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Betriebsratswahl 2022: Nach der Wahl ist vor der Wahl – Sonderfälle, in denen auch vorzeitig wieder neu gewählt werden kann

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Bis zum 31. Mai 2022 laufen sie noch, die alle vier Jahre stattfindenden turnusgemäßen Betriebsratswahlen. Doch ist das Thema Betriebsratswahlen damit zunächst beendet, sodass sich Betriebe erst wieder im Jahr 2026 mit den Problemen rund um Wahlen auseinandersetzen müssen? In unserem letzten Beitrag der Fokusgruppe Betriebsratswahl möchten wir beleuchten, unter welchen Voraussetzungen auch vor dem 1. März 2026 neu zu wählen ist.

Grundsatz: Wahl nur alle vier Jahre

Die regelmäßigen Betriebsratswahlen finden alle vier Jahre im Zeitraum zwischen dem 1. März und dem 31. Mai statt, § 13 Abs. 1 BetrVG. Die Vorschrift dient, was weitgehend unbekannt ist, der Erleichterung der organisatorischen Vorbereitung der Wahl durch die Gewerkschaften. Sie hat aber auch den Charme, dass die Wahlen planbar sind und außerhalb des Turnus kein Wahlkampf, der die betrieblichen Abläufe sehr beeinträchtigen kann, in den Betrieben stattfindet.

Sonderfälle des § 13 Abs. 2 BetrVG

In § 13 Abs. 2 BetrVG sind jedoch Ausnahmen geregelt, bei deren Vorliegen außerhalb des Vierjahres-Rhythmus neu gewählt werden muss. Sind die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 BetrVG hingegen nicht erfüllt, ist die außerhalb des regelmäßigen Wahlzeitraums durchgeführte Betriebsratswahl grundsätzlich nichtig.

Ansteigen / Absinken der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer

Eine der Ausnahmen liegt vor, wenn mit Ablauf von 24 Monaten nach der Wahl, die Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer um die Hälfte, mindestens aber um fünfzig, gestiegen oder gesunken ist, § 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. Sinn dieser Regelung ist neben der Anpassung des Betriebsrats an die Betriebsgröße, keine Zweifel an der Legitimation des ursprünglich gewählten Betriebsrats aufkommen zu lassen. Änderungen der Belegschaftsstärke vor oder nach dem Stichtag sind unerheblich, maßgeblich ist allein der Stichtag 24 Monate nach der Stimmenabgabe.

Hintergrund der 24-Monats-Regelung: Die Stichtagsregelung dient dem Zweck der Rechtssicherheit. Durch Personalschwankungen sollen grundsätzlich keine Unruhen für die Belegschaft und das Vertretungsgremium entstehen. Temporäre Schwankungen werden nach Ansicht des Gesetzgebers bereits dadurch aufgefangen, dass für die Größe des zu wählenden Gremiums auf die regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer abgestellt wird, § 9 BetrVG.

Häufiger Streit: Was tun, wenn der Betriebsrat keine Neuwahl einleitet, um seine Gremiengröße zu bewahren? Der Betriebsrat ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG grundsätzlich verpflichtet, einen Wahlvorstand zur Neueinleitung der Wahl zu bestellen. Tut er dies nicht, muss das Arbeitsgericht auf Antrag von drei Arbeitnehmern oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft einen Wahlvorstand bestellen, § 16 Abs. 2 BetrVG analog. Der Arbeitgeber hingegen kann einen solchen Antrag nicht stellen, was insbesondere dann misslich ist, wenn die Zahl der Arbeitnehmer sinkt und damit eigentlich ein kleineres Gremium neu zu wählen wäre. Dem Arbeitgeber bleibt allein die Möglichkeit, den Betriebsrat wegen einer erheblichen Pflichtverletzung i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG durch das Arbeitsgericht auflösen zu lassen. Die Nichteinleitung der Neuwahl kann eine solche grobe Pflichtverletzung darstellen.

Absinken der Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder

Der Betriebsrat ist ferner neu zu wählen, wenn die Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder nach Eintreten sämtlicher Ersatzmitglieder unter die vorgeschriebene Zahl der Betriebsratsmitglieder gesunken ist, § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG. Die Gründe für ein Ausscheiden eines Mitglieds ergeben sich aus § 24 BetrVG. Entscheidend ist, dass durch die ausgeschiedenen Betriebsratsmitglieder eine Lücke im Gremium entsteht, die durch Ersatzmitglieder nicht mehr aufgefüllt werden kann, etwa weil sich die Größe des Gremiums von sieben auf sechs Mitglieder reduziert. Die Neuwahlen sind dabei erst dann einzuleiten, wenn keine Ersatzmitglieder mehr nachrücken können.

