In einer digitalisierten Arbeitswelt ist eine effiziente Kommunikation innerhalb der Belegschaft unerlässlich. Die Nutzung von Head-Sets hat sich in vielen Branchen etabliert und ermöglicht ohne Zeitverzögerung einen schnellen Austausch selbst in einer größeren Gruppe. Sobald jedoch Technik auf die Arbeitswelt trifft, ist die Diskussion über Mitbestimmungsrechte vorprogrammiert. Daher sollten Arbeitgeber auch bei der Einführung von „einfachen“ IT-Systemen wie Head-Sets ihre Gestaltungsspielräume kennen.
IT-Systeme nicht ausnahmslos mitbestimmungspflichtig
Die Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die objektiv zur Erhebung von Verhaltens- oder Leistungsinformationen geeignet sind, betrifft bekanntlich das mittlerweile in die Jahre gekommene IT-Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG (siehe dazu Einführung von IT-Systemen bald auch (mal) ohne Beteiligung des Betriebsrats möglich?).
Das IT-Mitbestimmungsrecht wird von der Rechtsprechung weit ausgelegt. Gleichwohl lohnt sich stets eine genaue Prüfung der tatsächlichen Überwachungsmöglichkeit durch den Arbeitgeber.
Denn dort, wo der Arbeitgeber ein wahrgenommenes Verhalten oder eine Leistung einzelnen Mitarbeitern nicht zuordnen kann, besteht auch kein Überwachungsdruck. Je nach Ausgestaltung des IT-Systems kann durch eine zielgenaue Anonymisierung eine Identifizierung von einzelnen Arbeitnehmern und damit das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ausgeschlossen werden. Auch kann der Zugriff auf die von der technischen Einrichtung erhobenen Daten dergestalt beschränkt werden, dass der Arbeitgeber z.B. bei Fremdsoftware selbst keinen Zugriff auf diese erhalten kann.
Je nach Ausgestaltung der technischen Einrichtung kann deren Einführung einmal mitbestimmungspflichtig und einmal mitbestimmungsfrei sein.
BAG: Mithören führt zu Mitbestimmung
Das BAG hat sich in einer aktuellen Entscheidung vom 16.07.2024 – 1 ABR 16/23 mit der Frage beschäftigt, ob die Einführung von Head-Sets in der Filiale einer Modekette bereits ein Mitbestimmungsrecht auslöst.
Die Arbeitgeberin führte in einer Filiale zum Zwecke der effizienten Kommunikation zwischen den Mitarbeitern und Vorgesetzten Head-Sets ein. Diese konnten die Arbeitnehmer einem Gerätepool entnehmen, ohne dass – technisch oder von Hand – aufgezeichnet wurde, welcher Arbeitnehmer welches Gerät benutzt hat. Eine Aufzeichnung oder Speicherung der Gespräche erfolgte nicht. Es sollte nur eine Live-Übertragung ähnlich wie (früher) über Walkie-Talkies ermöglicht werden.
Gleichwohl hielt das BAG die bloße Möglichkeit des Mithörens der Gespräche durch ebenfalls in der Filiale tätige Führungskräfte für ausreichend, um eine Mitbestimmungspflicht des Betriebsrats auszulösen. Das BAG bejahte ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, da die Führungskräfte die sprechende oder angesprochene Person anhand der Stimme und/oder des Gesprächsinhalts identifizieren könnten. Zudem könnte ggf. unter Zuhilfenahme der Dienstpläne eine weitere Eingrenzung möglich sein.
Mit dieser Rechtsauffassung hat sich das BAG gegen das LAG Sachsen als unmittelbare Vorinstanz gestellt. Das LAG Sachsen hatte entschieden, dass ein Headset, welches nur der innerbetrieblichen Kommunikation diene, keine technische Überwachungseinrichtung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG darstelle. Eine Analyse der Entscheidung des LAG Sachsen v. 21.10.2022 – 4 TaBV 9/22 findet sich auf unserem Blog.
Lokaler Betriebsrat blieb trotzdem erfolglos
Im Ergebnis lehnte das BAG in der zitierten Entscheidung einen auf die Unterlassung der Nutzung der Head-Sets gerichteten Anspruch des lokalen Betriebsrats jedoch trotzdem ab. Zwar bestehe dem Grunde nach ein Anspruch, weil die einseitige Einführung der Head-Sets durch den Arbeitgeber gegen § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG verstoße. Allerdings habe nach Auffassung des BAG das falsche Betriebsratsgremium den Unterlassungsanspruch geltend gemacht. Der Unterlassungsanspruch stünde nur dem Gesamtbetriebsrat zu. Dies begründete das BAG damit, dass die Arbeitgeberin ihre IT-Angelegenheiten zentral aus Dublin heraus betreut und der einzelne Betrieb über keine eigene IT-Abteilung verfügt habe.
Vor diesem Hintergrund sei ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder jedenfalls betriebsübergreifende Regelung gegeben. Für derartige Angelegenheiten sei der Gesamtbetriebsrat nach § 50 Abs. 1 S. 1 BetrVG originär zuständig.
Praxisausblick und Handlungsempfehlung für Arbeitgeber
Die Entscheidung des BAG zeigt einmal mehr auf, dass stets im Einzelfall zu prüfen ist, ob durch ein IT-System tatsächlich ein Überwachungsdruck auf Arbeitnehmerseite begründet wird. Gewisse mitbestimmungsfreie Gestaltungsmöglichkeiten bestehen für Arbeitgeber bei IT-Systemen weiterhin. So wäre der dargestellte BAG-Fall schon anders zu bewerten, wenn die Führungskräfte die Head-Set-Gespräche nicht durchgehend mithören könnten.
Zudem sollten Arbeitgeber stets die Zuständigkeit des (Gesamt-)Betriebsrats prüfen. Häufig sind IT-Systeme unternehmenseinheitlich entwickelt und administriert, sodass sich hieraus eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ergeben kann. Etwaige Verhandlungen wären in diesem Fall nicht mit den lokalen Betriebsräten, sondern mit dem Gesamtbetriebsrat zu führen.