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Entgelt-Transparenz: (k)ein klarer Fall

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Die Anwendung des § 22 AGG im EntgTranspG und die praktischen Auswirkungen für Arbeitgeber. Unternehmen stehen aktuell unter enormem wirtschaftlichem Druck: Kostensenkung, Mangel an Aufträgen und fehlende Fachkräfte an vielen Stellen – und damit sind hier nur einige Herausforderungen schlagwortartig genannt. Gleichzeitig sollen Arbeitgeber auch das Thema Entgeltgerechtigkeit im Unternehmen vorantreiben. Sog. „Equal-Pay-Klagen“ häufen sich. Die von der Rechtsprechung vorgenommene Übertragung der Beweiserleichterung des § 22 AGG auf Ansprüche nach dem Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) macht es Arbeitgebern teils unmöglich, einen vermeintlichen „Gender-Pay-Gap“ zu widerlegen. Worauf es ankommt und welche Vorkehrungen Unternehmen treffen können – und sollten – wird auch anhand der neuesten Urteile des LAG Baden-Württemberg zum Thema Entgeltgleichheit (zuletzt am 1.10.2024) deutlich.. Wir fassen zusammen und wappnen Sie.

I. Kurze Einführung

Das EntgTranspG trat 2017 in Kraft. Erklärtes Ziel des Gesetzes ist die Beseitigung unmittelbarer und mittelbarer Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts. Ein zentraler Mechanismus des EntgTranspG ist der Auskunftsanspruch, der es Arbeitnehmern ermöglicht, Informationen über die Entgeltstrukturen im Betrieb zu erhalten. Die genaue Funktionsweise des EntgTranspG hatten wir bereits auf diesem Blog dargestellt (siehe den Beitrag vom 28. August 2017).

Der Auskunftsanspruch ist gemäß dem Zweck des EntgTranspG als erster Schritt vor der Durchsetzung des Entgeltgleichheitsanspruchs von Männern und Frauen konzipiert. Wie aus der Gesetzesbegründung hervorgeht, soll er die Durchsetzung des Anspruchs auf gleiches Entgelt erleichtern. In diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere die Frage, ob eine Vergütungsdifferenz, über die Auskunft erteilt worden ist, schon auf eine Benachteiligung „wegen des Geschlechts“ hindeutet und wer im Rahmen einer Entgeltgleichheitsklage die Beweislast trägt.

II. Anspruch auf Entgeltanpassung

Gemäß Artikel 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und § 3 EntgTranspG müssen Frauen und Männer für gleiche oder gleichwertige Arbeit gleich bezahlt werden. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf Entgeltbestandteile und -bedingungen ist verboten. Entsprechend gilt nach § 7 EntgTranspG, dass für gleiche Arbeit kein geringeres Entgelt aufgrund des Geschlechts gezahlt werden darf.

Im Falle einer Entgeltdiskriminierung haben die betroffenen Beschäftigten einen Anspruch auf Anpassung des Entgelts.

III. § 22 AGG im Kontext der Entgeltgleichheitsklage

Hintergrund

Ergibt die Auskunft, dass das Entgelt eines Arbeitnehmers unterhalb des Medians der Vergleichsgruppe des anderen Geschlechts liegt, obläge nach allgemeinen prozessualen Beweisverteilungsgrundsätzen der Nachweis einer geschlechtsbedingten Diskriminierung zunächst dem Arbeitnehmer. Dieser ist verpflichtet, alle anspruchsbegründenden Tatsachen zu beweisen.

Das EntgTranspG enthält keine Sonderregelung zur Darlegungs- und Beweislast. Doch das BAG bedient sich der Anwendung von § 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), der eine Beweiserleichterung für die klagende Partei vorsieht, auch in Entgeltgleichheitsklagen: Kann ein Arbeitnehmer Indizien für eine Diskriminierung vorlegen, muss der Arbeitgeber objektive und sachliche Gründe für die unterschiedliche Behandlung darlegen, die nicht auf dem Geschlecht begründet sind.

Zur Anwendung der Beweiserleichterung müssen in der Theorie folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

Stufe 1: Vorliegen einer Benachteiligung: Zunächst muss der Arbeitnehmer nachweisen, dass er in einer vergleichbaren Situation (= gleiche/vergleichbare Arbeit) eine schlechtere Behandlung (= geringere Vergütung) erfahren hat.
Stufe 2: Kausalitätsindizien: Der Arbeitnehmer muss Indizien vorlegen, die eine Benachteiligung wegen eines Geschlechts vermuten lassen. Diese Indizien müssen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Diskriminierung nahelegen, jedoch nicht den vollen Beweis erbringen.

Doch in der Praxis lassen sowohl das BAG als auch der EuGH eine Vermutung für eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts (Kausalitätsvermutung) zu, wenn ein Arbeitnehmer nachweist, dass er für die gleiche Arbeit weniger verdient als ein Kollege des anderen Geschlechts. Denn in diesem Fall, so die Gerichte, sei er nach dem ersten Anschein Opfer einer nur mit dem unterschiedlichen Geschlecht erklärbaren Diskriminierung.

Folge: Ein geringeres Entgelt im Vergleich zur anderen Geschlechtsgruppe impliziert eine vom Arbeitgeber zu rechtfertigende geschlechtsbasierte Entgeltdiskriminierung.

