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Krank im Urlaub? – Erschütterung des Beweiswertes einer Krankschreibung aus dem Ausland

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Der Missbrauch von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zur Verlängerung des Urlaubs ist ein aktuelles Diskussionsthema. Arbeitgeber fordern strengere Kontrollen wie Hausbesuche oder Lohnausfall am ersten Krankheitstag. Das BAG hat am 15. Januar 2025 entschieden, unter welchen Umständen der Beweiswert einer ausländischen Krankschreibung erschüttert sein kann (BAG-Urteil vom 15. Januar 2025 – 5 AZR 284/24). Wir erläutern die Bedeutung dieser Entscheidung und worauf Arbeitgeber bei Krankschreibungen achten müssen.

Erkrankung im Sommerurlaub? – Der Fall des BAG

In der aktuellen Entscheidung des BAG geht es um einen Lagerarbeiter, welcher bereits seit 22 Jahren bei seinem Arbeitgeber beschäftigt ist und seinen zweiwöchigen Sommerurlaub im Jahr 2022 in Tunesien verbrachte. Gegen Ende des Urlaubes erkrankte der Mitarbeiter laut seines an den Arbeitgeber direkt übermittelten Attestes, welches von einem tunesischen Arzt ausgestellt wurde, schwer am Ischias, was eine Arbeitsunfähigkeit von über drei Wochen auslösen sollte. Nebstdem wurde ihm ein Bewegungs- und Reiseverbot verhängt. Direkt im Anschluss an die Attestierung buchte sich der Mitarbeiter sein Ticket für die Heimreise für in rund dreieinhalb Wochen und trat diese zu diesem Zeitpunkt auch an. Der Arbeitgeber verweigerte ihm daraufhin die Entgeltfortzahlung, weil er das Attest nicht als Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 2 EFZG ansah und kürzte ihm die Vergütung entsprechend. Der Arbeitnehmer war im Laufe des Arbeitsverhältnisses bereits mehrfach im Urlaub erkrankt. Der Arbeitnehmer reichte Klage auf Entgeltfortzahlung ein.

Anforderungen an eine wirksame Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Inhaltlich muss sich aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ergeben, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist und seine vertraglich geschuldete Tätigkeit infolge einer Erkrankung nicht erbringen kann. Es darf also nicht nur eine Bescheinigung über eine „Krankheit“ vorliegen, was das BAG in seiner Entscheidung noch einmal explizit betont hat. Des Weiteren muss der Name des Arbeitnehmers vermerkt, der behandelnde Arzt als Aussteller erkennbar sein und es muss sich aus der Bescheinigung die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit ergeben. In welchem Land die Bescheinigung ausgestellt wird, ist irrelevant für ihre Wirksamkeit und ihren Beweiswert.

Ob im In- oder Ausland ausgestellt: Der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung liegt grundsätzlich ein hoher Beweiswert inne. Primär obliegt es dem Arbeitgeber, diesen zu entkräften. Jedoch können begründete Zweifel, sowohl an der Bescheinigung selbst, dem Sachvortrag des Arbeitnehmers oder sonstigen Aspekten, diesen Beweiswert erschüttern. Das BAG hat hierzu einige Fallgruppen aufgestellt, beispielsweise können die Ankündigung einer Erkrankung durch den Arbeitnehmer (BAG, 4.10.1978 – 5 AZR 326/77), einzelne Krankheitstage im Umfeld von Urlaubs-, Brücken- und Feiertagen sowie Wochenenden (BAG, 20. Februar 1985 – 5 AZR 180/83) oder die Tätigkeit in einem Konkurrenzunternehmen während der Arbeitsunfähigkeit (BAG, 29. Juni 2017 – 2 AZR 597/16) solche Zweifel begründen. In unserem Blogbeitrag vom 6. Juni 2023 beschäftigten wir uns mit dem Fall der Deckungsgleichheit von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Restarbeitsdauer nach arbeitnehmerseitiger Kündigung, welcher ebenfalls eine Erschütterung des Beweiswertes zur Folge haben kann.