Häufiger Streit: Betriebsrat verweigert die Neuwahl, um in gleicher personeller Zusammensetzung im Amt zu bleiben: In der Praxis leiten Betriebsräte häufig trotz Absinkens der Gesamtzahl der Betriebsratsmitglieder keine Neuwahl ein. Auch hier ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, einen Wahlvorstand durch das Arbeitsgericht bestellen zu lassen. Er ist vielmehr auch hier auf den Auflösungsantrag nach § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG verwiesen. Auf den ersten Blick scheint dies zwar wenig dramatisch, da sich das Gremium aus Arbeitgebersicht verkleinert. Oft bringt die Neuwahl aber auch die Chance mit sich, dass personelle Veränderungen im Gremium mit einer Verbesserung der Zusammenarbeit einhergehen, so dass Arbeitgeber ein großes Interesse an den Neuwahlen haben können.

Rücktritt des Betriebsrats

Ebenfalls ein Grund für Neuwahlen liegt vor, wenn der Betriebsrat als Gremium zurücktritt, § 13 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG. Dafür ist ein Beschluss des Gremiums erforderlich. Dieser gilt auch für die Mitglieder, welche sich gegen den Rücktritt ausgesprochen haben.

Häufiger Streit: Rechtsmissbräuchlicher Rücktritt im Rahmen von Restrukturierungen. Im Rahmen von Restrukturierungen wird der Rücktritt häufig taktisch genutzt, um Neuwahlen herbeizuführen und sich so seiner Verantwortung als Verhandlungspartner zu entziehen. In den anschließenden Neuwahlen stellen sich wiederum häufig eine Vielzahl von Arbeitnehmern zur Betriebsratswahl auf, um sich den Sonderkündigungsschutz für Wahlbewerber gemäß § 15 Abs. 3 S. 1 BetrVG zu sichern – eine durchaus missliche Situation. Der Rücktritt des Betriebsrats als solcher wird in der Regel nicht als missbräuchlich anzusehen sein, denn die Gründe für den Rücktritt sind nicht Gegenstand gerichtlicher Überprüfung. Richtigerweise ist den Arbeitnehmern aber der Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 S. 1 BetrVG versagt, wenn sie sich nur zur anschließenden Betriebsratswahl aufstellen, um diesen Sonderkündigungsschutz zu erhalten. Dies kann in der Praxis jedoch schwierig nachzuweisen sein.

Weitere Fälle der Neuwahl

Fazit

Der Beitrag zeigt, dass es auch außerhalb des Vierjahres-Rhythmus zu Neuwahlen kommen kann. Dabei stehen taktische Erwägungen und Streit um die Neuwahl häufig auf der Tagesordnung. Ein Wermutstropfen insoweit: Hat die Amtszeit des Betriebsrats zu Beginn des für die regelmäßigen Betriebsratswahlen festgelegten Zeitraums noch nicht ein Jahr betragen, so ist der danach folgende Betriebsrat erst wieder in dem übernächsten Zeitraum der regelmäßigen Betriebsratswahlen neu zu wählen, § 13 Abs. 3 S. 2 BetrVG.

Henrik Lüthge

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Henrik Lüthge ist Partner im Hamburger Büro von KLIEMT.Arbeitsrecht. Er berät umfassend im Individual- und Kollektivarbeitsrecht. Zu seinen Mandanten zählen in- und ausländische Unternehmen. Er berät insbesondere zu Veränderungsprozessen, wie beispielsweise bei Business-Transformationen oder der Implementierung von New-Work-Modellen, bei M&A-Aktivitäten, klassischen Restrukturierungen und Reorganisationen (jeweils auch in der Insolvenz). Daneben begleitet er Unternehmen im Tarif- und Betriebsverfassungsrecht (z.B. Abwehr von Arbeitskämpfen, Tarifwechsel, Haustarifverträge und betriebliche Vergütungsordnungen), bei der Fremdpersonal-Compliance (Arbeitnehmerüberlassung, Werkverträge und Statusprüfung vor der DRV Bund) und bei Compliance-Untersuchungen im Zusammenhang mit Pflichtverletzungen. Zudem zählen hochrangige Führungskräfte zum Mandantenkreis von Herrn Lüthge, insbesondere Vorstände und Geschäftsführer aus dem Bankenbereich, aber auch aus zahlreichen nationalen und internationalen industriellen Unternehmen. Herr Lüthge wird von sämtlichen einschlägigen Branchendiensten als Berater im Arbeitsrecht empfohlen, u.a. von JUVE, Legal 500, dem Handelsblatt und der Wirtschaftswoche.
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