Während eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots bleibt der Urlaubsanspruch unberührt. So sieht es das Gesetz in § 24 Satz 1 MuSchG vor. Kann eine schwangere oder stillende Arbeitnehmerin ihren Urlaub nicht vor Beginn eines Beschäftigungsverbots nehmen, verfällt weder der zuvor nicht genommene noch der während der Zeit des Beschäftigungsverbots erworbene Urlaub. Nach § 24 Satz 2 MuSchG wird der nicht erhaltene Urlaub übertragen und ist entweder in dem Jahr zu nehmen, in dem das Beschäftigungsverbot endet, oder im Urlaubsjahr danach. Was gilt indes für den Verfall von Urlaubsansprüchen, wenn sich mehrere Beschäftigungsverbote nach dem Mutterschutzgesetz nahtlos aneinander anschließen? Können die Urlaubsansprüche dann sogar über mehrere Beschäftigungsverbote hinweg „angesammelt“ werden, ganz zur Freude des Urlaubskontos der Arbeitnehmerin? Das BAG gibt mit jüngstem Urteil vom 20.8.2024 (9 AZR 226/23) wichtige Hinweise zum Umgang mit derartigen Fallkonstellationen.
Ausgangsfall
Die Klägerin, eine Zahnärztin, forderte vom Beklagten, ihrem ehemaligen Arbeitgeber, die Abgeltung von 68 Urlaubstagen aus den Jahren 2017 bis 2020 (fünf Tage Resturlaub aus dem Jahr 2017, jeweils 28 Tage aus den Jahren 2018 und 2019 und 7 Tage aus dem Jahr 2020). Im November 2017 wurde die Klägerin schwanger, woraufhin der Beklagte ihr gegenüber ab dem 1. Dezember 2017 ein erstes individuelles Beschäftigungsverbot aussprach. Dieses endete im Laufe des Jahres 2018 mit Einsetzen der Schutzfristen vor und nach der Entbindung i. S. v. § 3 MuSchG. Nach der Geburt des ersten Kindes im Juli 2018 und dem Ablauf der Mutterschutzfrist teilte die Klägerin dem Beklagten mit, ihr Kind zu stillen, woraufhin er ein weiteres berufliches Beschäftigungsverbot wegen Stillzeit (§§ 12, 13 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG) aussprach. Das Beschäftigungsverbot wegen Stillzeit endete sodann mit Beginn der Schutzfristen gemäß § 3 MuSchG im Zusammenhang mit der Geburt ihres zweiten Kindes am 7. September 2019. Nach Ablauf der Schutzfristen bestand bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 2020 erneut ein Beschäftigungsverbot wegen Stillzeit (§§ 12, 13 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG). Während der Zeit vom 1. Dezember 2017 bis zum 31. März 2020 bestand insoweit durchgehend ein berufliches Beschäftigungsverbot. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Urlaubsansprüche aus den Jahren 2017 bis 2020 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erloschen seien, und forderte daher Urlaubsabgeltung i.H.v. EUR 13.126,72 brutto. Zu Recht, wie das BAG und zuvor auch schon das ArbG und LAG feststellten.
Urlaubsansprüche entstehen auch während Beschäftigungsverbotszeiten
Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Urlaubsabgeltung in der geltend gemachten Höhe ergebe sich nach Auffassung des BAG aus § 24 MuSchG i.V.m. § 7 Abs. 4 BUrlG. Das BAG verweist zunächst auf die schon eingangs erwähnte Regelung in § 24 Satz 1 MuSchG, wonach – insoweit abweichend von § 3 Abs. 1 BUrlG – Ausfallzeiten während eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots bei der Urlaubsberechnung als Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung gelten. Damit führt das BAG seine bisherige Rechtsprechungslinie fort. Der Beklagte argumentierte, dass ein Arbeitnehmer, der nicht arbeite, sich auch nicht erholen müsse und daher während der Beschäftigungsverbote auch keine Urlaubsansprüche entstünden. Diese Rechtsauffassung erstaunt angesichts der doch unmissverständlichen Regelung in § 24 Satz 1 MuSchG.