Ist der Beweiswert erschüttert, führt dies zu einer Beweislastumkehr mit der Folge, dass der Arbeitnehmer die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch trägt.

BAG fordert umfassende Gesamtwürdigung aller Einzelaspekte

Kernaussage des gegenständlichen BAG-Urteils ist die Notwendigkeit der Vornahme einer umfassenden Gesamtwürdigung aller Einzelfallumstände im Falle der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Es wurde insbesondere die isolierte Betrachtung der Einzelaspekte in der Vorinstanz (LAG München, Urteil vom 16. Mai 2024 – 9 Sa 538/23), welche für sich genommen unverfänglich waren und zu keiner Erschütterung des Beweiswertes führten, kritisiert und zurückgewiesen.

Im konkreten Fall wurden seitens des tunesischen Arztes eine Arbeitsunfähigkeit von insgesamt 24 Tagen festgestellt, ohne dass der Arbeitnehmer nochmals in der Praxis vorstellig werden musste. Insbesondere bei dem Vorliegen eines solchen Krankheitsbildes in Form von Ischiasbeschwerden kann die Arbeitsunfähigkeit bereits früher enden, weshalb eine frühere Kontrolle geboten sein könnte. Zudem buchte sich der Arbeitnehmer am Tag nach seinem Arztbesuch ein Fährticket für den Zeitpunkt des Endes seiner erwarteten Arbeitsunfähigkeit. Darüber hinaus war es bereits das vierte Mal während seiner Beschäftigung, dass der Arbeitnehmer in direktem zeitlichen Zusammenhang mit seinem Urlaub eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegte. Das LAG muss somit all diese einzelnen Aspekte in einer Gesamtschau betrachten, um den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rechtlich zu überprüfen.

Mit seiner Entscheidung führt das BAG seine Rechtsprechung zur Beweislasterschütterung dahingehend fort, dass Einzelaspekte, welche für sich genommen nicht für eine Erschütterung reichen, im Zusammenspiel mit anderen Tatsachen eine solche Beweislastumkehr doch begründen können. Das BAG bestätigt, dass gewichtige Zweifel den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern können.

Konsequenzen der Entscheidung für Arbeitgeber

Arbeitgeber und Personaler können aus der neuen BAG-Entscheidung wichtige Erkenntnisse mitnehmen. Insbesondere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, welche noch im oder direkt nach dem Urlaub eingereicht werden, sind genau zu überprüfen. Auf folgende Aspekte ist insbesondere achten:

  • Besteht ein direkter zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Urlaubsende und dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit?
  • Kommt es wiederholt vor, dass direkt nach dem Urlaub eine Arbeitsunfähigkeit gemeldet wird?
  • Spricht das Verhalten des Arbeitnehmers vor oder nach Ausstellung der Bescheinigung gegen das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit oder Krankheit? Gibt es hier besondere Auffälligkeiten?
  • Sind alle inhaltlichen Anforderungen, welche § 5 EFZG an die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stellt, eingehalten worden?

Diese Grundsätze sind nicht beschränkt auf Erkrankungen im Urlaub. Sie gelten allgemein für alle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ob aus dem Ausland oder nicht, und können für eine Erschütterung des Beweiswertes herangezogen werden.

Hinweis: Mehr zum Thema hohe Krankenstände und Entgeltfortzahlung erfahren Sie in unserer letzten Podcast-Spezialfolge. Hören Sie jetzt rein: Podcast Episode 42 – Spezialausgabe zum Thema hohe Krankenstände.

Miriam Siemen


Rechtsanwältin
Senior Associate
Miriam Siemen berät nationale und internationale Unternehmen in allen Angelegenheiten des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liegt in der Ausgestaltung und Beendigung von Arbeits- und Dienstverhältnissen. Sie begleitet Restrukturierungsprozesse und berät Mandant in Kündigungsstreitigkeiten und im Bereich des Betriebsverfassungsrechts. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe „Whistleblowing und Compliance.“
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