. kann konkret vortragen, auf welche Weise er den Arbeitgeber in Kenntnis gesetzt hat oder Umstände benennen, aus denen auf die Kenntnis des Arbeitgebers geschlossen werden kann.
  • Erst wenn dem Arbeitnehmer dies gelingt, muss der Arbeitgeber seine Unkenntnis darlegen und ggf. beweisen.

Fazit

Mit der Entscheidung des BAG besteht nun Gewissheit, dass die den Arbeitgeber treffenden Mitwirkungsobliegenheiten nicht nur für den gesetzlichen Mindesturlaub, sondern auch für den gesetzlichen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen gelten. Der Arbeitgeber sollte hier besonders sorgfältig handeln, insbesondere regelmäßig offene Urlaubsansprüche prüfen und den Arbeitnehmer auffordern, den Urlaub zu nehmen. Andernfalls droht eine Ansammlung von Urlaubsansprüchen, die bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten sind.

Dr. Kerstin Seeger 

Rechts­an­wäl­tin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Counsel
Kerstin Seeger berät Arbeitgeber in erster Linie zur Ver­trags­ge­stal­tung, zur Führung von Kün­di­gungs­schutz­rechts­strei­tig­kei­ten sowie zu betriebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Fragen. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "Datenschutz".
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