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Tattoo mit Nebenwirkungen: Keine Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit nach Tätowierung

Rund ein Drittel der Deutschen ist heute tätowiert, besonders in der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen sind Tätowierungen sehr beliebt und gelten als Ausdruck individueller Lebensgestaltung. Doch was geschieht, wenn eine frische Tätowierung gesundheitliche Folgen hat und eine Entzündung zur Arbeitsunfähigkeit führt? Für Arbeitgeber stellt sich in solchen Fällen die Frage: Muss der Arbeitgeber Entgeltfortzahlung leisten?

Eine Frage des Verschuldens im Sinne des § 3 Abs. 1 EFZG

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit ohne eigenes Verschulden eintritt.

Der Sinn und Zweck des § 3 Abs. 1 EFZG liegt darin, eine ausgewogene Balance herzustellen. Einerseits soll der Arbeitnehmer bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit finanziell abgesichert sein und die Kostenrisiken zwischen Arbeitgeber und Krankenversicherung sollen gerecht verteilt werden; andererseits bleibt es Aufgabe des Arbeitnehmers, im eigenen Interesse seine Gesundheit zu wahren und vermeidbare Erkrankungen zu verhindern.

Tätowierung als freiwilliger Eingriff mit vorhersehbarem Risiko

Bei einer Tätowierung handelt es sich um einen medizinisch nicht notwendigen Eingriff, bei dem die Haut bewusst verletzt wird. Komplikationen wie Entzündungen sind dabei nicht fernliegend. Studien zeigen, dass sie in etwa in einem bis sechs Prozent der Fälle auftreten. In der medizinischen Bewertung gelten Nebenwirkungen ab einem Prozent bereits als „häufig“.

Wer sich tätowieren lässt, handelt daher in Kenntnis eines nicht unerheblichen Gesundheitsrisikos. Kommt es infolge der Tätowierung zu einer Entzündung, kann dies als „Verschulden gegen sich selbst“ gewertet werden – also als ein Verhalten, das ein verständiger Mensch im eigenen Interesse unterlassen hätte.

Aktuelle Rechtsprechung: LAG Schleswig-Holstein

Das LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 22. Mai 2025 – 5 Sa 284 a/24) hat diese Grundsätze in einem aktuellen Fall bestätigt. Es nahm bei der Arbeitnehmerin, bei der sich infolge einer Tätowierung eine Hautentzündung entwickelte und sie für mehrere Tage arbeitsunfähig machte, ein solches „Verschulden gegen sich selbst“ an. Die Arbeitnehmerin habe durch die Tätowierung ein vorhersehbares Risiko in Kauf genommen. Die Entzündung sei eine typische Komplikation, die in der Hautverletzung durch das Tätowieren bereits „angelegt“ sei. Schon bei der Tätowierung an sich reagiere die Haut gereizt. Komplikationen, insbesondere Entzündungen, lägen daher nicht fern. Der Vorsatz bei der Tätowierung selbst erstrecke sich hier als bedingter Vorsatz daher auch auf die durch Tätowierung erfolgten nachträglichen Komplikationen. Allein ein „gleichgültiges Hoffen“ darauf, dass die Komplikationen ausbleiben, reiche nicht aus, um den Vorsatz auszuschließen. Damit liege ein grober Verstoß gegen das eigene Gesundheitsinteresse vor und somit ein Ausschlussgrund für die Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG.

Abgrenzung zu Sportunfällen

Das Urteil des LAG Schleswig-Holstein steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BAG zur Arbeitsunfähigkeit infolge von Sportunfällen (siehe auch unseren Blogbeitrag vom 19. September 2023) Auch dort gilt: Wer sich unbeherrschbaren Gefahren und damit einem besonders hohen Verletzungsrisiko aussetzt, handelt leichtsinnig, unvernünftig und damit schuldhaft. Allerdings besteht ein wesentlicher Unterschied: Beim Sport setzt sich der Arbeitnehmer zwar Risiken aus, jedoch nicht bewusst einem gezielten körperlichen Eingriff. Eine Tätowierung hingegen stellt einen willentlich herbeigeführten, medizinisch nicht notwendigen Eingriff in den eigenen Körper dar – mit von vornherein absehbaren gesundheitlichen Risiken.

Rechtspolitische Erwägungen

Die Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein entspricht auch der Wertung des § 52 Abs. 2 SGB V. Danach sind Krankenkassen nicht verpflichtet, die Folgen medizinisch nicht indizierter Eingriffe zu tragen. Ebenso wenig erscheint es sachgerecht, Risiken, die allein auf einer privaten Lifestyle-Entscheidung beruhen, auf Arbeitgeber oder die Versichertengemeinschaft zu verlagern. Tätowierungen stellen ein nicht unerhebliches Risiko dar und dieses Risiko sollte daher demjenigen zugewiesen werden, der es veranlasst hat.

Fazit

Wer sich daher für eine Tätowierung entscheidet, trägt nicht nur Verantwortung für das Motiv, sondern auch für die möglichen gesundheitlichen Folgen. Führt eine solche Komplikation zur Arbeitsunfähigkeit, entfällt in der Regel der Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Alisa Liebchen, LL.M.

Rechtsanwältin

Associate
Alisa Liebchen berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben der Führung von Kündigungsrechtsstreitigkeiten berät sie ihre Mandanten im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung.
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