Mit dem 2018 in Kraft getretenen ersten Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) war der Gesetzgeber angetreten, den Verbreitungsgrad der betrieblichen Altersversorgung (bAV) in Deutschland zu erhöhen (vgl. hierzu bereits unseren Blogbeitrag aus 2017). Der Erfolg blieb überschaubar. Seit 2019 stagniert die Verbreitungsquote: Nach wie vor erhalten nur gut die Hälfte der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten eine bAV. Besonders in kleineren Unternehmen und bei Beschäftigten mit geringem Einkommen spielt die bAV in der Praxis weiterhin kaum eine Rolle. Abhilfe soll nunmehr ein zweites BRSG schaffen, dessen aktueller Regierungsentwurf am 18.9.2024 veröffentlicht wurde. Welche wesentlichen arbeitsrechtlichen Neuerungen der Entwurf vorsieht, zeigt der folgende Beitrag.
(Geringfügige) Ausweitung der Möglichkeiten zur Abfindung
Die rechtlichen Möglichkeiten, im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Rentenanwartschaften abzufinden, sind durch § 3 BetrAVG eng begrenzt. In der Regel wird eine Abfindung nur bei sogenannten Bagatellanwartschaften in Betracht kommen. Diese sind, wie der Name bereits vermuten lässt, ausgesprochen niedrig. 2024 liegt diese Bagatellgrenze für monatliche Renten bei 35,35 € (bzw. in den neuen Bundesländern 34,65 €) und für einmalige Kapitalleistungen bei 4.242,00 € (bzw. in den neuen Bundesländern 4.158,00 €).
Die Wertgrenzen sollen nach dem vorliegenden Regierungsentwurf verdoppelt werden – allerdings nur für den Fall, dass die Abfindung mit Zustimmung des Arbeitnehmers erfolgt und der Abfindungsbetrag unmittelbar zur Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung verwendet wird.
In der Praxis wird mit dieser Änderung wohl keine signifikante Ausweitung der Abfindungsmöglichkeit einhergehen, zumal auch die neuen Wertgrenzen immer noch (deutlich zu) gering ausfallen. Zudem dürfte eine Übertragung auf die gesetzliche Rentenversicherung für die meisten Arbeitnehmer nicht sonderlich attraktiv sein.
Weiterentwicklung des Sozialpartnermodells
Bereits mit dem ersten BRSG hat der Gesetzgeber 2018 die Möglichkeit eröffnet, durch Tarifvertrag eine betriebliche Altersversorgung in Form einer reinen Beitragszusage einzuführen (sog. Sozialpartnermodell). Anders als bei den „klassischen“ Zusageformen verpflichtet sich der Arbeitgeber bei der reinen Beitragszusage lediglich zur Erbringung bestimmter Versorgungsbeiträge während des laufenden Arbeitsverhältnisses, ohne eine bestimmte Versorgungsleistung ab Eintritt des Leistungsfalls zu garantieren.
Trotz der diversen Vorteile, die eine reine Beitragszusage für den Arbeitgeber bietet (z.B. verringertes Anlagerisiko, keine Beitragspflicht zur Insolvenzsicherung über den Pensionssicherungsverein, keine Anpassungsprüfpflichten nach § 16 BetrAVG) blieb der große Durchbruch des Sozialpartnermodells aus. Entsprechende Modelle gibt es bislang nur vereinzelt in der Energie- und Chemiebranche sowie im Bankensektor. Im zweiten Anlauf möchte der Gesetzgeber nunmehr nachbessern, um die Verbreitung des Sozialpartnermodells zu fördern.
Neue Regelungen zur Öffnung für nichttarifgebundene Unternehmen
Hierzu sollen insbesondere die Möglichkeiten für nichttarifgebundene Arbeitgeber erweitert werden, sich einem bestehenden Sozialpartnermodell anzuschließen. Der aktuelle Regierungsentwurf sieht insoweit eine Neufassung des § 24 BetrAVG vor.
Zukünftig soll nicht nur (wie bislang) eine Bezugnahme auf die räumlich, zeitlich, fachlich und persönlich einschlägigen tariflichen Regelungen zum Sozialpartnermodell möglich sein. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollen vielmehr auch die Anwendung eines nicht einschlägigen Tarifvertrages vereinbaren können. Dies setzt allerdings voraus, dass
- ein solcher Anschluss durch einen einschlägigen Tarifvertrag zugelassen wird oder
- das Arbeitsverhältnis in den satzungsgemäßen Zuständigkeitsbereich der das Sozialpartnermodell tragenden Gewerkschaft fällt.
Der Anschluss an ein bestehendes Sozialpartnermodell setzt zudem (ob einschlägig oder nicht) in jedem Fall die Zustimmung der das Modell tragenden Tarifvertragsparteien voraus. Zu der praktischen Frage, wie die erforderliche Zustimmung zu erteilen ist, findet sich im Wortlaut der beabsichtigten Neufassung des § 24 BetrAVG bedauerlicherweise keine Antwort. Zumindest in der Entwurfsbegründung wird jedoch klargestellt, dass die Zustimmung nicht ausdrücklich für jeden Einzelfall gesondert erfolgen muss, sondern formfrei nach abstrakten Merkmalen für eine Vielzahl von Fällen z.B. im Tarifvertrag selbst oder durch gesonderte Erklärung der Tarifvertragsparteien erfolgen kann.
