Das „Volkswagen-Urteil“ des BGH sorgte bereits Anfang des Jahres für Aufsehen: Der 6. Strafsenat hob die erstinstanzlichen Freisprüche für mehrere Personalverantwortliche des VW-Konzerns auf, die Betriebsratsmitgliedern Gehaltserhöhungen und Bonuszahlungen in erheblicher Höhe bewilligt hatten. Nun liegen die schriftlichen Entscheidungsgründe vor. Die darin formulierten Leitlinien des BGH könnten erhebliche Auswirkungen für die Praxis haben.
Mögliche Fehler bei der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern waren bislang in erster Linie ein arbeitsrechtliches Problem. Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten über deren „richtige“ Vergütung wurden (und werden) vor den Arbeitsgerichten ausgefochten. Eine strafrechtliche Verfolgung oder gar Verurteilung der verantwortlichen Führungskräfte war die Ausnahme. Dies könnte sich nach der aktuellen Entscheidung des BGH (6 StR 133/22) bald ändern.
Vorgeschichte und Entscheidung des BGH
Die angeklagten Führungskräfte – Vorstandsmitglieder und Prokuristen – waren für die Bemessung der Betriebsratsvergütungen zuständig. In dieser Funktion gaben sie Gehaltserhöhungen und Bonuszahlungen in erheblicher Höhe für freigestellte Betriebsratsmitglieder frei. Die Rechtmäßigkeit der Zahlungen ließen sie sich von der Rechtsabteilung und externen Rechtsberatern bestätigen. Das Landgericht Braunschweig sah hierin den Tatbestand der Untreue (§ 266 StGB) erfüllt. Es sprach die angeklagten Personalverantwortlichen aber dennoch frei, da diese nicht vorsätzlich gehandelt hätten. Denn sie hätten sich auf die Aussagen ihrer Rechtsberater verlassen können, die ihnen die Zulässigkeit der Vergütungszahlungen bescheinigt hatten. Der BGH ließ dies nicht gelten und hob die Freisprüche auf. Der Fall muss nun vor dem Landgericht neu verhandelt werden.
Prüfungsmaßstab
Der Straftatbestand der Untreue i.S.d. § 266 StGB setzt die Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht voraus. Letztere ergibt sich bei Vorstandsmitgliedern grundsätzlich aus § 93 AktG und bei Prokuristen aus der Prokura. Unklar war bislang, welche Anforderungen im Zusammenhang mit der Vergütung von Betriebsräten an die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht zu stellen sind. Zur Vermeidung einer uferlosen Ausdehnung des Untreuetatbestandes wurde teilweise gefordert, die Strafbarkeit auf Fälle „gravierender“ oder „evidenter“ Pflichtverletzungen zu beschränken. Der BGH ist dem nicht gefolgt. Nach seiner Ansicht wird die Vermögensbetreuungspflicht immer (schon) dann verletzt, wenn einem Betriebsratsmitglied eine Vergütung gezahlt wird, die gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot (§78 S. 2 BetrVG) verstößt. Auf die Intensität oder Eindeutigkeit der Pflichtverletzung soll es nicht ankommen. Verstöße gegen betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben führen damit gleichsam „automatisch“ auch zu einer Strafbarkeit.
Betriebsverfassungsrechtliche Vorgaben
Umso wichtiger ist es für die handelnden Personen, die betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben zur Betriebsratsvergütung penibel einzuhalten. Dabei sollte sich die Praxis tunlichst an der Rechtsprechung des BAG orientieren und nicht an abweichenden Literaturansichten, auch wenn diese noch so „verlockend“ erscheinen mögen. Das bedeutet insbesondere:
- Die Bemessung der Vergütung eines Betriebsratsmitglieds anhand seiner Leistungen als Betriebsrat ist unzulässig, da die Betriebsratstätigkeit ehrenamtlich ausgeübt wird (§ 37 Abs. 1 BetrVG)
- Die laufende Vergütung eines Betriebsratsmitglieds während der Betriebsratstätigkeit erfolgt ausschließlich nach dem Lohnausfallprinzip (§ 37 Abs. 2 BetrVG)
- Für die Vergütungsentwicklung eines Betriebsratsmitglieds ist nicht dessen „hypothetische“ Entwicklung maßgeblich, sondern die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer (§ 37 Abs. 4 BetrVG)
- Das Begünstigungsverbot (§ 78 Satz 2 BetrVG) verbietet es regelmäßig, einem Betriebsratsmitglied wegen seiner Amtsstellung eine Vergütung zu gewähren, die über das in § 37 Abs. 2 und 4 BetrVG geregelte Maß hinausgeht.
(Keine) Entlastung durch vorherige Einholung von Rechtsrat?
Das Landgericht hat den fehlenden Vorsatz der angeklagten Führungskräfte vor allem damit begründet, dass diese sich die (vermeintliche) Rechtmäßigkeit der Zahlungen vorher durch die Rechtsabteilung und externe anwaltliche Berater hatten bestätigen lassen. Der BGH sah dies nicht als ausreichend an. Die Einholung von Rechtsrat schließe nicht in jedem Fall den Vorsatz aus. Dies gelte insbesondere bei Gutachten, die „rechtlichen Flankenschutz“ für die tatsächliche Handhabung bieten sollen. Die für eine Strafbarkeit erforderliche Unrechtseinsicht können auch (schon dann) vorliegen, wenn dem Handelnden bewusst gewesen sei, dass er sich in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte.
Mit anderen Worten: Die Einholung eines (internen oder externen) Rechtsgutachtens ist kein „Freibrief“ für die Gewährung beliebiger Betriebsratsvergütungen. Sie entbindet die verantwortliche Führungskraft nicht davon, ihre Entscheidung kritisch zu hinterfragen und im Zweifelsfall auch eine zweite Meinung einzuholen. Ansonsten kann sich die vermeintliche „Absicherung“ schnell als wirkungslos entpuppen.
Auswirkungen für die Praxis
Die praktischen Auswirkungen der BGH-Entscheidung sind nicht zu unterschätzen. Vor allem Organmitglieder und Führungskräfte, die über Betriebsratsvergütungen entscheiden müssen, sind künftig einem erhöhten Strafbarkeitsrisiko ausgesetzt. Dieses kann nur durch strikte Einhaltung der betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben vermieden werden. Unternehmen sind daher nicht nur unter Compliance-Gesichtspunkten, sondern auch im Interesse ihres Führungspersonals gut beraten, die Handhabung von Betriebsratsvergütungen zu überprüfen und gegebenenfalls den gesetzlichen Anforderungen anzupassen.