Über die letzten Jahre hat das Arbeitskampfrecht in Deutschland ein neues Gesicht bekommen, maßgeblich geprägt durch die zunehmenden Versuche der Gewerkschaften, neue (und oftmals zweifelhafte) Streikmittel einzusetzen, sowie den Versuchen der Arbeitgeber, das Streikrecht wieder auf seinen eigentlichen Kern zurückzuführen und rechtswidrige Streiks einzuschränken. Das Bundesarbeitsgericht hat nunmehr einen wichtigen „Pflock“ eingeschlagen und die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) zum Schadensersatz gegenüber der Flughafenbetreiberin in Folge des rechtswidrigen Fluglotsenstreiks 2012 verurteilt (Urteil vom 26. Juli 2016 – 1 AZR 160/14). Wir ordnen die Entscheidung ein.
Konsequenzen für die Praxis
Das Urteil des BAG hat eine kaum zu unterschätzende Relevanz für die Praxis. In den letzten Jahren hatte sich die Arbeitgeberseite verstärkt Arbeitskämpfen zu erwehren, die nicht mehr den klassischen Mustern folgen, sondern vielmehr durch Druck auf ebenfalls betroffene Dritte charakterisiert sind, unkonventionelle Arbeitskampfmethoden vorsehen oder in Extremfällen sogar den Streik und rechtswidrige Arbeitskampfmittel als schlichtes Druckmittel zur Erreichung nicht erstreikbarer Ziele vorsahen.
Die Entscheidung des BAG ist daher rechtspolitisch ein wichtiges Zeichen, dass beim Einsatz von Arbeitskampfmitteln die Gewerkschaften nicht leichtfertig agieren, sondern vorher sorgfältig zu prüfen haben, ob das konkrete Arbeitskampfmittel rechtmäßig sein kann oder nicht. Sie ist aber auch rechtsdogmatisch zutreffend. Das BAG hat klargestellt, dass ein Arbeitskampf als „Gesamtpaket“ zu verstehen ist: Ist ein einzelnes Streikziel rechtswidrig, ist der gesamte Arbeitskampf rechtswidrig, da ein Streik für andere Ziele ein vollkommen anderer Arbeitskampf gewesen wäre. Das ist konsequent und nachvollziehbar. „Ein fauler Apfel im Korb“ verdirbt also den gesamten Streik. Die bestreikten Arbeitgeber haben nun ein brauchbares Gegenmittel zur Verfügung, das auch abschreckende Wirkung haben kann. Wichtiger denn je wird sein, den Gang der Verhandlungen adäquat zu dokumentieren.
Schadensersatzansprüche verneint hat das BAG jedoch für die – im konkreten Fall nur drittbetroffenen – Fluggesellschaften; insoweit verbleibt es bei seiner früheren Rechtsprechung (BAG v. 25.08.2015, 1 AZR 754/13 und 1 AZR 875/13). Arbeitskampfdogmatisch mag dies richtig sein, bildet aber die Realität nur unzureichend ab, dass Gewerkschaften auch gerade wegen der Drittbetroffenheit weiterer Unternehmen streiken, um so Druckpositionen auf ihren jeweiligen Verhandlungspartner aufzubauen.
Auswirkungen für weitere Fälle?
Mit Spannung verfolgt werden darf insoweit insbesondere, welche Folgen die Entscheidung für den Streik der Piloten im Jahr 2015 hat. Dort versuchte die Gewerkschaft Cockpit, soweit bekannt, maßgeblich zu verhindern, dass eine von ihr als „Billigfluglinie“ bezeichnete weitere Anstellungsgesellschaft für Piloten ins Leben gerufen werden sollte. Offiziell kommuniziert wurde jedoch, es gehe um die Regelung der betrieblichen Altersversorgung für alle Piloten. Das LAG Hessen hat in diesem Fall in einer kontrovers diskutierten Entscheidung festgestellt (Urt. v. 09.09.2015, Az. 9 SaGa 1082/15), dass Streiks, welche nur der Verhinderung billigenswerter unternehmerischer Entscheidungen dienten, von vornherein unzulässig seien. Maßgeblich für die Bewertung der Streikziele seien nicht nur die offiziell verkündeten Streikbeschlüsse, sondern auch andere Verlautbarungen der Gewerkschaft. Ob auch insoweit Schadensersatzforderungen auf Cockpit zukommen werden, bleibt abzuwarten.
