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Drei Fragen zum Zutrittsrecht von Gewerkschaften zum Betrieb

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Produktionsgelände

Die Rechte der Gewerkschaften sind vom Gesetzgeber kaum geregelt. Inhalt und Umfang etwa des Rechts auf Zugang zum Betrieb zum Zwecke der Mitgliederwerbung werden einzelfallbezogen von der Rechtsprechung ausgefüllt, die naturgemäß Lücken lässt und nur begrenzt verallgemeinerungsfähig ist. Nachfolgend wollen wir zu drei Fragen Stellung nehmen.

Eine allgemeine Übersicht zu den Rechten der Gewerkschaft im Betrieb, insbesondere Werbe- und Zugangsrechten, hatten wir bereits in einem früheren Beitrag zusammengefasst. Im Kern geht es bei jeder Fragestellung um eine Abwägung verfassungsrechtlich geschützter Interessen – von Gewerkschaft einerseits, des Arbeitgebers andererseits. Für das Bestehen und den Umfang etwaiger (Grund-)Rechte gilt es in jedem Einzelfall daher zunächst, die unternehmerischen Interessen sowie die Haus- und Eigentumsrechte des Arbeitgebers zu erkennen und sodann gegen die koalitionsspezifische Betätigung der Gewerkschaften abzuwägen.

Zutritt für tarifunzuständige Gewerkschaften?

Ist nur tarifzuständigen Gewerkschaften der Zutritt zu gewähren?

Die Frage kann sich stellen, wenn eine Gewerkschaft ihren selbst abgesteckten Zuständigkeitsbereich überdehnt und zum Zwecke der Mitgliederwerbung auf Arbeitnehmer in Betrieben zugehen will, für die sie an sich nicht tarifzuständig ist.

Das verfassungsrechtlich abgesicherte Ziel von Gewerkschaftsbetätigung ist, sich für Beschäftigtenrechte und bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen. Wesentlichstes Instrument hierfür ist das Verhandeln und der Abschluss von Tarifverträgen.

Gewerkschaften sind dabei auf bestimmte Branchen und Regionen ausgerichtet. So ist die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) zuständig für Beschäftigte in Betrieben rund um das Eisenbahngewerbe, aber grundsätzlich nicht für Betriebe im Einzelhandel. Die Gewerkschaft Nahrung Genuss und Gaststätten NGG wäre unzuständig für die Metallindustrie usw. Ihre Zuständigkeit legt eine Gewerkschaft in ihrer Satzung fest. Nur innerhalb des in seiner Satzung festgelegten Geschäftsbereichs kann eine Gewerkschaft wirksame Tarifverträge abschließen und außerhalb dessen weder Tarifverträge verhandeln noch dazu Betriebe bestreiken.

Dem entsprechend haben Gewerkschaften kein anzuerkennendes Interesse auf Zutritt zu Betrieben, die nicht in ihre Zuständigkeit fallen – unabhängig davon, ob in diesem Betrieb Mitglieder beschäftigt sind. Hier dient die Werbung nicht dem verfassungsrechtlich verbrieften Ziel, auf bessere Arbeitsbedingungen hinzuwirken, sondern es steht allein die Mitgliederwerbung im Raum.

Zutritt für Betriebsfremde?

Die Rechtsprechung erkennt auch ein Zutrittsrecht für betriebsfremde Gewerkschaftsmitglieder an, also etwa hauptamtliche Gewerkschaftssekretäre. Doch gilt dies unbegrenzt?

Gewerkschaften können im Betrieb aktiv um Mitglieder werben. Umstritten, jedoch anerkannt ist auch, dass eine Gewerkschaft grundsätzlich nicht darauf verwiesen werden kann, Werbung im Betrieb allein durch betriebsangehörige Mitglieder vorzunehmen, sondern die Organisationsentscheidung treffen kann, betriebsfremde Gewerkschaftsmitarbeiter in die Betriebe zu schicken.