24 Satz 2 MuSchG geht Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG vor
Auch die Auffassung des Beklagten, etwaige Urlaubsansprüche seien nach § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des Monats März des jeweiligen Folgejahres erloschen, teilt das BAG nicht. § 24 Satz 2 MuSchG regele eine Ausnahme von dem Grundsatz des § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG, wonach der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Gemäß § 24 Satz 2 MuSchG verschiebe sich das für § 7 Abs. 3 BUrlG maßgebliche Urlaubsjahr auf die Zeit nach Ablauf des Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz. Auch dies hatte das BAG zuvor bereits festgestellt.
Ansammeln von Urlaubsansprüchen bei nahtlos aufeinanderfolgenden Beschäftigungsverboten
Aber die Regelung des § 24 Satz 2 MuSchG geht nach Ansicht des BAG sogar noch weiter: Folgen mehrere Beschäftigungsverbote nahtlos aufeinander, wird der Urlaub mehrfach übertragen. Dies gilt auch dann, wenn die Beschäftigungsverbote aus verschiedenen Schwangerschaften herrühren. Dies ergibt eine Auslegung des § 24 Satz 2 MuSchG. Die Klägerin kann deshalb im Fall mehrerer nahtlos aufeinanderfolgender Beschäftigungsverbote den gesamten bis dahin aufgelaufenen Urlaub nach Ende des letzten Beschäftigungsverbots im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr beanspruchen. Dies bedeutete für den Ausgangsfall, dass der Klägerin zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. März 2020 noch 68 Urlaubstage aus den Jahren 2017 bis 2020 zustanden, die gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG entsprechend abzugelten waren.
Keine Einrede der Verjährung (§ 214 BGB)
Schlussendlich kam auch eine Verjährung der abzugeltenden Urlaubsansprüche zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in Betracht. Das BAG weist daraufhin, dass angesichts der besonderen Festlegung des Urlaubsjahres nach § 24 Satz 2 MuSchG die Urlaubsansprüche nicht innerhalb des durch § 24 Satz 2 MuSchG bestimmten Urlaubsjahres verjähren können. Hierauf kam es aber nicht (mehr) entscheidend an, da auch ohne die besondere Festlegung des Urlaubsjahres gemäß § 24 Satz 2 MuSchG bereits die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§§ 195, 199 BGB) offensichtlich noch nicht verstrichen war.
Was ist den Arbeitgebern nun zu raten?
Arbeitgeber sollten stets die finanziellen und rechtlichen Risiken, die sich im Zusammenhang mit mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverboten und Urlaubsabgeltungsansprüchen ergeben, genaustens im Blick behalten. Ein sinnvolles und strukturiertes Urlaubsmanagement ist insoweit unerlässlich. Die Arbeitgeberseite muss sich künftig darauf einstellen, mit umfangreiche(re)n Urlaubsabgeltungsansprüchen konfrontiert zu werden, wenn die schwangere oder stillende Arbeitnehmerin bis zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durchgehend mehreren mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverboten unterlag. Eine Urlaubskürzung – wie im Rahmen der Elternzeit (§ 17 Abs. 1 S. 1 BEEG) – ist während des Mutterschutzes nicht erlaubt (vgl. zur Urlaubskürzung bei Elternzeit schon unseren Blog). Abhilfe können vertragliche Ausschlussfristenregelungen schaffen, bei deren Formulierung allerdings Vorsicht geboten ist.
Praxisausblick
Das BAG stärkt einmal mehr den Schutz der Rechte der Arbeitnehmerinnen während mutterschutzrechtlicher Beschäftigungsverbote. Das Urteil bestätigt die bisherige Rechtsprechung des Senats hinsichtlich Entstehung und Verfall von Urlaubsansprüchen vor und während eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots und führt die Entscheidung des Senats vom 16.4.2024 (9 AZR 165/23), in der der Senat schon zur Urlaubsabgeltung bei Mutterschutz und anschließender Elternzeit zu entscheiden hatte, weiter.