Nicht jedes Angebot einer Prozessbeschäftigung nach Ausspruch einer fristlosen Kündigung ist im Falle der Unwirksamkeit der Kündigung geeignet, Annahmeverzugslohnansprüche des Arbeitnehmers zu beseitigen. Eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zeigt, dass bei einer fristlosen Kündigung ein schlichtes Angebot zur Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen während des Kündigungsschutzprozesses „zur Vermeidung von Annahmeverzug“ nicht ausreichend ist, wenn der Arbeitgeber die Kündigung u.a. damit begründet, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht zuzumuten (Urteil vom 29. März 2023, Az. 5 AZR 255/22 – PM).
Hintergrund zu Annahmeverzugslohnansprüchen
Nach rechtskräftiger Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung kann der Arbeitnehmer gem. § 615 S.1 BGB i.V.m. § 611 BGB Annahmeverzugslohnansprüche in Höhe der vereinbarten Vergütung für die Dauer des Kündigungsschutzverfahrens geltend machen, sofern er in dieser Zeit nicht weiterbeschäftigt wurde. Je nach Verfahrensdauer können die Annahmeverzugslohnansprüche im Einzelfall die Höhe mehrerer Jahresgehälter des Arbeitnehmers erreichen.
Der Arbeitgeber kann Annahmeverzugslohnansprüche grundsätzlich dadurch abwenden, dass er dem Arbeitnehmer die (befristete oder auflösend bedingte) Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens anbietet (sog. „Prozessbeschäftigung“).
Zum konkreten Fall
Die Parteien in dem vom BAG entschiedenen Fall hatten zuvor über die Wirksamkeit einer durch den Arbeitgeber ausgesprochenen, außerordentlichen fristlosen Änderungskündigung und einer nachfolgenden außerordentlichen fristlosen Beendigungskündigung gestritten. In beiden Fällen fügte der Arbeitgeber ein Weiterbeschäftigungsangebot in das jeweilige Kündigungsschreiben ein. Konkret formulierte er im Schreiben der Änderungskündigung: „im Falle der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung durch Sie (also im Falle, dass Sie von einem unaufgelösten Arbeitsverhältnis ausgehen) oder im Falle der Annahme des folgenden Angebots erwarten wir Sie am 05.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt“. Im Schreiben der Beendigungskündigung formulierte er, dass er den Arbeitnehmer „im Falle der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung […] am 17.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt“ erwarte. Den jeweiligen Aufforderungen folgte der Arbeitnehmer nicht.
Nachdem die Rechtsunwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen rechtskräftig feststand, machte der Arbeitnehmer klageweise für die Zeit der streitigen Auseinandersetzung über die Kündigungen Annahmeverzugslohnansprüche geltend. Er führte an, dass sich der Arbeitgeber aufgrund der unwirksamen Kündigungen im Annahmeverzug befunden habe. Eine Weiterbeschäftigung sei ihm nicht zuzumuten gewesen, da ihm der Arbeitgeber „mannigfaches“ Fehlverhalten vorgeworfen, seine Person herabgewürdigt und selbst geltend gemacht habe, eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers sei ihm unzumutbar. Der Arbeitgeber wendete dagegen ein, dass er sich nicht im Annahmeverzug befunden habe, da der Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses nicht bei ihm weitergearbeitet habe.
Entscheidung des BAG
Anders als die Vorinstanzen folgte das BAG dem Arbeitnehmer und bejahte die Annahmeverzugslohnansprüche. Ausweislich der bislang lediglich als Pressemitteilung vorliegenden Entscheidung kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass wegen des widersprüchlichen Verhaltens des Arbeitgebers eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass er dem Arbeitnehmer kein ernstgemeintes Angebot zur Prozessbeschäftigung unterbreitet hat. Denn der Arbeitgeber sei selbst davon ausgegangen eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers sei ihm nicht zuzumuten. Diese Vermutung ist jedoch durch den Arbeitgeber widerlegbar.
Fazit und Praxishinweis
Die Entscheidung des BAG ist wenig überraschend und überzeugend. Ein Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer außerordentlich fristlos kündigt und zur Begründung der Kündigung – wie von § 626 Abs. 1 BGB gefordert – vorträgt, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht mehr zuzumuten, verhält sich widersprüchlich, wenn er dem Arbeitnehmer „einfach so“ die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses anbietet. Diese Widersprüchlichkeit ist nicht gegeben, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach dessen Obsiegen im Kündigungsschutzverfahren in erster Instanz und der Androhung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen „zur Abwendung der Zwangsvollstreckung“ erfolgt.
Weitere Möglichkeiten zur Abwehr von Annahmeverzugslohnansprüchen im Zusammenhang mit Kündigungsschutzprozessen finden Sie in unseren Blogbeiträgen vom 14. Juni 2021 und vom 23. Januar 2023.