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Tendenzschutz und seine Auswirkungen im Arbeitsrecht

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Tendenzschutz können zum Beispiel politische Parteien, Zeitungs- und Buchverlage, Nachrichtenagenturen, Rundfunk- und Fernsehsender, Privatschulen sowie Behindertenwerkstätten genießen. Der Begriff des Tendenzbetriebs folgt dabei aus § 118 Abs. 1 BetrVG. Genießt ein Betrieb Tendenzschutz, also eine besondere Freiheit, seine Tätigkeit nach seinen Überzeugungen und Zielsetzungen zu gestalten, kann dies sowohl Auswirkungen auf die individualarbeitsrechtliche Ebene haben als auch insbesondere die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats betreffen.

Tendenzbetriebe sind dabei solche, die unmittelbar oder überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen und damit eine grundrechtsorientierte Zielsetzung in ihrem unternehmerischen Handeln verwirklichen (§ 118 Abs. 1 BetrVG). Sind diese Voraussetzungen gegeben, steht es der Anerkennung als Tendenzbetrieb regelmäßig nicht entgegen, wenn der Arbeitgeber neben dem geistig-ideellen Ziel einen Erwerbszweck verfolgt und deshalb mit Gewinnerzielungsabsicht handelt. Der Tendenzschutz soll verhindern, dass betriebliche Mitbestimmung und Arbeitnehmerrechte die spezifische Ausrichtung und Zielsetzung solcher Organisationen beeinträchtigen. In der Praxis bedeutet dies, dass Tendenzbetriebe bei Entscheidungen, die ihre Ausrichtung oder Überzeugungen betreffen, größeren Spielraum haben und bestimmte Bereiche der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmung eingeschränkt sind.

Eingeschränkte Mitbestimmung

Betriebsräte haben in Tendenzbetrieben weniger bzw. eingeschränkte Mitbestimmungsrechte. Nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG finden in Tendenzbetrieben die Vorschriften des BetrVG keine Anwendung, soweit die Eigenart des Betriebes dem entgegensteht. Diese „Eigenartklausel” begrenzt das Beteiligungsrecht des Betriebsrats. Es muss sich jedoch jeweils um eine tendenzbezogene Maßnahme handeln, damit das Beteiligungsrecht des Betriebsrats eingeschränkt ist.

So kann das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen nach §§ 99 und 102 BetrVG eingeschränkt sein, wenn von der Maßnahme ein Tendenzträger betroffen ist und die geplante Einzelmaßnahme Tendenzbezug hat. Ein Arbeitnehmer gilt grundsätzlich dann als Tendenzträger, wenn die Bestimmungen und Zwecke des betreffenden Betriebs seine Tätigkeit prägen. Es sind solche Mitarbeiter als Tendenzträger einzuordnen, die bei tendenzbezogenen Tätigkeitsinhalten im Wesentlichen frei über die Aufgabenerledigung entscheiden können und bei denen diese Tätigkeit einen bedeutenden Anteil an ihrer Gesamtarbeitszeit ausmacht. Ob ein Arbeitnehmer Tendenzträger ist, ist jeweils im Einzelfall je nach Tätigkeit zu beurteilen. Schließlich muss auch die geplante Einzelmaßnahme Tendenzbezug haben. Es geht hier vor allem um die Freiheit des Arbeitgebers, Personen seines Vertrauens mit den Arbeiten zu beauftragen, die prägend für die Verwirklichung der geistig-ideellen Zielsetzung sind. Die Eigenart des Betriebs steht einem Beteiligungsrecht jedoch nicht bereits dann entgegen, wenn die Regelung die geistig-ideelle Zielsetzung irgendwie berührt, sondern nur, wenn die Ausübung des Beteiligungsrechts die Tendenzverwirklichung ernstlich beeinträchtigen kann.

Einstellung und Versetzung von Tendenzträgern sind dabei nach Ansicht des BAG regelmäßig tendenzbezogene Maßnahmen. Das führt dazu, dass das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 BetrVG durch § 118 Abs. 1 BetrVG eingeschränkt wird und der Arbeitgeber den Betriebsrat lediglich über die personelle Einzelmaßnahme informieren und ihn anhören, jedoch nicht seine Zustimmung einholen muss. In Bezug auf Kündigungen entfällt das Widerspruchsrecht des Betriebsrats nach § 102 Abs. 3 BetrVG, wenn einem Tendenzträger aus tendenzbezogenen Gründen gekündigt werden soll. Es entfällt jedoch wiederum nicht die Informationspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG.

Der Betriebsrat hat jedoch trotz Tendenzschutz grundsätzlich ein Mitbestimmungsrecht in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG. Nach überwiegender Meinung kommt eine Einschränkung des Mitbestimmungsrechts in sozialen Angelegenheiten bei Tendenzbetrieben nur in Ausnahmefällen in Betracht, da es hier meist um den wert- und tendenzneutralen Arbeitsablauf des Betriebes geht. Ein Ausnahmefall kann jedoch nach Ansicht des BAG vor allem bei der Festlegung der Arbeitszeit gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG vorliegen (z. B. in Bezug auf den Redaktionsschluss).

Eingeschränkter Kündigungsschutz

Arbeitgeber in Tendenzbetrieben können teilweise erweiterte Möglichkeiten haben, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, wenn ein Arbeitnehmer gegen die Tendenz des Unternehmens handelt oder öffentlich im Widerspruch dazu steht. Dies gilt besonders für Mitarbeiter in Leitungs- oder Repräsentationspositionen. Zwar findet das KSchG grundsätzlich auch auf Arbeitsverhältnisse in Tendenzbetrieben Anwendung. Im Unterschied zu § 118 BetrVG kennt das KSchG keinen Tendenzvorbehalt. Dennoch rechtfertigt der Tendenzschutz besondere Anforderungen an die Eignung und das Verhalten des Arbeitnehmers und kann deshalb bei der Konkretisierung der Kündigungsgründe des § 1 Abs. 2 KSchG von Bedeutung sein. Nach Ansicht des BAG wird zwar den in die Tendenzverwirklichung eingebundenen Arbeitnehmern der arbeitsrechtliche Bestandsschutz nach dem KSchG nicht generell versagt, jedoch muss der Tendenzschutz bei der Anwendung der Regeln des KSchG beachtet werden, so dass Arbeitnehmern eine gesteigerte Loyalität abverlangt werden kann.

Fazit

Der Tendenzschutz stärkt die Freiheit von Tendenzbetrieben, ihre ideelle Ausrichtung beizubehalten, auch wenn dies eine Beschränkung der Arbeitnehmer- und Betriebsratsrechte mit sich bringen kann. Für Tendenzbetriebe kann es sich daher im Einzelfall durchaus anbieten und lohnen, ein besonderes Augenmerk auf die Frage der Auswirkungen ihres Tendenzschutzes – vor allem in betriebsverfassungsrechtlichen Fragen – zu werfen.

Dr. Daniela Quink-Hamdan 

Rechtsanwältin
Fach­an­wäl­tin für Arbeitsrecht
Counsel
Daniela Quink-Hamdan berät Arbeitgeber vor allem zu Umstruk­tu­rie­run­gen sowie zu Fragen des Betriebs­ver­fas­sungs- und Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­rechts. Im Rahmen der Pro­zess­ver­tre­tung bringt sie ihre Erfah­run­gen als ehemalige Richterin in der Arbeits­ge­richts­bar­keit ein. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "Arbeitszeit und Arbeitszeiterfassung".
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