Durch den mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz im Jahr 2021 geschaffenen § 15 Abs. 3b Kündigungsschutzgesetz wurde ein tatbestandlich beschränkter Sonderkündigungsschutz auf sogenannte Vorfeldinitiatoren einer Betriebsratswahl ausgeweitet. In der Folgezeit kamen Gerichte zu dem Schluss, dass der Status als Vorfeldinitiator einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung vor der ersten Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag begründe. Dem ist das LAG Köln zuletzt überzeugend entgegengetreten.
Der Sonderkündigungsschutz für Vorfeldinitiatoren von Betriebsratswahlen
Im Jahr 2021 wurde mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz in § 15 Abs. 3b Kündigungsschutzgesetz ein neuer Kündigungsschutztatbestand für betriebsratslose Betriebe geschaffen, der unabhängig von der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes greift, also auch in Kleinbetrieben sowie während der Wartezeit. Nach dieser Norm ist die „Kündigung eines Arbeitnehmers, der Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats oder einer Bordvertretung unternimmt und eine öffentlich beglaubigte Erklärung mit dem Inhalt abgegeben hat, dass er die Absicht hat, einen Betriebsrat oder eine Bordvertretung zu errichten, (…) unzulässig“. Dieser Sonderkündigungsschutz für sogenannte Vorfeldinitiatoren gilt allerdings nur für ordentliche verhaltensbedingte und personenbedingte Kündigungen. Außerordentliche fristlose Kündigungen sowie ordentliche betriebsbedingte Kündigungen bleiben zulässig. Vorbereitungshandlungen im Sinne der Vorschrift sind alle Verhaltensweisen, die aus Sicht eines Dritten zur Vorbereitung einer Betriebsratswahl geeignet sind. Hierunter fallen zum Beispiel die Kontaktaufnahme zu einer Gewerkschaft, um Informationen zur Betriebsratswahl zu erhalten oder Gespräche mit anderen Arbeitnehmern, um die Unterstützung für eine Betriebsratsgründung zu ermitteln, das Für und Wider einer Betriebsratsgründung zu besprechen oder Schritte zu planen, die für die Planung und Durchführung einer Betriebsratswahl relevant sein können (vgl. BT-Drs. 19/28899, 24). Zeitlich gilt der besondere Kündigungsschutz bereits ab Abgabe der öffentlich beglaubigten Erklärung bis zum Zeitpunkt der Einladung zu einer Betriebsratswahl, längstens jedoch für drei Monate (siehe zu diesem Sonderkündigungsschutz bereits unseren Blog).
Der Weiterbeschäftigungsanspruch
Im bestehenden Arbeitsverhältnis haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung, soweit dem nicht im Einzelfall überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Wird das Arbeitsverhältnis gekündigt und der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses infolge der Erhebung einer Kündigungsschutzklage streitig, begründet die nun eintretende Ungewissheit über dessen Fortbestand ab Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses regelmäßig ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung. Der Beschäftigungsanspruch entfällt nach Ablauf der Kündigungsfrist für die Dauer des Prozesses. Von diesem Grundsatz gibt es – außerhalb des Anwendungsbereichs des § 102 Abs. 5 BetrVG – im Wesentlichen zwei Ausnahmen:
- Ein erstinstanzliches Gericht stellt die Unwirksamkeit der Kündigung fest: Das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Weiterbeschäftigung überwiegt nun regelmäßig.
- Die Kündigung ist offensichtlich unwirksam: Es besteht de facto kein ernsthafter Zweifel am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, der eine Verschiebung der Interessenlage bezüglich der tatsächlichen Beschäftigung rechtfertigen würde. Voraussetzung ist jedoch, dass die Unwirksamkeit der Kündigung gleichsam „auf der Stirn geschrieben steht“ (z.B. denkbar bei fehlender Schriftform).
Einfluss des Sonderkündigungsschutzes auf den Weiterbeschäftigungsanspruch?
