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Aktuell kommt es wieder zu Streiks. Die Tarifverhandlungen zwischen der Gewerkschaft ver.di und den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) haben begonnen und ein erster Warnstreik legt den öffentlichen Nahverkehr lahm. Bereits vor Verhandlungsbeginn hatte ver.di Streiks in Aussicht gestellt, falls es zu keiner Einigung z. B. über eine Lohnerhöhung für alle BVG-Beschäftigten kommt. Die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen sind ebenfalls gestartet und auch hier sind Warnstreiks nicht ausgeschlossen. Ein von einer Gewerkschaft initiierter Streik stellt die wichtigste Form der Arbeitskampfmaßnahme auf Arbeitnehmerseite zur Durchsetzung tarifvertraglich regelbarer Forderungen dar. Arbeitgeber können sich jedoch mit strategischen Vorbereitungsmöglichkeiten und rechtlichen Mitteln gegen negative Streikauswirkungen wappnen.  

I. Vorbereitung und Reaktion auf den Streik

Eine der größten Herausforderungen für Arbeitgeber ist meist die kurze Zeitspanne zwischen Ankündigung und tatsächlichem Beginn des Streiks. Oftmals ist schnelles Handeln gefragt. Arbeitgeber müssen daher möglichst früh ihre Streikresilienz prüfen und danach entscheiden, ob ihnen Maßnahmen möglich sind, die die Auswirkungen des Arbeitskampfes begrenzen könnten. Diese müssen dann möglichst frühzeitig vorbereitet werden, um die Auswirkungen eines Streiks zu minimieren.

1. Not- oder Erhaltungsdienste

Ein Streik kann große Auswirkungen auf den Betriebsablauf, aber auch auf Dritte und die Allgemeinheit haben. Insbesondere in Bereichen der Daseinsvorsorge oder in sicherheitsrelevanten Branchen muss durch die Einrichtung von Not- und Erhaltungsdiensten sichergestellt sein, dass gewisse Aufgaben auch während eines Streiks erfüllt werden. Man denke nur an den öffentlichen Personennahverkehr, die Energieversorgung, die Telekommunikation sowie Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Arbeitgeber und die beteiligte Gewerkschaft können vorab eine sog. Notdienstvereinbarung treffen. In einer solchen Vereinbarung können die während des Streiks notwendigen Arbeiten sowie die Anzahl des trotz Streiks erforderlichen Personals bestimmt werden.

2. Kommunikation und Anzeigepflicht

Wichtig ist auch die interne und externe Kommunikation. Sie kann für den weiteren Verlauf der Verhandlungen mit der Gewerkschaft und die Streikdauer entscheidend sein. Empfehlenswert kann eine klare Positionierung, eine Begründung zu einer etwaig ablehnenden Haltung zu (einzelnen) Forderungen der Gewerkschaft sowie ein Hinweis auf etwaige langfristige Folgen für den Betrieb und die Arbeitsplätze sein. Kunden und Geschäftspartner sollten rechtzeitig über die Lieferfähigkeit, Qualität und ggf. verzögerte Erfüllung von Aufträgen informiert werden.

Außerdem sind Arbeitgeber unverzüglich zur Anzeige von Beginn und Ende des Arbeitskampfes bei der Agentur für Arbeit verpflichtet, vgl. § 320 Abs. 5 SGB III.

3. Verhinderung des angekündigten Streiks – die einstweilige Verfügung

Eine der zentralen rechtlichen Maßnahmen zur Verhinderung eines Streiks und der damit verbundenen Nachteile ist die einstweilige Verfügung. Die Anforderungen an dieses beschleunigte gerichtliche Verfahren sind jedoch hoch, da die Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie grundgesetzlich durch Art. 9 GG geschützt sind.

Erfolgsaussichten in einem solchen Verfahren bestehen, wenn der Arbeitgeber die Rechtswidrigkeit des Streiks darlegen und beweisen kann. Eine Rechtswidrigkeit kann etwa bei Unverhältnismäßigkeit des Streiks vorliegen. Das Arbeitsgericht wird dann stets eine Abwägung zwischen den Interessen der Gewerkschaft bzw. Arbeitnehmer und der des Arbeitgebers vornehmen. Der Nachweis wirtschaftlicher Nachteile für das Unternehmen genügt jedoch – mit Ausnahme einer Existenzvernichtung des Arbeitgebers – regelmäßig nicht, um die Rechtswidrigkeit des Streiks zu belegen. Arbeitnehmer sind auch während des Streiks zur Vornahme von Erhaltungsarbeiten im Betrieb verpflichtet. Anlagen, Rohstoffe und Produkte, also die Substanz der sächlichen Betriebsmittel, dürfen nicht durch den Streik zerstört werden.

