Nicht selten enthalten Betriebsvereinbarungen Beweisverwertungsverbote für den Fall, dass der Arbeitgeber personenbezogene Daten unter Verstoß gegen Vorschriften des Datenschutzes oder einer Betriebsvereinbarung verarbeitet. Solche Beweisverwertungsverbote sind jedoch nach der Rechtsprechung des BAG nicht zulässig. Dies liegt auf der Linie der verwertungsfreundlichen Rechtsprechung mit dem Grundsatz „Datenschutz ist kein Tatenschutz“. Diese Rechtsprechung gerät indes zunehmend in Bedrängnis, was ein Revival der Beweisverwertungsverbote bewirken könnte.
Derzeit können Arbeitgeber eine Kündigung (im Regelfall eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Pflichtverletzung) auf personenbezogene Daten stützen, die unter Verstoß gegen die datenschutzrechtlichen Vorschriften verarbeitet wurden. Verbindliche Regelungen zur Erhebung von Beweisen und Beweisverwertungsverbote – wie etwa im Strafrecht – bestehen im Arbeitsrecht nicht.
Keine Beweisverwertungsverbote in (IT)-Betriebsvereinbarungen
Dies kann auch von den Betriebsparteien in einer Betriebsvereinbarung nicht anders geregelt werden. Insbesondere können etwa in IT-Rahmenbetriebsvereinbarungen nicht per se jegliche datenschutzwidrigen Datennutzungen mit einem Beweisverwertungsverbot sanktioniert werden. Denn den Betriebsparteien fehlt die Regelungsmacht, um die Verwertung von Beweisen vor Gericht verbindlich festzulegen. Vielmehr obliegt die Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens – und damit auch die Regelung von Beweisverboten – allein dem Gesetzgeber. Nur dieser ist befugt, den gerichtlichen Verfahrensablauf zu bestimmen. So sieht es auch das BAG (BAG Urt. v. 29.06.2023 – 2 AZR 196/22). Wir berichteten dazu bereits in unserem Blogbeitrag vom 24.8.2023.
Ob ggf. datenschutzwidrig erlangte Beweismittel im arbeitsgerichtlichen Verfahren verwertbar sind, entscheiden die Arbeitsgerichte bisher anhand einer umfassenden Interessenabwägung. Entscheidend ist im Kern die Frage, ob das Interesse des Arbeitgebers an der Verwertung der Beweise das Interesse des Arbeitnehmers an der Nicht-Verwertung überwiegt. Das BAG verfolgt dabei eine verwertungsfreundliche Rechtsprechung, die auf dem Grundsatz „Datenschutz ist kein Tatenschutz“ (BAG Urt. v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18) beruht und sich als praxisgerecht erwiesen hat. Zwar hat das BAG erkannt, dass bei einem Verstoß gegen die Vorgaben der DSGVO ein sekundärrechtliches Verwertungsverbot bestehen könnte und die Möglichkeit bestünde eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Prozessrechts zu prüfen. Allerdings haben das BAG – und in der Folge auch viele Landesarbeitsgerichte – dies nicht für erforderlich gehalten.
Vorlagebeschluss des LAG Niedersachsen
Diesen Konsens hat das LAG Niedersachsen mit einem Vorlagebeschluss vom 8. Mai nun durchbrochen und dem EuGH sinngemäß die Fragen vorlegt,
- ob sich aus dem Unionsrecht (namentlich der EU-Grundrechtecharta und der DSGVO) ein Beweisverwertungsverbot ergibt oder ob es dem nationalen Gesetzgeber obliegt, hierzu Regelungen zu treffen und
- ob ggf. eine Verwertung rechtswidrig erlangter Daten nur dann ausscheidet, wenn es sich um eine besonders schwerwiegende Verletzungen datenschutzrechtlicher Vorschriften handelt oder ob ein Verwertungsverbot auch schon bei weniger schwerwiegenden datenschutzrechtlichen Verstößen anzunehmen ist (LAG Niedersachsen Beschl. v. 8.5.2024 – 8 Sa 688/23).
Die bevorstehende Entscheidung des EuGH kann zu einer grundlegenden Neujustierung der bislang verwertungsfreundlichen Rechtsprechung des BAG führen, da EuGH in der Vergangenheit häufig eine datenschutzfreundlichere Linie als das BAG verfolgt hat. Mithin kann die Entscheidung des EuGH weitreichende Auswirkungen auf die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zur Interessenabwägung bei Datenschutzverstößen und Beweisverwertungsverboten im Allgemeinen sowie in Betriebsvereinbarungen haben.
Verwertungsverbote im Referentenentwurf zum Beschäftigtendatengesetz
Damit nicht genug: Auch der deutsche Gesetzgeber in Form der gescheiterten „Ampelkoalition“ hat sich diesen Punkt auf die Fahne geschrieben. Seit Oktober kursiert ein Referentenentwurf des „Gesetzes zur Stärkung eines fairen Umgangs mit Beschäftigtendaten und für mehr Rechtssicherheit für Arbeitgeber und Beschäftigte in der digitalen Arbeitswelt“ (Beschäftigtendatengesetz). Dieser Referentenentwurf sieht in § 11 ein Beweisverwertungsverbot vor. Zusätzlich soll diese Neuregelung den Betriebsparteien ermöglichen, selbst Verwertungsverbote in ihre Betriebsvereinbarungen aufzunehmen. Auch aus dieser Richtung ist also ein Revival der Beweisverwertungsverbote denkbar. Denn der aktuelle Referentenentwurf wird vermutlich nur formal nach der Neuwahl der Diskontinuität des Bundestages zum Opfer fallen. Als Richtschnur für zukünftige Gesetzesvorhaben wird er – je nach Ausgang der Wahl – geringe oder größere Bedeutung behalten.
Ausblick
Insgesamt bleibt vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen fraglich, wie lange die verwertungsfreundliche Rechtsprechung des BAG bestehen bleibt. Während das Schicksal des Entwurfs zum Beschäftigtendatengesetz noch offen ist, ist eine Entscheidung des EuGH auf die Vorlagefragen des LAG Niedersachsen gewiss, auch wenn diese sicher noch bis zum nächsten Jahr auf sich warten lässt.
Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH und der deutsche Gesetzgeber differenzierte Lösungen finden. Ein Beweisverwertungsverbot darf keineswegs auf eine Erschwerung des Rechts zur (außerordentlichen) Kündigung des Arbeitgebers bzw. der Darlegung des Kündigungsgrundes hinauslaufen. Häufig können Kündigungen nur mit Erkenntnissen aus der Auswertung von personenbezogenen Daten (wie z.B. der elektronischen Anwesenheitserfassung oder einer Videoüberwachung) begründet werden. Insoweit war und ist es sehr zu begrüßen, dass das BAG den Betriebsparteien die Regelungskompetenz für Beweisverwertungsverbote abgesprochen hat. Denn Betriebsvereinbarungen zu IT-Tools sowie IT-Rahmenbetriebsvereinbarungen bergen wegen der ausufernden Weite des Mitbestimmungstatbestandes in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG in der Praxis hinreichend Konfliktpotential. Hier ist eine Erweiterung des Verhandlungsstoffes um die Reichweite etwaiger Beweisverwertungsverbote wahrlich nicht dienlich. Notfalls müssen diese Diskussionen in Zukunft allerdings wieder geführt werden (ggf. bis in die Einigungsstelle), um dem Grundsatz „Datenschutz ist kein Tatenschutz“ auf betrieblicher Ebene zur Wirksamkeit zu verhelfen.