Politik, Verbände und Wissenschaft sind sich nicht einig, wenn es um Fragen der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette geht. Die Ampel-Koalition hat jetzt auf ihrer Pressekonferenz zum Bundeshaushalt 2025 am 05.07.2024 einen neuen Vorstoß gewagt: Die Bundesregierung plant, das (deutsche) Lieferkettengesetz nach dem Vorbild der Richtline (EU) 2924/1760 (CSDDD) zu entschlacken. Um den Bürokratieaufwand für Unternehmen zu senken, soll das deutsche Gesetz abgeschwächt werden. Im Grundsatz ein richtiger Gedanke. Es werden aber auch kritische Stimmen laut. Wir fassen die ersten Reaktionen für Sie zusammen.
Es geht turbulent zu beim Lieferkettengesetz. Nach intensiven Trilogverhandlungen, Widerständen aus Deutschland, Frankreich und Italien konnte auf europäischer Ebene am Ende ein Kompromissvorschlag gefunden werden (wir haben darüber berichtet). Die CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) wurde am 05.07.2024 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Sie muss nun von den Mitgliedstaaten binnen zwei Jahren umgesetzt werden. In Deutschland gilt schon seit 01.01.2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG).
Seit dem 01.01.2024 sind die Vorgaben und Berichtspflichten für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten zu beachten. CDU und CSU hatten Sorgen aus der Wirtschaft aufgegriffen: Zu befürchtende Wettbewerbsnachteile und Mehrbelastungen durch die Vorbereitung auf die europäische Lieferkettenrichtlinie mit seinen Pflichten, die teils über den deutschen Standard hinausgehen. Die CDU/CSU-Fraktion will das LkSG abschaffen. Eine entsprechende Gesetzesinitiative (20/11752) wurde im Juni eingebracht. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat sich Anfang Juni für eine Aussetzung des LkSG ausgesprochen, bis die europäische Regelung in deutsches Recht überführt ist.
Neue Pläne der Ampel-Koalition
Nun will die Ampel das LkSG zumindest deutlich abschwächen. Nur noch ca. ein Drittel der heute erfassten Unternehmen sollen das LkSG ab 01.01.2025 noch anwenden müssen. Das beträfe weniger als 1.000 Unternehmen. Zudem sollen die Berichtspflichten ausgesetzt werden. Unternehmen, die keine Berichte erstellen, müssen keine Sanktionen befürchten. Ähnliche Lockerungen lässt schon heute das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zu, welches eine Überprüfung der Übermittlung der Berichte und deren Veröffentlichung nach dem LkSG erst zum Stichtag 01.01.2025 angekündigt hat und verspätet eingereichte Berichte nicht ahnden will.
Jetzt soll es jedoch den Unternehmen grundsätzlich auch freigestellt sein, ob sie berichten oder nicht. Und sie können wählen, ob sie nach dem LkSG berichten oder eine europäische Nachhaltigkeitsberichterstattung nach der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive, Details dazu auf unserem Blog u.a. am 27.03.2024 und 06.09.2023) vornehmen.
Um den Unternehmen Planungssicherheit zu geben und sie von unnötigen Bürokratiekosten zu entlasten, solle die CSDDD noch in dieser Legislaturperiode in deutsches Recht umgesetzt werden. Dennoch sollen die Vorgaben der Richtline für deutsche Unternehmen nicht früher gelten als für Unternehmen anderer EU-Länder: „Alle Regeln, die über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus in der europäischen Richtlinie enthalten sind, werden zum europarechtlich spätestmöglichen Zeitpunkt umgesetzt“, erklärte Bundesfinanzminister Lindner auf der Pressekonferenz. Unternehmen, die schon heute nach dem LkSG berichten müssen (mehr als 1.000 Beschäftigte), würden zum Teil erst ab 2029 der Berichtspflicht unterfallen. Denn die CSDDD sieht folgende Staffelung vor:
- ab 2027: Unternehmen mit > 5.000 Beschäftigten und EUR 1.500 Millionen
- ab 2028: Unternehmen mit > 3.000 Beschäftigten und EUR 900 Millionen
- ab 2029: Unternehmen mit > 1.000 Beschäftigten und EUR 450 Millionen
Doch rechtliche Bedenken werden laut
Einigkeit besteht darin, die CSDDD schnell umzusetzen. Die geplanten Einschränkungen stoßen trotz der zugrunde gelegten Motivation, den Unternehmen Erleichterungen zu verschaffen, auf Kritik. Ob die angekündigten Änderungen kommen, bleibt auch wegen bestehender rechtlicher Bedenken ungewiss.
Anlass dazu liefert die CSDDD selbst. In Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie heißt es: „Diese Richtlinie darf nicht als Rechtfertigung für eine Senkung des in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten oder in zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Tarifverträgen vorgesehenen Niveaus des Schutzes der Menschenrechte, Beschäftigungs- und sozialen Rechte oder des Umwelt- oder Klimaschutzes dienen.“
Nach einem von Oxfam und Germanwatch beauftragten Gutachten zu „Möglichkeiten und Grenzen der Gestaltung des Anwendungsbereiches des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) bei der Umsetzung der Corporate Sustainability Due Dilligence Directive (CSDDD)“ ist es europarechtswidrig, den Anwendungsbereich des LkSG und die Zahl der erfassten Unternehmen einzuschränken, wenn dies
- unter Verweis auf das europäische Lieferkettengesetz erfolgte und
- zu einer Verschlechterung des Schutzniveaus gegenüber dem nationalen Recht führte.
Ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Verkündung der CSDDD und der Vorstellung der Pläne der Bundesregierung, beides am 05.07.2024, dürfte gegeben sein. Der sachliche Bezug zur CSDDD dürfte ebenfalls zu bejahen sein. Eine Verschlechterung des Schutzniveaus des LkSG wäre jedenfalls so lange gegeben, bis die heutige Schwelle von 1.000 Beschäftigten auch nach der CSDDD gilt.
Fazit
Ob ein Hinausschieben der Berichtspflichten tatsächlich die von der Ampel suggerierte Bürokratieentlastung bringt, wäre abzuwarten. Es dürfte kaum Rechts- und Planungssicherheit bringen, wenn die Berichtspflichten bereits nach zwei Jahren wieder aufgenommen werden müssten.
Klar ist: Unternehmen müssen früher oder später menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltsplichten in ihren Lieferketten beachten. Dazu braucht es die richtigen Prozesse. Denn ein effektives Risikomanagement lässt sich nicht über Nacht aufsetzen. Eine frühzeitige Umsetzung der LkSG-Vorgaben kann den entscheidenden Wettbewerbsvorteil bringen. Unternehmen, die dies bisher verpasst haben, dürften aufatmen können, wenn sie mehr Zeit gewinnen, um sich compliant aufzustellen. Für alle anderen bietet ein Aufschub durch die Bundesregierung eine Möglichkeit für Nachschärfungen, etwa bei der richtigen Auswahl des Menschenrechtsbeauftragen oder Beschwerdebeauftragen nach dem LkSG.
Unternehmen sollten daher ihre laufenden Prozesse bzw. Umsetzungsbemühungen unverändert fortsetzen. Inwieweit den Worten auch Taten folgen, bleibt ungewiss. Jedenfalls besteht ein rechtliches Risiko, dass eine Abschwächung des LkSG einen Verstoß gegen das Verschlechterungsgebot der CSDDD bedeutet.