Innerhalb des Konzerns ist die Arbeitnehmerüberlassung privilegiert; das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) findet nur sehr eingeschränkt Anwendung. Seit langem steht in der Diskussion, ob diese Privilegierung wirksam und wie sie auszulegen ist. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat jedenfalls zu dem letztgenannten Punkt nunmehr Klarheit geschaffen – mit Folgen für die Praxis!
Die Arbeitnehmerüberlassung innerhalb des Konzerns (sog. „Konzernleihe“) bietet flexible und v.a. wirtschaftliche Lösungen für den Personaleinsatz. Unternehmen können durch sie u.a. kurzfristig auf Personalengpässe (z.B. bei Projektarbeit oder Produktionsspitzen) reagieren, indem sie Mitarbeiter von anderen Konzernunternehmen einsetzen. Der Weg innerhalb des Konzerns bietet dabei eine Kostenersparnis: Es entfallen externe Vermittlungs- und Leiharbeitskosten. Zudem ist die Konzernleihe durch die Regelung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG privilegiert. Danach finden zahlreiche der starren und formalen Regelungen des AÜG, die für externe Personaldienstleister gelten, keine Anwendung (sog. „Konzernprivileg“), es sei denn, der Arbeitnehmer wird – so der Wortlaut des Gesetzes – „zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt“. Das Konzernprivileg führt u.a. dazu, dass Konzernunternehmen im Rahmen der Konzernleihe keine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis vorhalten müssen.
Bei unsachgemäßer Anwendung birgt die Konzernleihe aber auch rechtliche Risiken. Ist das Konzernprivileg nicht anwendbar, kann das Fehlen der erforderlichen Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld von bis zu EUR 30.000 geahndet werden (§ 16 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AÜG). Ein weiteres Risiko kann in der Entstehung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen verliehenen Arbeitnehmer und Entleiher Unternehmen nach § 10 Abs. 1 AÜG liegen, wenn bestimmte AÜG-Vorgaben nicht eingehalten sind (s. hierzu abseits der Konzernleihe etwa unseren aktuellen Beitrag „Aktuelle Praxisfragen zur Höchstüberlassungsdauer bei Leiharbeitnehmern“). Allesamt Risiken, die etwa bei Restrukturierungen und bei Unternehmensverkäufen teuer zu Buche schlagen können.
„Einstellung und Beschäftigung“ (nicht) zum Zweck der Arbeitnehmerüberlassung
Für die Frage nach der Anwendbarkeit und Reichweite des Konzernprivilegs ist die Auslegung des Gesetzeswortlauts ganz entscheidend. Allein nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 Nr. 2 AÜG würde das Konzernprivileg auch Anwendung finden, wenn zwar bei der Einstellung des Arbeitnehmers ein Wille des Arbeitgebers zur Überlassung vorliegt, später bei der Beschäftigung aber weggefallen ist. Oder im umgekehrten Fall, wenn ursprünglich kein Wille zur Überlassung vorhanden war, dieser jedoch später im Rahmen einer Beschäftigung auftritt. Unter Berufung auf den Gesetzeszweck sowie europarechtliche Vorgaben ist unter Vertretern des Schrifttums hingegen wohl überwiegend eine andere Lesart präferiert, nämlich, dass das „und“ in der Norm im Wege der Auslegung schlicht in ein „oder“ zu verwandeln ist.
Neuere Entscheidungen des EuGH (vom 22. Juni 2023, C-427/21) und des LAG Niedersachsen vom 9. November 2023 (5 Sa 180/23) gaben zuletzt Hoffnung für die Praxis, dass es bei einer „und“-Lesart und damit einem weit verstandenen Konzernprivileg verbleiben könne. Im Einklang mit dem vorgenannten Gesetzeswortlaut hatte das LAG entschieden, dass das Konzernprivileg nur entfalle, wenn die Voraussetzungen der Einstellung und Beschäftigung kumulativ vorliegen. Die Regelung sei vom Wortlaut sowie Sinn und Zweck, den der nationale Gesetzgeber mit dieser Vorschrift verbunden hat, klar und eindeutig; auch vor dem Hintergrund des Europarechts sei daher keine abweichende Auslegung möglich. Würde das „und“ durch ein „oder“ ersetzt, führte das zu dem Ergebnis, dass das Konzernprivileg leerliefe.
Entscheidung des BAG: „und“ meint „oder“
Dies sieht das BAG im Zuge seiner revisionsrechtlichen Überprüfung der vorgenannten LAG-Entscheidung im Urteil vom 12. November 2024, 9 AZR 13/24 jedoch anders (bisher nur veröffentlicht als Pressemitteilung). Es stellt klar, dass das Konzernprivileg bereits dann keine Anwendung findet, wenn ein Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt oder beschäftigt wird. Die Konjunktion „und“ in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG sei als Aufzählung der bezeichneten Sachverhalte zu verstehen. Nach dem Willen des Gesetzgebers komme das Konzernprivileg auch dann nicht zur Anwendung, wenn der Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt „oder“ beschäftigt wird. Dies sei regelmäßig der Fall, wenn der Arbeitnehmer seit Beschäftigungsbeginn über mehrere Jahre hinweg durchgehend als Leiharbeitnehmer eingesetzt wird. Eine solche Praxis indiziere einen entsprechenden Beschäftigungszweck.
Best Practice
Die Entscheidung des BAG gibt Anlass dazu, bestehende konzerninterne Arbeitnehmerüberlassungen zu überprüfen und in der Zukunft besondere Vorsicht walten zu lassen. Weiterhin zulässig ist die Konzernleihe in Sachverhalten, in denen Arbeitnehmer für konkrete Projekte oder zur Bewältigung von Auftragsspitzen vorübergehend in einem anderen Konzernunternehmen eingesetzt werden, solange sie hierfür nicht eingestellt wurden und nach ihrem Einsatz im Konzernunternehmen wieder ihren „reguläre“ Arbeitsaufgaben bei ihrem Vertragsarbeitgeber nachkommen. Sind die (neuen) Anforderungen hinsichtlich des Konzernprivilegs jedoch nicht erfüllt, muss eine Arbeitnehmerüberlassung, auch wenn sie innerhalb des Konzerns stattfindet, allen Anforderungen des AÜG entsprechen und insbesondere auf Grundlage einer entsprechenden Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis erfolgen.
Fazit
Ob der vom BAG angenommene Wille des Gesetzgebers so eindeutig ist, mag bezweifelt werden können. Die Praxis wird sich auf das Urteil des BAG – jedenfalls vorerst – einstellen müssen. Trotz der restriktiven Auslegung des Konzernprivilegs verbleiben diesem weiterhin Anwendungsbereiche, die im jeweiligen Einzelfall sorgsam geprüft werden sollten. Der Handlungsspielraum der beteiligten Unternehmen wird durch das Urteil jedenfalls reduziert.