II. Gegenmaßnahmen des Arbeitgebers

Arbeitgeber können mit Gegenmaßnahmen auf einen Streik reagieren.

1. Aussperrung

Die Aussperrung bezeichnet die generelle Zurückweisung der Arbeitsleistung als Mittel der kollektiven Druckausübung. Der Arbeitgeber darf dabei nicht nur streikende, sondern auch arbeitswillige Mitarbeiter vom Arbeitsplatz ausschließen. Allerdings muss hierbei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein, d.h. die Aussperrung muss zur Erreichung rechtmäßiger Arbeitskampfziele geeignet, erforderlich und angemessen sein. Es ist hingegen nicht zulässig, dass Arbeitgeber gezielt nur Gewerkschaftsmitglieder aussperren und nicht organisierte Arbeitnehmer von der Aussperrung verschonen, da dies einen Verstoß gegen Art. 9 GG darstellen würde. Bei einer rechtmäßigen Aussperrung besteht keine Vergütungspflicht für Arbeitgeber.

2. Betriebsstilllegung

Wenn die Aufrechterhaltung des Betriebs streikbedingt nicht mehr für sinnvoll erachtet wird, können Arbeitgeber den Betrieb stilllegen. Die Stilllegung ist den Arbeitnehmern in klarer und eindeutiger Form zu kommunizieren. Dabei ist darauf zu achten, dass der Umfang der Stilllegung sowohl zeitlich als auch räumlich nicht über den Rahmen des Streikaufrufs hinausgeht. Ein wesentlicher Aspekt hierbei ist, dass der Arbeitgeber selbst und auch beauftragte Drittunternehmen den Betrieb nicht weiterführen dürfen, es sei denn, es handelt sich um sog. Erhaltungs- oder Notstandsarbeiten zur Sicherung der existenziellen Funktionsfähigkeit des Betriebs. Die Betriebsstilllegung führt zur Suspendierung der Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis, sodass auch arbeitswillige Arbeitnehmer ihren Entgeltanspruch verlieren.

3. Zahlung einer Streikbruchprämie

Ein weiteres Druckmittel ist die Zahlung von Streikbruchprämien an nicht streikende Mitarbeiter. Arbeitgeber können damit den Anreiz schaffen, dass Mitarbeiter nicht am Streik teilnehmen und so den Betrieb weiterhin aufrechterhalten. Arbeitgeber sollten hierbei beachten, dass Streikbruchprämien wie Entgelt behandelt werden, also auch Sozialversicherungsbeiträge abzuführen sind.

4. Überstunden und Versetzung von Mitarbeitern

Als weitere Maßnahme kann der Arbeitgeber Überstunden anordnen oder arbeitswillige Mitarbeiter aus einem nicht bestreikten Betrieb vorübergehend in einen von einem Streik betroffenen Betrieb versetzen. Die Maßnahme bedarf ausnahmsweise nicht der Zustimmung des Betriebsrats des abgebenden Betriebs. Der Arbeitgeber ist jedoch nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG verpflichtet, dem Betriebsrat rechtzeitig vor Durchführung der personellen Maßnahme mitzuteilen, welche Arbeitnehmer er vorübergehend zur Streikabwehr einsetzen will (BAG 13. Dezember 2011 – 1 ABR 2/10).

Achtung: Eine Beschäftigung von Leiharbeitnehmern in einem durch Streik betroffenen Betrieb ist gesetzlich nicht zulässig, wenn diese an die Stelle der Streikenden treten sollen, vgl. § 11 Abs. 5 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG).

Fazit

Arbeitgeber sollten frühzeitig vorbereitet sein, um die Auswirkungen eines Streiks auf den Betrieb so gering wie möglich zu halten. Rechtliche Schritte wie die einstweilige Verfügung sowie taktische Maßnahmen wie Versetzungen und Streikbruchprämien sind regelmäßig sinnvolle Werkzeuge, um im Ernstfall schnell und gezielt reagieren zu können. Aussperrung und Betriebsstilllegung können mit teilweise erheblichen wirtschaftlichen Schäden für Arbeitgeber verbunden sein und sollten daher vor einer vorschnellen Entscheidung wohlüberlegt werden.

Ein kleines „Einmaleins zum Streikrecht“ finden Sie in unserem Blogbeitrag vom 24. Mai 2023.

Ayse Gül Bozok


Rechtsanwältin
Associate
Ayse Gül Bozok berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Ihr Schwerpunkt liegt dabei im Betriebsverfassungsrecht, der Führung von Kündigungsrechtsstreitigkeiten sowie der Vertragsgestaltung. Ayse Gül Bozok berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Ihr Schwerpunkt liegt dabei im Betriebsverfassungsrecht, der Führung von Kündigungsrechtsstreitigkeiten sowie der Vertragsgestaltung.
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