open search
close
Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge

Update zur außerordentlichen Kündigung: Anhörung zum Kündigungsvorwurf im Urlaub?

Arbeitgeber sind gehalten, arbeitsbezogene Kontaktaufnahmen im Urlaub grundsätzlich zu unterlassen und Arbeitnehmer nur in dringenden Fällen zu kontaktieren. Denn der Erholungszweck des Urlaubs soll nicht beeinträchtigt werden. Zulässig dürfte etwa die kurze Frage nach benötigten Unterlagen oder dem letzten Sachstand einer bestimmten Angelegenheit sein, ohne dass deswegen der Tag nicht mehr als Urlaubstag zu werten wäre. Dies gilt jedenfalls, wenn diese Fragen mit nur geringem Zeitaufwand von ca. 10 – 15 Minuten beantwortet werden können.

Gilt das auch bei einer Anhörung im Rahmen einer außerordentlichen (Verdachts-)Kündigung?

Einen Arbeitnehmer während seines Urlaubs zu kontaktieren, kann allerdings auch dann zulässig sein, wenn gegen ihn wegen einer schweren Pflichtverletzung ermittelt wird, die zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte. Aus Sicht des Arbeitgebers kann in einem solchen Fall eine Kontaktaufnahme sogar geboten sein, um bei außerordentlichen Kündigungen die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu wahren. Denn die Einhaltung dieser Frist erweist sich häufig als Stolperstein für eine außerordentliche Kündigung. Wird sie nicht eingehalten, ist die außerordentliche Kündigung bereits deswegen unwirksam. Mit zwei Wochen ist die Frist knapp bemessen. Gibt es einen Betriebsrat, muss dieser auch noch innerhalb dieser zwei Wochen angehört werden.

Die Kündigungserklärungsfrist beginnt, nachdem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Bei einer verhaltensbedingten Kündigung ist darauf abzustellen, wann der Arbeitgeber im Rahmen seiner Ermittlungen zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Arbeitnehmer den betreffenden schweren Pflichtverstoß entweder begangen hat oder dass zumindest ein entsprechender Verdacht besteht (siehe zum Beginn der Kündigungserklärungsfrist unseren Blogbeitrag vom 7. Februar 2019). Diese Ermittlungen müssen mit der gebotenen Eile durchgeführt werden. Unerheblich ist, ob sie tatsächlich zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder ergebnislos waren.

Zur Aufklärung des Sachverhalts dürfte es häufig geboten sein, auch den Arbeitnehmer zu den Vorwürfen anzuhören. Soll die Kündigung auf den (bloßen) Verdacht einer Pflichtverletzung gestützt werden, ist eine vorherige Anhörung des Arbeitnehmers sogar eine zwingende Kündigungsvoraussetzung. Dem Arbeitnehmer muss die Möglichkeit eingeräumt werden, den Kündigungsvorwurf zu entkräften.

Ausnahme von der einwöchigen Regelfrist? Ja, bei Krankheit …

Die Anhörung des Arbeitnehmers muss in der Regel innerhalb einer Woche durchgeführt werden. Andernfalls führt der Arbeitgeber die Ermittlungen nicht mit der gebotenen Eile durch – es sei denn, es liegt ein Ausnahmefall vor. Einen solchen Ausnahmefall hat das BAG im Fall eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers angenommen (BAG vom 11. Juni 2020, 2 AZR 442/19). Der Arbeitgeber dürfe eine angemessene Frist abwarten, bevor er beim erkrankten Arbeitnehmer anfragte, ob dieser trotz Arbeitsunfähigkeit in der Lage sei, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Dies folge aus der Pflicht des Arbeitgebers aus § 241 Abs. 2 BGB, auf den Genesungsprozess Rücksicht zu nehmen und alles zu unterlassen, was dem Genesungsprozess abträglich sei oder ggf. sogar eine Verschlechterung des Zustands herbeiführen könne. Das BAG hielt hier einen Zeitraum von drei Wochen für die Kontaktaufnahme für grundsätzlich angemessen (siehe dazu unseren Blogbeitrag vom 27. Oktober 2020).

…aber auch im Urlaub?

Auf den ersten Blick könnte man eine Anhörung während des Urlaubs eines Arbeitnehmers für gleichgelagert halten: Schließlich ist der Arbeitgeber, wie dargelegt, dazu verpflichtet, die Urlaubserholung seiner Arbeitnehmer nicht zu beeinträchtigen. Das LAG Baden-Württemberg hat die beiden Fälle Krankheit und Urlaub jedoch unterschiedlich bewertet (LAG Baden-Württemberg vom 12. Dezember 2024 – 12 Sa 25/24). Der Arbeitgeber sei zur Wahrung der Kündigungserklärungsfrist jedenfalls bei einer längeren urlaubsbedingten Abwesenheit von mehr als drei Wochen gehalten, den Arbeitnehmer noch im laufenden Urlaub zu kontaktieren. Nur in den Fällen eines Kurzurlaubs bzw. der im rechtlichen Sinne zeitnahen Urlaubsrückkehr des Arbeitnehmers dürfe der Arbeitgeber die Kontaktaufnahme noch für eine gewisse Zeit hinausschieben. Eine starre zeitliche Grenze stellte das LAG allerdings nicht auf.

