Im Rahmen der Rechtsstreitigkeiten rund um die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern im Volkswagen-Konzern hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun eine erste Grundsatzentscheidung getroffen, die die Beweislastverteilung bei nachträglicher Korrektur der Betriebsratsvergütung betrifft. Mit seiner aktuellen Entscheidung vom 20. März 2025 (7 AZR 46/24) stellt das BAG die Weichen zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast neu und stellt sich dabei ausdrücklich gegen die Rechtsauffassung der Vorinstanzen (u.a. LAG Niedersachsen): Nimmt der Arbeitgeber im Nachhinein eine Gehaltsanpassung von freigestellten Betriebsratsmitgliedern vor, trägt er die Darlegungs- und Beweislast, dass die Bemessung der Vergütung im ersten Schritt objektiv fehlerhaft war.
Was war passiert?
Der Kläger, ein freigestelltes Betriebsratsmitglied, erhielt in der Vergangenheit regelmäßig Gehaltserhöhungen, die sich an der Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer orientierten. Nach der Volkswagen-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Untreue bei Betriebsratsvergütung (siehe hierzu unseren Blogbeitrag vom 20. März 2023) überprüfte der Arbeitgeber die Gehälter der Betriebsratsmitglieder und senkte daraufhin das Gehalt des betroffenen Betriebsratsmitglieds mit der Begründung, dass die bislang gezahlte Vergütung überhöht sei und gegen das Betriebsverfassungsgesetz verstoße. Mit seiner Klage machte das Betriebsratsmitglied nunmehr (u.a.) die Vergütungsdifferenz gerichtlich geltend.
Wie ist die aktuelle Rechtslage?
Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben freigestellte Betriebsratsmitglieder Anspruch auf Erhöhung ihres Gehalts in dem Umfang, in dem das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung steigt (§ 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Nach der Rechtsprechung des BAG (vgl. vom 4. November 2015, 7 AZR 972/13) ist dies der Fall, wenn die Mehrzahl vergleichbarer Arbeitnehmer zwischenzeitlich eine höherwertige Tätigkeit (mit entsprechend höherer Vergütung) ausüben, oder dem Betriebsratsmitglied nach den betrieblichen Gepflogenheiten eine solche höherwertige Tätigkeit hätte übertragen werden müssen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen eines Anspruchs auf Gehaltsanpassung trägt dabei grundsätzlich das Betriebsratsmitglied.
Ausgehend von diesen Grundsätzen entschied das LAG Niedersachsen in dem oben geschilderten Fall, dass auch hier die grundsätzlich beim betroffenen Betriebsratsmitglied liegende Darlegungs- und Beweislast nicht auf den Arbeitgeber übergeht. Nach Auffassung des LAG Niedersachsen müsse das Betriebsratsmitglied folglich auch im Falle einer nachträglichen Korrektur seines Gehalts durch den Arbeitgeber vergleichbare Arbeitnehmer benennen, deren berufliche Entwicklung darlegen und zur betriebsüblichen Beförderungspraxis vortragen, um den aus seiner Sicht weiterhin bestehenden Anspruch auf eine höhere Vergütung zu belegen. Wir haben hierzu in unserem Blogbeitrag vom 2. September 2024 berichtet.
Was hat das BAG nun entschieden?
Diese Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast, die das LAG Niedersachsen entwickelt hatte, hielten vor dem BAG jedoch nicht Bestand. Das BAG stellte in seiner Entscheidung vom 20. März 2025, zu der bislang lediglich eine Pressemitteilung vorliegt, unmissverständlich klar: Korrigiert der Arbeitgeber im Nachhinein eine Vergütungsanpassung aufgrund betriebsüblicher Entwicklung i.S.d. § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, dass die zunächst gewährte und bereits mitgeteilte Gehaltserhöhung objektiv fehlerhaft war.
Erst wenn der Arbeitgeber die Fehlerhaftigkeit der Vergütungsanpassung darlegen und beweisen kann, kann ein Gericht einem zweiten Schritt darüber befinden, ob die nunmehr geringere Vergütung eine unzulässige Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt (§ 78 S. 2 BetrVG).
Welche Rechtsfolgen ergeben sich aus der Entscheidung des BAG?
Das „Volkswagen-Urteil“ des BGH veranlasste viele Arbeitgeber dazu die Vergütung ihrer freigestellten Betriebsratsmitglieder auf den Prüfstand zu stellen und – im Zweifel – nachträglich nach unten zu „korrigieren“, um rechtliche Risiken zu reduzieren. Will der Arbeitgeber jedoch eine bereits erfolgte Vergütungsanpassung nach § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG wieder rückgängig machen, muss er nun konkret darlegen und beweisen, dass die bisherige Vergütungsentwicklung nicht derjenigen vergleichbarer Arbeitnehmer entspricht. Dies stellt Arbeitgeber vor eine weitere Herausforderung: Denn eine pauschale Berufung auf die BGH-Entscheidung zur Untreue bei Betriebsratsvergütung reicht gerade nicht aus, um eine Gehaltskorrektur durchzusetzen.
Auch wenn die konkreten Entscheidungsgründe des BAG noch abzuwarten sind, sind Arbeitgeber weiterhin gut beraten, die betriebsverfassungsrechtlichen Vorgaben zur Betriebsratsvergütung strikt einzuhalten, um Strafbarkeits- und Compliance-Risiken zu vermeiden. Kommt ein Arbeitgeber nach Überprüfung der Betriebsratsvergütung daher zu dem Ergebnis, dass die Anpassung der Gehälter freigestellter Betriebsratsmitglieder in der Vergangenheit zu hoch ausgefallen ist, sollte die Vergütung – trotz erhöhtem Begründungs- und Dokumentationsaufwand – auch im Lichte der jüngsten Entscheidung des BAG dringend angepasst werden. Die Korrektur bedarf indes einer soliden Tatsachengrundlage, insbesondere konkreter Vergleichsdaten, und sollte rechtssicher dokumentiert werden. Das Urteil des BAG zeigt einmal mehr: Die Vergütung von Betriebsratsgliedern bleibt ein sensibles Feld und verlangt Augenmaß, Fachkunde und eine saubere rechtliche Argumentation.