Mit den fortschreitenden Möglichkeiten der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz rücken IT-Themen bei den Gewerkschaften mehr und mehr in den Fokus. Verschiedene Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahren Digitalisierungstarifverträge abgeschlossen.
Und auch zum Thema KI sind erste Tarifabschlüsse zu beobachten, etwa der Tarifvertrag zum Umgang mit KI in der Film- und Fernsehproduktion zwischen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und der Schauspielgewerkschaft Bundesverband Schauspiel e.V. (BFFS).
Dabei weiten solche Tarifverträge Mitbestimmungsrechte nicht zwingend aus. Im Gegenteil, Tarifverträge bieten sogar Möglichkeiten, die IT-Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu gestalten und besondere IT-Themen auf Tarifebene zu heben.
I. Ausgangspunkt: § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG
Nach 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen, wenn technische Einrichtungen eingeführt oder angewendet werden, die dazu bestimmt sind, Verhalten oder Leistung der Beschäftigten zu überwachen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG genügt es allerdings, wenn die Systeme hierfür objektiv geeignet sind, BAG, Beschluss vom 13. Dezember 2016 – 1 ABR 7/15.
Gelingt eine Eignung nicht, entscheidet die Einigungsstelle. Solche Prozesse verlaufen häufig mühsam, verursachen beim Arbeitgeber hohe Kosten und passen nicht zu den dynamischen Entwicklungen im IT-Bereich.
Doch kann die Einführung von technischen Einrichtungen abweichend von der Mitbestimmung nach 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG durch Tarifvertragsparteien geregelt werden? Mit anderen Worten: Handelt es sich um sog. „tarifierbare“ Regelungen?
II. Tarifierbarkeit von IT-Regelungen
Nach 1 Abs. 1 TVG können Tarifverträge nicht nur „den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen“ betreffen, sondern auch „betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen“ regeln.
Damit sind nicht nur individualrechtliche Inhalte (Inhaltsnormen), sondern auch kollektivrechtliche Betriebsnormen umfasst. Zu den betrieblichen Fragen zählen zum Beispiel Arbeitsschutzregelungen und die Fragen der Ordnung des Betriebs.
Die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen zur Überwachung des Verhaltens oder der Leistung von Arbeitnehmern dürfte insoweit ebenso eine typische Betriebsnorm sein. Allerdings diskutiert die juristische Literatur diese Frage bisher erstaunlich wenig.
III. Tarifvertrag modifiziert Mitbestimmung? Was rechtlich wirklich gilt
Es gilt aber: Tarifverträge dürfen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht inhaltlich einschränken.
Ein Satz im Tarifvertrag wie „Das Mitbestimmungsrecht entfällt bei IT-Systemen“ wäre unwirksam, wenn keine konkrete inhaltliche Regelung zur betreffenden Materie existiert.
Unzulässig dürften somit auch Klauseln sein, wie man sie typischerweise aus IT-Rahmen-Betriebsvereinbarungen kennt, etwa Zustimmungsfiktionen, wonach Systeme nach Ablauf bestimmter Fristen eingeführt werden können. Gleiches dürfte für Regelungen etwa zu Updates von IT-Systemen gelten, die unter einer IT-Rahmen-Betriebsvereinbarung oft einem erleichtertem Mitbestimmungsprozess unterliegen.
IV. Ausübung des Mitbestimmungsrechts durch Tarifvertrag
Rechtlich zulässig ist indes die Ausübung des Mitbestimmungsrechts durch die Tarifvertragsparteien, wenn der Tarifvertrag die mitbestimmungspflichtige Materie zwingend und abschließend regelt.
Der Einleitungssatz des 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG stellt klar:
„Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen …“.
Daraus folgt: Besteht eine abschließende tarifliche Regelung, kommt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach Nr. 6 nicht mehr zur Anwendung.
Und selbstverständlich könnten sich die Tarifvertragsparteien in modernen Tarifverträgen auch Prozessregelungen unterwerfen, um die digitale Transformation durch Regelungen der Tarifvertragsparteien zu beschleunigen, wenn dies durch die Betriebsparteien nicht gelingt. Gerade bei großen IT-Projekten, deren erfolgreiche Umsetzung heute existentiell für Unternehmen sein können und bei denen sich die Betriebsparteien in langwierigen Einigungsstellen verheddern, kann dies eine gangbare Option sein.
V. Fazit
Wer als Gewerkschaft eine stärkere Rolle in der digitalen Transformation beansprucht und tarifliche Regelungen zu Digitalisierung und KI fordert, muss auch Verantwortung übernehmen, wenn es um die Beschleunigung der Prozesse auf betrieblicher Ebene geht.
Digitalisierungs- und KI-Tarifverträge sind keine Einbahnstraße. Sie müssen sicherstellen, dass Unternehmen im Digitalisierungs- und KI-Zeitalter passende und verlässliche Mitbestimmungsprozesse erhalten, ohne dabei die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats auszuhöhlen. So können Digitalisierungs- und KI-Tarifverträge zu einem echten Win-Win für alle Beteiligten werden.