Seit der Umsetzung der 2. Aktionärsrechterichtlinie sind Aufsichtsräte börsennotierter Aktiengesellschaften verpflichtet, die Vergütung von Vorstandsmitgliedern im Einklang mit einem vom Aufsichtsrat beschlossenen und von der Hauptversammlung gebilligten Vergütungssystem festzulegen. Der Mindeststandard, dem ein Vergütungssystem genügen muss, ist in § 87a Abs. 1 AktG gesetzlich geregelt. § 87 Abs. 2 S. 2 AktG legt fest, dass Abweichungen vom Vergütungssystem nur erlaubt sind, wenn dies im Interesse des langfristigen Wohlergehens der Gesellschaft notwendig ist. Aufsichtsräte werden mithin vor allem in klassischen Krisenfällen über Abweichungen nachdenken. Doch welche Vorsorge haben sie für solche Fälle zu treffen?
Inkonsistente gesetzliche Vorgaben
Bereits die gesetzlichen Vorgaben schränken die Flexibilität von Aufsichtsräten bei Abweichungen vom Vergütungssystem erheblich ein. Solche sollen nur möglich sein, wenn das Vergütungssystem selbst das Verfahren des Abweichens sowie die Bestandteile des Vergütungssystems, von denen abgewichen werden kann, benennt. Die gesetzliche Regelung ist in zweierlei Hinsicht missglückt. Einerseits verlangt sie vom Aufsichtsrat zu antizipieren, von welchen Vergütungsbestandteilen künftig womöglich einmal ausnahmsweise abgewichen werden soll. Das gleicht einem Blick in die Glaskugel. Andererseits liegt letztlich gar keine Abweichung vom Vergütungssystem vor, wenn dieses die Ausnahmefälle bereits explizit regelt.
Ohne Regelung keine Abweichung
Ungeachtet dieser misslungenen gesetzgeberischen Konzeption steht allerdings fest: ohne jegliche Regelungen im Vergütungssystem scheiden Abweichungen selbst dann aus, wenn sie aufgrund etwaiger Notlagen zwingend erscheinen. Aufsichtsräte sind damit gut beraten, im Vergütungssystem entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Ob dabei auch die Fälle näher umrissen werden sollten, in denen Abweichungen überhaupt möglich sind, wird in der Literatur nicht einheitlich beantwortet. Auch wenn das Gesetz dem Wortlaut nach nicht vorgibt zu konkretisieren, wann Gefahren für das langfristige Wohlergeben der Gesellschaft vorliegen, dürfte es zweckmäßig sein, diese Fälle zumindest grob zu umreißen (z.B. Unternehmenskrise, Finanzmarktkrise, Pandemie). Dagegen sollte keinesfalls darauf verzichtet werden im Detail festzulegen, von welchen Vergütungsbestandteilen abgewichen werden kann. Eine globale Öffnungsklausel dürfte angesichts des klaren Wortlautes des Gesetzes („die Bestandteile […], von denen abgewichen werden kann“) ausscheiden. Ebenso ist zwingend das bei einer beabsichtigten Abweichung einzuhaltende Verfahren festzulegen, wobei sich hier vor allem die Frage stellen dürfte, ob und welche Ausschüsse des Aufsichtsrates zu beteiligen sind.
Nur vorübergehend
Abweichungen vom Vergütungssystem dürfen stets nur vorübergehend erfolgen. Was genau das bedeutet ist weitgehend ungeklärt. Unter teleologischen Gesichtspunkten wird man dieses Merkmal gesellschaftsbezogen zu verstehen haben. Dient die Abweichung vom Vergütungssystem dazu, eine wirtschaftlich schwierige Lage der Gesellschaft zu überwinden, wird man Abweichungen während der Zeit, in der eine schwere wirtschaftliche Lage besteht, vereinbaren dürfen. Dabei wird man die Abweichungen im Anstellungsvertrag mit dem Vorstandsmitglied nicht auf die Dauer der Notlage befristen müssen. Ein Anstellungsvertrag darf nach Einschätzung des Verfassers damit für die gesamte Zeit, für die er geschlossen wird, vom Vergütungssystem abweichende Bestandteile enthalten, wenn er zu einer Zeit geschlossen wird, in der die wirtschaftliche Lage die Abweichung ermöglicht. Eine Missbrauchsmöglichkeit wird dadurch nicht eröffnet. Aktionäre können die Abweichungen vom Vergütungssystem dem Vergütungsbericht entnehmen (§ 162 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 AktG) und bei etwaigen Fehlentwicklungen spätestens nach vier Jahren im Rahmen der Hauptversammlung eine Anpassung des Vergütungssystems vornehmen, vgl. § 120a Abs. 1 AktG.
Beschränkter Anwendungsbereich
Oftmals wird der verhältnismäßig kleine Anwendungsbereich des § 87a Abs. 2 AktG verkannt. So stellen sich Fragen der Zulässigkeit von Abweichungen vom Vergütungssystem vor allem bei der Rekrutierung qualifizierter Vorstandsmitglieder oder anlässlich von Vertragsverlängerungen. Dabei geht es zumeist darum, dem Wunschkandidaten Begünstigungen zu gewähren, die das Vergütungssystem nicht vorsieht und weniger darum, Leistungen zu kürzen. Die Möglichkeit, vertragliche Leistungen eines Vorstandsmitglieds im Falle einer schlechten wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft herabzusetzen, folgt bereits aus § 87 Abs. 2 AktG. In der Praxis dient die Abweichungsmöglichkeit vom Vergütungssystem daher vor allem dazu, gerade in einer Krisenlage einen qualifizierten Sanierer mithilfe von Vergütungsanreizen an Bord zu holen.
Fazit
Möchten sich Aufsichtsräte die Möglichkeit vorbehalten, von dem für Vorstände geltenden Vergütungssystem abzuweichen, müssen sie diese Möglichkeit im Vergütungssystem vorsehen und konkret festlegen, welche Vergütungsbestandteile disponibel sind. Eine Auswertung zahlreicher Vergütungssysteme börsennotierter Gesellschaften hat dabei ergeben, dass Abweichungsmöglichkeiten nur unzureichend geregelt sind. Ob dies angesichts des geringen Anwendungsbereichs auf einer bewussten Vernachlässigung der Thematik beruht, ist kaum zu bewerten. In der Praxis ist jedoch immer wieder festzustellen, wie wenig sich Aufsichtsräte der Selbstbindung durch das von ihnen selbst der Hauptversammlung vorgelegte Vergütungssystem bewusst sind. Die Krux liegt mithin bereits in der Ausgestaltung des Vergütungssystems. Schon hierbei ist auf ausreichende Flexibilisierung zu achten, durch die auch unvorhergesehenen wirtschaftlichen Entwicklungen Rechnung getragen werden kann.