Hintergrund der Entscheidung
In dem von dem BAG entschiedenen Fall bestand ein Konflikt zwischen der GdF sowie der Betreiberin des Frankfurter Flughafens. Die GdF machte im Jahr 2012 eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die bei der Arbeitgeberin beschäftigten Vorfeldlotsen geltend. Verhandlungen sowie auch ein Schlichtungsverfahren blieben erfolglos.
Die GdF griff daher zum Mittel des Streiks, um die Empfehlungen der Schlichtungskommission durchzusetzen. Der mehrere Tage andauernde Streik soll nach Medienberichten dazu geführt haben, dass insgesamt zwischen 1600 und 1700 Flüge streikbedingt ausfielen. Es gelang der Betreiberin des Flughafens nach eigenen Angaben dennoch, zwischen 70 und 80 Prozent des Flugverkehrs aufrechtzuerhalten.
Verstoß gegen die Friedenspflicht
Problematisch war an dem hier gegenständlichen Streik: Die Empfehlungen der Schlichter enthielten auch Regelungen für Sachverhalte, für welche noch geltende tarifliche Regelungen existierten. Konkret ging es um die §§ 5-8 des Tarifvertrags für die Beschäftigten in der Vorfeldkontrolle und Verkehrszentrale, dessen Bestimmungen für die Laufzeit des Tarifvertrags abschließend sein sollten. Während die vorgenannten Regelungen erstmalig zum 31. Dezember 2017 kündbar waren, galten die übrigen tariflichen Regelungen nur bis zum 31. Dezember 2011. Im Verhandlungswege hätten die noch fortbestehenden Regelungen unproblematisch geändert werden können; ein Streik war bezogen auf diese Ziele aufgrund der entgegenstehenden tariflichen Friedenspflicht jedoch offensichtlich rechtswidrig.
Die Arbeitgeberin (sowie mehrere drittbetroffene Fluggesellschaften) nahmen die GdF im Nachgang des Streiks auf Schadensersatz in Anspruch. Dogmatisch war klar, dass ein solcher Anspruch bestehen kann; dies hatte das BAG auch schon in 2012 ausgesprochen (Urteil vom 19.6.2012, 1 AZR 775/10). Dennoch waren die Instanzgerichte bislang äußerst zögerlich, einen solchen Anspruch tatsächlich zuzuerkennen – wohl, da im Hintergrund die Befürchtung schwebte, eine erfolgreiche Klage könne eine (gerade kleinere) Gewerkschaft wirtschaftlich ruinieren. Entsprechend unterlag die Arbeitgeberin auch in den Vorinstanzen. Insbesondere das LAG Hessen ging noch davon aus, ein Verzicht auf die rechtswidrigen Streikziele hätte den Streik insgesamt nicht verhindert, da es sich um übermäßig rechtmäßige Streikziele gehandelt habe. Außerdem habe die Arbeitgeberin die Folgen des Streiks nicht ausreichend abgemildert, z. B. durch den Einsatz möglicher Streikbrecher.
BAG korrigiert Vorinstanzen
Das BAG hat hier nun eine klare Linie vorgegeben und den Schadensersatzanspruch zuerkannt. Über die konkrete Höhe des Schadensersatzes soll nun das Hessische LAG entscheiden, an welches der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde. Ob damit die Rechtslage ein für alle Mal geklärt sein wird, ist zweifelhaft – die GdF hat bereits angekündigt, nach der Entscheidung des LAG weitere Rechtsmittel zu prüfen, und wird wohl schon aus politischen Gründen diese Linie auch weiter verfolgen. Einstweilen besteht aber ein begrüßenswertes Mehr an Rechtssicherheit für Arbeitgeber, die sich Arbeitskämpfen ausgesetzt sehen.
Mehr zu den allgemeinen Anforderungen an rechtmäßige Arbeitskämpfe finden Sie im Beitrag von Dr. Till Hoffmann-Remy, „Keine Betriebsblockaden bei Streiks“, ebenfalls veröffentlicht auf diesem Blog.