Im konkreten Fall des LAG Baden-Württemberg wurde einem Zugchef vorgeworfen, einen als Zugbegleiter tätigen Kollegen während der Arbeit sexuell belästigt zu haben. Als die Arbeitgeberin von den Vorwürfen Kenntnis erlangt hatte, befand sich der Zugchef bereits seit ein paar Tagen in einer insgesamt fünftägigen Ruhezeit, an die sich unmittelbar ein dreiwöchiger Urlaub anschloss. Die Arbeitgeberin lud ihn erst am Tag seiner Rückkehr aus dem Urlaub zu einem Personalgespräch am Folgetag ein, um ihn zu den Vorwürfen anzuhören. Damit hatte die Arbeitgeberin aus Sicht des LAG die Kündigungserklärungsfrist versäumt. Sie hätte den Arbeitnehmer noch im Urlaub kontaktieren müssen und bei ihm anfragen, ob er zur Teilnahme an einem Personalgespräch über die Vorwürfe bereit sei. Denn der Urlaub habe noch „einen im rechtlichen Sinne erheblich langen Zeitraum“ fortgedauert, nachdem die Arbeitgeberin von dem Vorwurf erfahren hatte.

Von wesentlicher Bedeutung war für das LAG der Gesichtspunkt, dass eine effektive Entlastung zeitnah erfolgen muss, um auf noch frische eigene Erinnerungen zurückgreifen zu können sowie auf die Erinnerungen von möglichen Entlastungszeugen. Es bestehe die Gefahr, dass bereits nach einem Zeitraum von wenigen Wochen Erinnerungslücken hinsichtlich wesentlicher Details entstanden sein können, die bei einer sehr zeitnahen Aufarbeitung des Sachverhalts möglicherweise hätten vermieden werden können. Es müsse daher der Entscheidung des Arbeitnehmers überlassen bleiben, ob er seinen Urlaub mit dem Ziel einer zeitnahen und damit effizienteren Entlastung seiner Person von den erhobenen Vorwürfen und der zeitnahen Schaffung von Rechtsklarheit unterbrechen möchte, um zu den Vorwürfen ggf. persönlich Stellung zu nehmen. Dieses Interesse des Arbeitnehmers überwiege sein Interesse auf einen ungestörten Urlaub zur Wahrung des Erholungszwecks.

Fazit

Die Revision ist anhängig, die Entscheidung des BAG bleibt hier also abzuwarten. Bis dahin sollten Arbeitgeber jedoch Arbeitnehmer bei Verdacht von schweren Pflichtverstößen vorsichtshalber auch im Urlaub kontaktieren. Das gilt im Einzelfall jedenfalls dann, wenn es sich um einen längeren Urlaub handelt. Dem Arbeitnehmer sollte eine angemessene kurze Frist für die Mitteilung gesetzt werden, ob er zu einer Anhörung auch während seines Urlaubs zur Verfügung steht. Ob eine schriftliche oder mündliche Anhörung vorzuziehen ist, sollte je nach Fall und insbesondere Komplexität des Sachverhalts entschieden werden.

Sonja Günther

Rechtsanwältin

Senior Associate
Sonja Günther berät nationale wie auch internationale Unternehmen in sämtlichen Belangen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts. Zu Ihren Tätigkeitsschwerpunkten zählt neben den Klassikern der Vertragsgestaltung, arbeitsrechtlichen Compliance und Unternehmensumstrukturierung insbesondere auch die Beratung zu Fragen der betrieblichen Mitbestimmung. Darüber hinaus ist sie erfahren in der Vertretung von Unternehmen in arbeitsgerichtlichen Verfahren im Individual- und Kollektivarbeitsrecht und verfügt über besondere Expertise im Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe Regulatory bei KLIEMT.Arbeitsrecht.
Verwandte Beiträge
Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge

Erstattung von Detektivkosten: Muss der Arbeitnehmer zahlen?

Arbeitszeitbetrug ist kein Kavaliersdelikt – sondern ein massiver Vertrauensbruch im Arbeitsverhältnis. Für Arbeitgeber steht in solchen Fällen nicht nur der unmittelbare Schaden im Raum, sondern auch die Frage, ob und wie man die Pflichtverletzung aufklären darf – etwa durch Einschaltung eines Detektivs. Diese Frage kann sich auch in anderen Konstellationen stellen, z. B. beim Verdacht einer Konkurrenztätigkeit oder bei Compliance Verstößen. Immer häufiger lassen sich Unternehmen…
Individualarbeitsrecht Neueste Beiträge

Kündigung in eigener Sache: Wenn der Betriebsratsvorsitzende zum Tagesordnungspunkt wird

Die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds ist stets ein brisantes Thema und aus Arbeitgebersicht kein „Selbstläufer“. Handelt es sich bei dem Betroffenen sogar um den Betriebsratsvorsitzenden, können sich für Unternehmen auf dem Weg zur beabsichtigten Kündigung noch zusätzliche formale Stolpersteine ergeben. Worauf müssen Arbeitgeber also achten? Trennung mit Hindernissen Gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds der Zustimmung des Betriebsrats. Verweigert…
Compliance Neueste Beiträge Unternehmensführung

Wenn Arbeitnehmer zu Straftätern werden – Die Kündigung wegen der Begehung einer Straftat

In Zeiten, in denen der klassische „Tatort“-Krimi weitgehend durch True-Crime-Podcasts und Serienkiller-Dokus abgelöst wurde, dürfte jedem klar sein: Straftaten sind (leider) Teil unserer Gesellschaft. Täter finden sich in allen gesellschaftlichen Gruppen und Milieus und damit praktisch zwangsläufig auch unter Arbeitnehmern. Eine Straftat, begangen durch einen Arbeitnehmer, wird das Arbeitsverhältnis meist überschatten und nachhaltig stören. Nicht nur das Verhältnis zu Vorgesetzten und Kollegen kann darunter leiden….
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.