Ob die neuen Öffnungsregelungen tatsächlich merklich zur Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung beitragen werden, bleibt abzuwarten. Eine nicht unerhebliche Rolle wird dabei sicherlich die geplante neue Reglung in § 24 Abs. 4 BetrAVG spielen, wonach die Tarifvertragsparteien Dritte, die sich dem Modell anschließen, an den Kosten beteiligen können – beispielweise durch einen höheren Beitragssatz für nichttarifgebundene Arbeitgeber. Hier wird die Praxis zeigen, wie attraktiv der Anschluss an ein Sozialpartnermodell in finanzieller Hinsicht insbesondere für kleinere und mittelständische Unternehmen sein wird.
Ausweitung der Optionssysteme bei der Entgeltumwandlung
Auch die bislang in § 20 BetrAVG geregelten Möglichkeiten zur Einführung sogenannter Optionssysteme im Bereich der Entgeltumwandlung sollen erweitert werden. Bei einem solchen System nehmen grundsätzlich alle Arbeitnehmer automatisch an einer Entgeltumwandlung teil. Sofern der einzelne Arbeitnehmer dies nicht wünscht, muss er der Teilnahme widersprechen („Opt-Out“).
Auf Grundlage der derzeitigen Fassung des § 20 BetrAVG können solche Optionssysteme allerdings nur durch einen Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrages durch eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung eingeführt werden. Zukünftig soll die Einführung auch ohne tarifliche Grundlage durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung möglich sein. Dies setzt allerdings voraus, dass der Arbeitgeber mindestens 20 % des umgewandelten Entgelts als Zuschuss beisteuert.
Auch die Anreizwirkung dieser Neuregelung für die Verbreitung der Entgeltumwandlung erscheint zweifelhaft. Die Zuschusshöhe könnte in der Praxis zum Hemmschuh werden, zumal diese (deutlich) über dem Zuschuss in Höhe von 15 % liegt, den der Arbeitgeber bei einer „normalen“ Entgeltumwandlung gemäß § 1a Abs. 1a BetrAVG maximal leisten muss.
Änderung der Regelungen zum vorzeitigen Bezug einer Betriebsrente
Nach aktueller Gesetzeslage hat ein Versorgungsberechtigter – sofern er die Leistungsvoraussetzungen der einschlägigen Versorgungszusage erfüllt – einen Anspruch auf die zugesagte Betriebsrente, sobald er eine Vollrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch nimmt. Zukünftig soll hierfür bereits der Bezug einer Teilrente genügen. Die Besonderheit einer Teilrente besteht darin, dass der Arbeitnehmer während ihres Bezugs üblicherweise in Teilzeit weiterarbeitet und während der fortgesetzten Erwerbstätigkeit weiterhin Sozialversicherungsbeiträge zur Steigerung seiner späteren Vollrente leistet. Anders als bei einer Vollrente setzt der Versorgungsberechtigte sein Arbeitsverhältnis während des Bezugs einer Teilrente somit in der Regel fort.
Die beabsichtigte Neuregelung hätte mithin zur Folge, dass Mitarbeiter häufig bereits im laufenden Arbeitsverhältnis eine vorgezogene Betriebsrente in Anspruch nehmen könnten. Dies dürfte in der Regel nicht im Sinne des Arbeitgebers sein, zumal hieraus ein nicht unerheblicher Verwaltungsaufwand resultieren kann, vor allem, wenn der Mitarbeiter parallel zum Rentenbezug weiterhin an einer Entgeltumwandlung teilnimmt.
Diese Probleme lassen sich durch eine entsprechende Ausgestaltung der Versorgungszusage lösen, bspw. indem für den Bezug einer (vorgezogenen) Betriebsrente die vorherige Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorausgesetzt wird. Die Festlegung derartiger Leistungsvoraussetzungen bleibt ausweislich der Begründung zum Regierungsentwurf auch weiterhin zulässig.
Für Unternehmen, deren Versorgungszusagen noch keine solche Regelung enthalten, ergibt sich vor diesen Hintergrund möglicherweise Nachbesserungsbedarf. Die gute Nachricht: Die Änderung des § 6 BetrAVG soll (anders als noch im vorherigen Referentenentwurf vorgesehen) nicht unmittelbar nach Verkündigung des Gesetzes, sondern erst zum 1.1.2026 in Kraft treten. Damit räumt der Entwurf den Arbeitgebern eine „Schonfrist“ ein, die sie zur Anpassung ihrer bestehenden Versorgungsregelungen nutzen können.
Fazit
Auf Grundlage des aktuellen Regierungsentwurfs wird auch das zweite BRSG wohl kaum zu der vom Gesetzgeber erhofften flächendeckenden Verbreitung der bAV führen. Vor diesem Hintergrund könnte es mittelfristig zu einem Paradigmenwechsel im deutschen Betriebsrentenrecht kommen: 2028 sollen die Effekte der neuen Maßnahmen, insbesondere der Öffnung des Sozialpartnermodells, durch das BMAS evaluiert werden. Sollte sich dann ergeben, dass das Ziel des weiteren Auf- und Ausbaus der bAV nicht erreicht wurde, ist die Prüfung weiterer Handlungsoptionen vorgesehen. Ausdrücklich genannt wird dabei insbesondere die Einführung verpflichtender Betriebsrenten auf Basis von reinen Beitragszusagen.