Kommt es im Rahmen eines Bewerbungsprozesses zu einer Diskriminierung, sind grundsätzlich Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche aus dem AGG möglich. Voraussetzung dafür ist der „Bewerberstatus“. Doch wie wird man eigentlich zum „Bewerber“? Reicht dazu eine einfache Nachricht oder müssen dem (potenziellen) Arbeitgeber auch prüffähige Bewerbungsunterlagen übermittelt werden? Zu dieser Frage entschied das LAG Schleswig-Holstein kürzlich im Fall einer Bewerbung über eBay-Kleinanzeigen.
Durch das AGG sollen Beschäftigte im Rahmen ihrer Tätigkeit und auch schon während der Bewerbung vor Diskriminierungen jeglicher Art geschützt werden. Dazu sieht § 15 Abs. 1 und 2 AGG für den Fall eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche des Verletzten gegen den Arbeitgeber vor. Zur Geltendmachung dieser Ansprüche ist neben einer ungerechtfertigten Benachteiligung auch die Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs (§ 6 AGG) und somit die Charakterisierung als „Beschäftigter“ zwingend erforderlich. Neben Arbeitnehmern, Auszubildenden und arbeitnehmerähnlichen Personen gelten auch Bewerber als Beschäftigte im Sinne des AGG. Aber welche Anforderungen werden an den „Bewerberstatus“ gestellt?
Eine Definition des Bewerberbegriffs lässt sich dem Gesetz zwar nicht entnehmen, allerdings hat die Rechtsprechung hierzu Vorgaben festgelegt. So verlangte das BAG in der Vergangenheit neben dem wirksamen Zugang der Bewerbung nach § 130 BGB auch die subjektive Ernsthaftigkeit und die objektive Geeignetheit des Bewerbers für die Stelle. Von diesen Bedingungen hat das BAG allerdings mittlerweile Abstand genommen. Es kommt nun allein darauf an, dass eine Bewerbung eingereicht wurde. Doch gehören dazu auch prüffähige Unterlagen?
Das LAG Schleswig-Holstein hat kürzlich in einem Fall, in dem die Bewerbung allein aus einer Chatnachricht bestand, den formalen Bewerberstatus bejaht (Urteil vom 21.6.2022 – 2 Sa 21/22, bisher nur Pressemitteilung veröffentlicht).
Worum ging es?
Die Beklagte schaltete über eBay-Kleinanzeigen eine Anzeige zur Suche einer „Sekretärin“. Der Kläger reagierte auf diese Anzeige und teilte über die Chatfunktion mit, an der Stelle interessiert zu sein und die erforderlichen Qualifikationen zu erfüllen. Die Beklagte bedankte sich – ebenfalls über die Chatfunktion – für das Interesse, lehnte die Bewerbung allerdings ab, da sie eine „Dame“ als Sekretärin suche.
Daraufhin verlangte der Kläger wegen Benachteiligung aufgrund des Geschlechts Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG i.H.v. drei Bruttomonatsgehältern.
Die Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein
Das LAG Schleswig-Holstein hielt die Klage für begründet und sprach dem Kläger die Entschädigung zu. Der Bewerberstatus liege vor. Nach Ansicht der Richter müsse ein Unternehmen, dass eine Stelle über ein Internetportal wie eBay-Kleinanzeigen ausschreibt, damit rechnen, dass sich Bewerber über den Chat bewerben. Voraussetzung für den Bewerberstatus sei lediglich, dass eine Bewerbung eingereicht wurde und der Bewerber persönlich identifizierbar sei, was bei der Bewerbung über eBay-Kleinanzeigen der Fall sei. Ein inhaltliches Mindestmaß an Angaben zur Person des Bewerbers werde gesetzlich gerade nicht gefordert. Für die Annahme eines etwaigen Rechtsmissbrauchs der Bewerbung des Klägers fehle es an entsprechendem Vortrag der Beklagten.
Einordnung der Entscheidung – Follow the BAG
Die Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein steht im Einklang mit der vom BAG vertretenen Auffassung, dass der formale Bewerberstatus lediglich den Zugang eines Bewerbungsschreibens voraussetzt. Auf die Einreichung prüffähiger Unterlagen kommt es damit wohl nicht an. Sollte es ein „Bewerber“ allein auf die Geltendmachung eines Entschädigungs- oder Schadensersatzanspruchs nach § 15 Abs. 1 bzw. 3 AGG abgesehen haben, könne diesem der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden.
Vor ein paar Jahren wäre dieser Fall womöglich noch anders entschieden worden. Denn nach der früheren Rechtsauffassung des BAG hätte man den Bewerberstatus wohl mit dem Argument der fehlenden Ernsthaftigkeit der Bewerbung ablehnen können, da ohne vollständige Bewerbungsunterlagen eine Prüfung der objektiven Geeignetheit nicht möglich ist.
Fazit
Da an eine Bewerbung keine inhaltlichen Mindestanforderungen gestellt werden, ist der Aufwand zur Erlangung des Bewerberstatus (aus Arbeitgebersicht gefährlich) gering. Arbeitgeber sollten daher umso mehr darauf achten, ihre Stellenausschreibungen AGG-konform zu gestalten, um Bewerbern (und insbesondere „AGG-Hoppern“) bezüglich Entschädigungs- und Schadensersatzpflichten von Anfang an den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dies gilt insbesondere aufgrund der Darlegungs- und Beweislast im Fall eines gerichtlichen Verfahrens, die für den Einwand des Rechtmissbrauchs regelmäßig die Arbeitgeber tragen. Es bleibt also dabei: Bei der Ausschreibung von Stellen ist Vorsicht geboten!