Neue Tendenzen aus der Instanzrechtsprechung

Von diesem Schluss weicht das LAG Baden-Württemberg in seiner neuen Entscheidung vom 01.10.2024 – 2 Sa 14/24 ab. Es stellt richtigerweise darauf ab, dass die Würdigung der vorgetragenen Indizien immer eine Einzelfallprüfung sei. Absolute Indizien, die einen „Automatismus“ im Hinblick auf die Kausalitätswahrscheinlichkeit auslösen, gebe es nicht. Vielmehr seien immer alle und nicht nur einzelne Umstände im Rahmen der notwendigen Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen.

Entkräftet oder erschüttert der Arbeitgeber die Indizien so weit, dass das Gericht den Maßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit als nicht erfüllt ansieht, werde die Vermutungswirkung des § 22 AGG nicht ausgelöst. Folglich treffe den Arbeitgeber keine Gegenbeweis- oder Rechtfertigungslast; die Prüfung werde bereits auf der zweiten Stufe beendet.

Folge: Ein geringeres Entgelt im Vergleich zur anderen Geschlechtsgruppe impliziert nicht ohne Weiteres eine geschlechtsbasierte Entgeltdiskriminierung.

Nach dem LAG ist insbesondere zu berücksichtigen, (i) wie sich das individuelle Entgelt zum Median der Vergleichsgruppe aus dem gleichen Geschlecht verhält und (ii) wie sich das Entgelt des Vergleichskollegen des anderen Geschlechts wiederum zum Median der Vergleichsgruppen seines eigenen Geschlechts verhält. In dem Fall des LAG lag das individuelle Entgelt der Klägerin unterhalb des Medianentgelts der weiblichen sowie der männlichen Vergleichsgruppe. Das Gericht stellt folgende Grundsätze auf:

  • Sofern etwa ein männlicher Vergleichskollege wesentlich mehr verdient als der Median der männlichen Vergleichsgruppe, ist es denklogisch ausgeschlossen, dass die Vergütungsdifferenzen auf dem Geschlecht beruhen. Daher ist jedenfalls die über den Median der männlichen Vergleichsgruppe hinausgehende Entgeltdifferenz nicht geschlechtsabhängig und damit nicht kompensierbar.
  • Bei einer Verletzung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit kann der Anspruch nur auf Beseitigung der Ungleichbehandlung gerichtet sein und keine Besserstellung gegenüber anderen Mitgliedern der maßgeblichen Vergleichsgruppe bezwecken.
  • Auch eine Differenz zum Medianentgelt des eigenen Geschlechts kann nicht auf Gründen des Geschlechts basieren.
  • Eine relative Erhöhung des Entgelts um die Differenz zwischen dem Median der männlichen Vergleichsgruppe und dem Median der weiblichen Vergleichsgruppe kann beansprucht werden.
IV. Learnings für Arbeitgeber

Entgeltdifferenzierungen sind möglich, müssen aber sachlich und geschlechtsneutral begründet sein (z.B. Arbeitsqualität, Berufserfahrung oder Dienstalter), so auch das LAG Baden-Württemberg in seiner anderen Equal-Pay-Entscheidung vom 19.06.2024 – 4 Sa 26/23.

Trotz der arbeitgebergünstigen Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch das LAG Baden-Württemberg bleibt es bei der Indizwirkung des Medians: Das konkrete Indiz liegt im kollektiven Vergleich zweier Beschäftigtengruppen unterschiedlichen Geschlechts. Die Abweichung kann daher auch nur durch Umstände widerlegt werden, die die Gesamtgruppen betreffen. Nach der strengeren Auslegung des BAG und dann, wenn die Vergleichsgruppen aus einzelnen Arbeitnehmern bestehen, muss der Arbeitgeber die sachliche Rechtfertigung der unterschiedlichen Vergütung nachweisen.

Was gilt es zu tun:

  • alle Entscheidungen zur Gehaltsfestlegung und -anpassung mit Gründen dokumentieren (als Nachweis, um im Falle einer Überprüfung nachvollziehbare Belege vorlegen zu können, um einer möglichen Klage erfolgreich begegnen zu können);
  • sich Gehaltsunterschiede im Betrieb bewusst machen (nur so kann auf künftige Ansprüche angemessen reagiert werden);
  • Gehälter und Vergütungssystematiken regelmäßig evaluieren, insbesondere einer rechtlichen Prüfung unterziehen lassen und ggf. anpassen;
  • die Entwicklungen in der Rechtsprechung verfolgen bzw. rechtzeitig entsprechende externe Expertise einholen;
  • insbesondere vor dem Hintergrund der neuen Entgelttransparenzrichtlinie (Details und Handlungsempfehlungen im Beitrag vom 22. April 2024) und der damit verbundenen Dynamik des Themas die künftige Regulatorik aufmerksam verfolgen.

Dieser Beitrag ist mit freundlicher Unterstützung von Maximilian Stein, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Berliner Büro, entstanden.

Isabell Flöter

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Counsel
Isabell Flöter berät Unternehmen und Führungskräfte in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts, sowohl gerichtlich als auch außergerichtlich. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Bereich des Betriebsverfassungs- und Tarifrechts, der Betreuung von Kündigungsschutzstreitigkeiten und Unternehmenstransaktionen sowie in der Erstellung und Gestaltung von Arbeits-, Änderungs- Abwicklungs- und Aufhebungsverträgen. Sie ist Mitglied der Fokusgruppeen "ESG" und "Unternehmensmitbestimmung".
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