Die Digitalisierung der Arbeitswelt macht auch vor den „Werkstoren“ keinen Halt. Der technische Fortschritt macht es möglich, dass Leitungspersonal nicht mehr zwingend vor Ort sein muss, um Leitungsaufgaben wahrzunehmen. Arbeitsaufgaben können von Vorgesetzten aus weiter entfernten Niederlassungen mittels KI, Apps, Videokonferenzen oder klassisch per E-Mail delegiert und sogar kontrolliert werden. Um jedoch einen lokalen Betriebsrat an einem Standort wählen zu können, bedarf es zumindest eines Vorgesetzten vor Ort. Eine Abkehr von diesem Grundsatz zeichnet sich auch in einer immer digitalisierteren Arbeitswelt nicht ab.
Betriebsrat am Ort der Leitung
Naturgemäß ist die Wahl eines Betriebsrats an einen „Betrieb“ geknüpft. Ohne einen Betrieb oder qualifizierten Betriebsteil kann regelmäßig kein Betriebsrat gewählt werden. Die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Betriebsbegriff lässt sich im Hinblick auf die geforderte organisatorische Selbständigkeit leicht zusammenfassen:
Eine betriebsratsfähige Einheit kann nur dann angenommen werden, wenn an dem Standort auch tatsächlich Leitungspersonal physisch ansässig ist. Ist kein Vorgesetzter bspw. in einer Filiale angesiedelt, kann dort auch mangels organisatorischer Selbständigkeit kein Betriebsrat gewählt werden. Auf die Entfernung vom „Hauptbetrieb“ kommt es in diesem Fall nicht an.
Digitale Arbeitsformen bieten Chancen
Inzwischen organisiert eine Vielzahl von Unternehmen die Arbeit ihrer Beschäftigten mit Apps oder sonstigen technischen Tools. Die Beschäftigten erhalten zunehmend auch über Apps die Arbeitsanweisungen. Damit gleichlaufend kann das Leitungspersonal in zentraleren Einheiten zusammengefasst werden. Bei konsequenter Anwendung der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können Arbeitgeber aktiv ihre Betriebsabläufe anpassen und Zuständigkeitsbereiche der Betriebsräte gestalten. Besonders für Unternehmen, die noch über keinen Betriebsrat verfügen, bieten sich hier Chancen nur an einem Standort in Deutschland Leitungspersonal anzusiedeln, sodass nur ein Betriebsrat in Deutschland gewählt werden dürfte.
Ausblick: Kein Anlass für neue Maßstäbe
Vereinzelt kommt von Betriebsräten die Forderung nach einer Rechtsfortbildung oder einer „modernen“ Auslegung des Betriebsbegriffs auf. Zutreffenderweise lehnen die Arbeitsgerichte und zuletzt auch das LAG Niedersachsen (Beschluss v. 30.05.2024 – 5 TaBV 84/23) eine Abkehr von der ständigen Rechtsprechung ab. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber weit überwiegend auf digitale Kommunikationsmittel setzt.
Es ist nicht demnach erkennbar, inwiefern ein Betriebsrat sich an einem Ort für die Mitarbeiter einsetzen können soll, wenn dort keinerlei Entscheidungen getroffen, sondern lediglich umgesetzt werden. Ein Einfluss auf die Entscheidungen des Arbeitgebers und eine effiziente Mitbestimmung ist offensichtlich erschwert, wenn der Betriebsrat an einem anderen Standort ohne jede Leitung gewählt würde.
Der Betriebsrat kann schließlich nicht über Schichtpläne, Urlaubsgrundsätze oder technische Einrichtungen mit einer App verhandeln. Dies schließt sich bereits denklogisch aus.
Die Fortentwicklung des Betriebsbegriffs bleibt daher mehr eine politische als eine rechtliche Diskussion. Gleichwohl ist es absehbar, dass sich auch das Bundesarbeitsgericht mit den betriebsverfassungsrechtlichen Auswirkungen der Digitalisierung immer mehr auseinandersetzen und die geltenden Maßstäbe konkretisieren wird.