Die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist dabei immer einzelfallbezogen. Auf dem Betriebsgelände kollidiert das Recht der Gewerkschaft mit dem ebenfalls mit Verfassungsrang geschützten Haus- und Eigentumsrecht des Betriebsinhabers und seiner wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit. Anhand des konkreten Zutrittsbegehrens der Gewerkschaft ist der damit verbundene personelle und organisatorische Aufwand des Arbeitgebers, die einhergehenden Störungen betrieblicher Abläufe und des Betriebsfriedens sowie die Grundrechtsbeeinträchtigungen des Arbeitgebers in die Waagschale zu werfen.

Bestimmte Arten von Betrieben können aufgrund ihrer Sicherheitsinteressen oder des Aufwands für den Zutritt, Betriebsfremden diesen verwehren. Grund können strenge Geheimhaltungsinteressen etwa in Produktionsbetrieben oder Datacentern sowie Sicherheitsvorgaben in wichtigen Infrastrukturunternehmen sein. Dabei gehört es zur unternehmerischen Freiheit zu bestimmen, welche Sicherheitsvorkehrungen im Betrieb gelten und welchen Personen der Arbeitnehmer das Vertrauen schenkt, diese als Mitarbeiter in seinem Unternehmen einzusetzen.

Beachtliche Umstände wären etwa, dass auch an die Beschäftigten besondere Voraussetzungen, wie etwa polizeiliches Führungszeugnis, Backgroundcheck, Sicherheitsüberprüfung (Ü1, Ü2, Ü3) oder besondere (Sicherheits-)Unterweisungen gestellt werden, ohne die ein Zutritt zum Betriebsgelände insgesamt oder zu bestimmten Bereichen nicht möglich ist.

Praktisch könnte erforderlich sein, dass es aufgrund der Sicherheits- und Geheimhaltungsinteressen unmöglich wäre, dass ein Betriebsfremder sich frei auf dem Betriebsgelände bewegt, sodass dieser vom Sicherheitspersonal begleitet werden müsste. Ein solcher personeller Aufwand übersteigt das, was man vom Arbeitgeber zumutbar verlangen darf. Dies gilt jedenfalls dann, solange die Gewerkschaft Rückgriff auf einen weniger aufwendigen Weg durch Einsatz Betriebsangehöriger hat.

Wie bestimmt muss das Zutrittsverlangen sein?

Welche Informationen müssen seitens der Gewerkschaft vorab an den Arbeitgeber übermittelt werden?

Damit der Arbeitgeber (oder ein Arbeitsgericht) überhaupt prüfen kann, ob und in welchem Umfang der Zutritt zu gewähren ist, müssen vorab genaue Angaben zu Zeitpunkt, Art und Umfang des Besuchs erteilt werden. Betriebsfremde Gewerkschaftsvertreter müssen sich also den Zutritt zum Betriebsgelände vom Arbeitgeber (und nicht etwa vom Betriebsrat) genehmigen lassen. Soll eine Person Flugblätter verteilen oder ist das Aufstellen eines Infostands mit drei Personen beabsichtigt? Die Gewerkschaft muss zumindest mitteilen, wer und wie viele Personen kommen werden und was diese beabsichtigen dort zu tun. Nur dann kann eingeschätzt werden, ob dies mit den Interessen des Arbeitgebers vereinbar ist und der Besuch vorbereitet werden.

Auch hier gilt es, die Interessen des Arbeitgebers ausreichend zu berücksichtigen. So mag einem Startup mit kleinen Büroräumen weniger zuzumuten sein als einem großen Produktionsbetrieb mit eigenem Gebäudekomplex für Pausen- und Kantinenbereiche.

Ihren beabsichtigten Besuch muss die Gewerkschaft rechtzeitig vorab, inklusive der beschriebenen Informationen, ankündigen. Spontane Aktionen auf dem Betriebsgelände scheiden damit aus.

Stephan Nakszynski


Rechtsanwalt
Senior Associate
Stephan Nakszynski berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts. Neben Restrukturierungsprojekten berät er seine Mandanten zudem in Kündigungsrechtsstreitigkeiten, im Bereich des Betriebsverfassungsrechts sowie in der Vertragsgestaltung. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Whistleblowing und Compliance".
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