In der Praxis stellte sich bereits kurze Zeit nach Inkrafttreten der Norm die Frage, ob und wie sich der Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 3b KSchG auf den Weiterbeschäftigungsanspruch eines Vorfeldinitiators auswirkt. In diesem Zusammenhang leitete zunächst das ArbG Kassel (v. 10.2.2022 – 3 Ga 1/22) aus der Wertentscheidung des § 15 Abs. 3b KSchG, die erstmalige Wahl eines Betriebsverfassungsorgans abzusichern, ein überragendes ideelles Beschäftigungsinteresse eines Vorfeldinitiators ab. Zwar seien ordentliche betriebsbedingte Kündigungen von der Norm nicht erfasst, jedoch erlange diese Wertentscheidung in der Betriebspraxis nur dann tatsächliche Wirksamkeit, wenn das Kündigungsverbot des § 15 Abs. 3b KSchG mit einem ohne Verzögerung durchsetzbaren Beschäftigungsanspruch der Vorfeldinitiatoren flankiert werde. Denn die von § 15 Abs. 3b KSchG bezweckte Absicherung der erstmaligen Errichtung eines Betriebsrates werde konterkariert, wenn gegenüber Vorfeldinitiatoren eine vermeintliche, vom Kündigungsverbot nicht erfasste ordentliche betriebsbedingte Kündigung erfolge und mit einer Freistellung kombiniert werde. Ohne tatsächliche Beschäftigung, die den Vorfeldinitiatoren Zugang zum Betrieb gewährleiste, sei eine sinnvolle Vorbereitung der Betriebsratswahl in Frage gestellt. Der Schutzzweck der Norm verlange eine unverzügliche Durchsetzbarkeit einer Weiterbeschäftigung der Vorfeldinitiatoren. Dieser Auffassung schloss sich sodann das ArbG Bonn (v. 6.12.2023 – 4 Ga 27/23) im Wesentlichen an. Es „begrenzte“ den Weiterbeschäftigungsanspruch allerdings – unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO – auf Maßnahmen, die für die Vorbereitung der Betriebsratswahl erforderlich sind.
Anfang des Jahres trat das LAG Köln (v. 19.1.2024 – 7 GLa 2/24) vorgenannter Auffassung entgegen. Zu dem Fall einer betriebsbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers, der zuvor in einer WhatsApp-Gruppe mit zwei Kollegen das Thema einer Betriebsratswahl erörtert hatte, stellte das LAG fest, dass der Status als Vorfeldinitiator einer Betriebsratswahl nicht geeignet sei, die Interessenabwägung im Hinblick auf den allgemeinen Beschäftigungsanspruch entscheidend zu beeinflussen. § 15 KSchG diene nicht primär den persönlichen Interessen des erfassten Personenkreises, sondern den kollektiven Interessen der Belegschaft an der unabhängigen und von willkürlichen Maßnahmen des Arbeitgebers nicht bedrohten Amtsführung des Betriebsrats. Betroffen seien damit ausschließlich kollektivrechtliche Rechtspositionen. Bei der Interessenabwägung im Rahmen einer Kündigung komme es hingegen nicht auf die kollektiven Interessen des Betriebsrats und der Belegschaft am Verbleib der betroffenen Person in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Funktion an, sondern allein auf das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers und das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers. Es sei nicht ersichtlich, weshalb für die Interessenabwägung im Hinblick auf den Weiterbeschäftigungsanspruch ein anderer Maßstab gelten sollte.
Bewertung und Praxisausblick
Die Entscheidung des LAG Köln überzeugt sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung. Zunächst steckt sie die Grenzen des Sonderkündigungsschutzes für Vorfeldinitiatoren einer Betriebswahl ab: Außerordentliche Kündigungen bleiben ebenso wie betriebsbedingte ordentliche Kündigungen möglich. Ferner stellt die Entscheidung überzeugend klar, dass § 15 Abs. 3b KSchG dem Schutz der Betriebsverfassung und nicht der ideellen Interessen des einzelnen Arbeitnehmers dient. Deshalb besteht außerhalb einer offensichtlichen Unwirksamkeit der Kündigung eines Vorfeldinitiators vor Erlass einer erstinstanzlichen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag grundsätzlich kein Weiterbeschäftigungsanspruch.