Tarifliche Vergütungssysteme sind oftmals stark ausdifferenziert. Für gewöhnlich besteht zwischen tariflichen Entgeltgruppen ein Mindestabstand, der bei einem Gruppenaufstieg zu einer erheblich verbesserten Vergütung der betroffenen Arbeitnehmer-/innen führt. Seit langem bereits war streitig, ob sich der aus der Tarifsystematik ergebende Vergütungsabstand zwischen den Entgeltgruppen auch beim „Sprung“ in den außertariflichen Bereich fortsetzen muss. Die mit Spannung erwartete Entscheidung des BAG vom 23.10.2024 (Außertariflicher Angestellter – Vergütungsabstand zur höchsten tariflichen Vergütung – Das Bundesarbeitsgericht) bringt Licht ins Dunkel.
Ausgangslage
Charakteristisch für außertarifliche Angestellte ist regelmäßig, dass sie aufgrund der Höhe ihres Arbeitsentgelts nicht vom persönlichen Geltungsbereich des jeweils einschlägigen (Entgelt-)Tarifvertrags erfasst werden. Einige Tarifverträge definieren diese Arbeitnehmergruppe so, dass ihr Entgelt dasjenige der höchsten tariflichen Entgeltgruppe um einen bestimmten Prozentsatz übersteigt (sog. Abstandsgebot). Oft wird dadurch der (Mindest-)abstand zwischen den einzelnen Entgeltgruppen des Tarifvertrags nachgezeichnet. Doch was gilt, wenn ein Tarifvertrag gar keinen Mindestabstand festsetzt, sondern ein „regelmäßiges Überschreiten“ des Entgelts der höchsten tariflichen Entgeltgruppe für die Zuordnung zum AT-Bereich ausreichen lässt? Dies ist geschehen im Entgeltrahmenabkommen der Metall- und Elektroindustrie NRW.
Abweichende instanzgerichtliche Ansichten
Bereits in unserem Blog-Beitrag vom 24.10.2017 hatten wir auf eine Entscheidung des LAG Köln vom 28.4.2016 (Landesarbeitsgericht Köln, 8 Sa 1193/15) verwiesen, die zumindest weithin so verstanden wurde, dass es nach Auffassung der dortigen Richter einen Mindestabstand zwischen der Maximalvergütung in der höchsten tariflichen Entgeltgruppe und der geringsten außertariflichen Vergütung geben müsse. Denn dem dort klagenden AT-Angestellten wurde die begehrte Mehrvergütung mit einem Verweis auf die Vergütungsdifferenzen zwischen den tariflichen Entgeltgruppen zugesprochen. Ausdrücklich lehnten die Kölner Richter die Auffassung der Arbeitgeberin ab, wonach es für den Status als AT-Arbeitnehmer bereits ausreiche, wenn die tarifliche Maximalvergütung nur um einen Cent überschritten werde.
Im vergangenen Jahr sah das LAG Düsseldorf (Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 3 Sa 360/23) dies ausdrücklich anders. Die dortige Kammer, die sich ebenfalls mit dem Entgeltrahmenabkommen der Metall- und Elektroindustrie NRW auseinandersetzen musste, erkannte aufgrund des eindeutigen Wortlauts der tarifvertraglichen Regelung keinen Spielraum, einen Mindestabstand zwischen höchster tariflicher und geringster außertariflicher Vergütung in die Bestimmungen zum persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags „hineinzulesen“. Die vom Kläger begehrte ergänzende Tarifauslegung lehnte das LAG ausdrücklich ab. Sehr pointiert hielten die Düsseldorfer Richter in ihrem Leitsatz fest, mangels anderweitiger tarifvertraglicher Regelung betrage der Mindestabstand der AT-Vergütung zur höchsten tariflichen Entgeltgruppe einen Cent.
Das BAG folgt der Entscheidung des LAG Düsseldorf
Das BAG ist der sorgsam begründeten Entscheidung des LAG Düsseldorf nun mit Urteil vom 23.10.2024 gefolgt. Auch wenn die Entscheidungsgründe noch auf sich warten lassen, so ist bereits der Pressemitteilung zu entnehmen, dass der 5. Senat – völlig zurecht – dem Tarifwortlaut maßgebliche Bedeutung beimisst. Zwar betonen auch die Erfurter Richter, dass die Vergütung außertariflicher Angestellter einen tarifvertraglich vorgeschriebenen Mindestabstand zur höchsten tariflichen Vergütung wahren muss. Wenn ein solcher in den tariflichen Bestimmungen jedoch nicht vorgesehen sei, sondern bereits ein regelmäßiges Überschreiten des höchsten tariflichen Entgelts für den Status als außertariflicher Angestellter ausreiche, könne ein Mindestabstandsgebot nicht dem übrigen Tarifwerk durch eine ergänzende Tarifauslegung entnommen werden. Seien etwaige Abstandsklauseln von den Tarifvertragsparteien gewollt, müssten solche hinreichend klar und deutlich in den Tarifvertrag aufgenommen werden.
Fazit
Die Entscheidung des BAG ist zu begrüßen. Sie schafft Klarheit, dass die Tarifvertragsparteien keinen prozentualen Mindestabstand zwischen der höchsten tariflichen und der geringsten außertariflichen Vergütung festlegen müssen und ein solcher nicht geboten ist. Alles andere wäre mit der Tarifautonomie auch kaum zu vereinbaren. Welche Bedeutung der Entscheidung in der Praxis tatsächlich zukommt, wird sich erst noch zeigen müssen. Auch wenn zu erwarten ist, dass die Sensibilität für das Thema Mindestabstandsklauseln bei den Tarifvertragsparteien zunehmen wird, bleibt offen, in welchem Maße Gewerkschaften in künftigen Tarifverhandlungen dieses Thema aktiv vorantreiben werden.