Liegt in dem Angebot der Arbeitgeberin an eine Führungskraft, gegen Zahlung eines Kapitalbetrags mit Vollendung des 60. Lebensjahrs das Arbeitsverhältnis vorzeitig durch Vereinbarung beenden zu können („Konzept 60+“), eine Diskriminierung wegen des Alters? Das Bundesarbeitsgericht hat in einer am 17. März 2016 verkündeten Entscheidung klar festgestellt: Nein.
Eröffnung der bloßen Möglichkeit, einen Vertrag abzuschließen, keine Benachteiligung
Das BAG (Urteil vom 17.03.2016, 8 AZR 677/14) hat im Ergebnis die Auffassungen der Vorinstanzen bestätigt. Der Kläger, bis zu seinem Ausscheiden leitende Führungskraft eines Unternehmens der Automobilindustrie, ist mit der Geltendmachung von Schadensersatz und einer Entschädigung nach § 15 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AGG auch vor dem BAG gescheitert. Denn allein die Eröffnung der Möglichkeit für den Kläger, eine vorzeitige Altersgrenze gegen Zahlung eines Kapitalbetrags zu vereinbaren, stellt nach dem BAG keine Altersdiskriminierung des Klägers verglichen mit Personen dar, denen diese Möglichkeit nicht angeboten wird. Vielmehr habe der Kläger frei darüber entscheiden können, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wolle.
Einordnung der Entscheidung
Bislang liegt nur die Pressemitteilung zu der Entscheidung des Achten Senats vom 17.03.2016 vor. Die Meldung ist hinsichtlich der Ablehnung einer Altersdiskriminierung sicherlich wenig überraschend, da es ersichtlich an einer ungünstigeren Behandlung des Klägers (verglichen mit anderen Arbeitnehmern in einer vergleichbaren Situation) fehlt. Spannend bleibt es, zu sehen, inwieweit der Senat sich zu der Frage positioniert, ob die Rechtsfolge des § 7 KSchG für die Voraussetzungen eines Ersatzes materieller Schäden wegen Verletzung des Benachteiligungsverbots bei Befristungen greift. Die Pressemeldung geht hierauf nicht ein. Das LAG Baden-Württemberg vertrat in der Vorinstanz noch die Auffassung, die Geltendmachung des Bestandsschutzes habe Vorrang vor der Geltendmachung von materiellem Schadensersatz wegen einer Verletzung des Benachteiligungsverbots (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.06.2014, 15 Sa 46/13).
Worum ging es im Einzelnen?
Der am 21.10.1952 geborene Kläger war seit August 1985 bei der Beklagten beschäftigt. Der Arbeitsvertrag war bis zur Vollendung des 65. Lebensjahrs des Klägers befristet. Die gesetzliche Regelaltersgrenze würde der Kläger bei gewöhnlichem Verlauf mit 65 Jahren und sechs Monaten, also mit Ablauf des 30.04.2018, erreichen.
Der Kläger war zuletzt als Verkaufsleiter bei der Beklagten tätig und gehörte damit zum Kreis der leitenden Führungskräfte. Die Beklagte führte 2003 das Konzept „60+“ für leitende Führungskräfte ein, das eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf des Monats, in dem die Führungskraft das 60. Lebensjahr vollendet, gegen Zahlung eines Kapitalbetrags ermöglichte. Solange das Konzept „60+“ lief, bot die Beklagte allen leitenden Führungskräften die Teilnahme an dem Konzept an, so auch dem Kläger im Juli 2003. Der Kläger nahm das Vertragsänderungsangebot am 20.12.2005 an. 2012 wurde das Konzept „60+“ durch das Konzept „62+“ abgelöst. Ab November 2012 bot die Beklagte den leitenden Führungskräften, die 2012 das 57. Lebensjahr vollendeten, einen Änderungsvertrag über das Konzept „62+“ an. Der Kläger erhielt dieses Angebot nicht mehr.
Wie auf der Grundlage des Konzepts „60+“ vereinbart, schied der Kläger zum 31.10.2012 nach Ablauf des Monats, in dem er das 60. Lebensjahr erreicht hatte, gegen Zahlung eines Kapitalbetrags von 123.120,00 Euro aus. Er erhob keine Entfristungsklage. Am 28.12.2012 reichte der Kläger eine Klage auf Schadensersatz und eine Entschädigung nach § 15 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AGG ein, die der Beklagten am 15.01.2013 zugestellt wurde. Der Kläger begehrte die Feststellung, dass die Beklagte ihm gem. § 15 Abs. 1 AGG den aufgrund des vorzeitigen Ausscheidens vor dem 30.04.2018 entstandenen materiellen Schaden zu ersetzen hat, und verlangte die Zahlung einer Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG.
Einvernehmliche Frühverrentung als Benachteiligung?
Die Vorinstanzen (ArbG Stuttgart, Urteil vom 05.07.2013, 18 Ca 7/13; LAG Baden-Württemberg vom 24.06.2014, 15 Sa 46/13) haben die Klage abgewiesen. Auch die Revision des Klägers vor dem Achten Senat des BAG hatte keinen Erfolg. Wie die Vorinstanzen erkennt auch das BAG keine Altersdiskriminierung. Für eine unmittelbare Benachteiligung gem. § 3 Abs. 1 AGG fehle es schon an einer weniger günstigen Behandlung, die der Kläger im Vergleich zu einer anderen Person in einer vergleichbaren Situation erfahren haben müsste.
Die Beklagte habe dem Kläger die Teilnahme am Konzept „60+“ ebenso wie allen anderen leitenden Führungskräften des Unternehmens angeboten. Im Vergleich zu Mitarbeitern unterhalb der Ebene der Führungskräfte sei der Kläger nicht weniger günstig als diese behandelt worden. Vielmehr habe in der Option zur Teilnahme am Konzept „60+“ ein zusätzliches Angebot an den Kläger gelegen, über dessen Annahme er frei habe entscheiden können. Ebenso sei keine Benachteiligung darin zu sehen, dass dem Kläger die Teilnahme am Konzept „62+“ nicht angeboten worden sei. Denn der Kläger sei mit den leitenden Führungskräften, denen die Teilnahme am Konzept „62+“ angeboten wurde, nicht vergleichbar. Die Beklagte bot das Konzept „62+“ erst ab November 2012 leitenden Führungskräften an – zu diesem Zeitpunkt war der Kläger jedoch bereits aufgrund der Befristungsabrede vom 20.12.2005 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Entsprechend ging sein Begehren auch insoweit – zu Recht – ins Leere.