Das BAG hat mit Urteil vom 23. November 2017 entschieden, dass der Betriebserwerber nach einem Betriebsübergang von einem kirchlichen auf einen weltlichen Arbeitgeber weiterhin an eine in den Arbeitsverträgen enthaltene dynamische Bezugnahmeklausel auf eine kirchliche Arbeitsrechtsregelung gebunden ist.
Wird der Betrieb eines kirchlichen Arbeitgebers im Wege eines Betriebsübergangs von einem weltlichen Erwerber übernommen, tritt der Erwerber in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Teil der weiter geltenden Pflichten ist auch die arbeitsvertraglich vereinbarte Bindung an das in Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) geregelte kirchliche Arbeitsrecht. Wird im Arbeitsvertrag auf die AVR in der „jeweils geltenden Fassung“ verwiesen, verpflichtet diese dynamische Inbezugnahme den weltlichen Erwerber, Änderungen der AVR wie bspw. Entgelterhöhungen im Arbeitsverhältnis an den Arbeitnehmer weiterzugeben. Dies hat das BAG mit Urteil vom 23. November 2017 entschieden (Az.: 6 AZR 683/16 und 6 AZR 684/16). Bislang liegt allerdings nur eine Pressemitteilung des Gerichts vor.
Der Fall
Die Parteien stritten über die Frage, ob der Arbeitgeber die Entgelterhöhungen nach den AVR weitergeben musste. Die Kläger waren zunächst bei einem kirchlichen Arbeitgeber im Rettungsdienst beschäftigt. Der Arbeitgeber war dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland angeschlossen. In den Arbeitsverträgen war jeweils bestimmt, dass für das Dienstverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung gelten. Im Gegensatz zu einer statischen Bezugnahme erstreckte sich die Verweisung also auch auf zukünftige Änderungen der Arbeitsrechtsregelung und insbesondere auf Lohnerhöhungen. Die Arbeitsverhältnisse der Kläger gingen in der Folgezeit durch einen Betriebsübergang auf die Beklagte über, einen nicht kirchlichen Arbeitgeber. Der neue weltliche Arbeitgeber kann nicht Mitglied des Diakonischen Werks werden. Nach dem Betriebsübergang wurden die AVR durch eine Erhöhung des zu zahlenden Stundenentgelts geändert.
Die Kläger verlangten von der Beklagten wegen der Änderung der AVR ein erhöhtes Stundenentgelt. Die im Arbeitsvertrag enthaltene Inbezugnahme der AVR gelte auch für die Beklagte als Betriebserwerber. Die Beklagte meinte hingegen, sie sei an die Erhöhung der Entgelte in den AVR nicht gebunden. Sie falle nicht in den Geltungsbereich der AVR und gehöre nicht zum Kreis der Diakonie. Einer dynamischen Anwendung der AVR stehe auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) entgegen. Klauseln, die dynamisch auf nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelte oder abgeschlossene Kollektivverträge verweisen, seien gegenüber dem Erwerber nur anwendbar, wenn dieser die Gelegenheit gehabt habe, an den Verhandlungen über diese nach dem Übergang teilzunehmen.
Die Rechtsfrage
Damit stellte sich folgende Rechtsfrage: Welches Schicksal haben Bezugnahmeklauseln, wenn ein Betrieb durch einen anderen Arbeitgeber übernommen wird und dieser Erwerber kein Mitglied im Diakonischen Werk und damit selbst nicht an die in Bezug genommene Arbeitsrechtsrechtsregelung gebunden ist?
Die Entscheidung des BAG
Die Vorinstanzen hatten der Klage stattgegeben. Wie die Pressemitteilung des BAG vom 23. November 2017 zeigt, hatte die Revision der Beklagten vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die dynamische Geltung der AVR hänge nicht davon ab, dass der Arbeitgeber ein kirchlicher Arbeitgeber ist. Damit hat der Sechste Senat auch für das kirchliche Arbeitsrecht die Entscheidung des Vierten Senats vom 30. August 2017 (Az.: 4 AZR 95/14) nachvollzogen. Der Entscheidung steht nach Ansicht des Senats auch Unionsrecht nicht entgegen.
Kritikpunkte
Die Vereinbarkeit der Entscheidung des Sechsten Senats mit dem Unionsrecht ist zweifelhaft. Nach der Rechtsprechung des EuGH darf eine dynamische Bindung des Betriebserwerbers an die Bezugnahmeklausel nicht erfolgen, wenn der Betriebserwerber keine Möglichkeit hat, sich einseitig von der Bezugnahmeklausel zu lösen (EuGH, Urteil vom 27. April 2017, Rs. C-680/15 und Rs. C-681/15). Derartige Lösungsmechanismen hat der EuGH für das deutsche Recht in seiner Entscheidung vom 27. April 2017 schlicht unterstellt. Tatsächlich bestehen derartige Möglichkeiten nach deutschem Recht jedoch nicht. So setzt die Rechtsprechung des BAG zur betriebsbedingten, auf einen Tarifwechsel gerichteten Änderungskündigung voraus, dass der Tarifwechsel und die damit verbundene Personalkostenersparnis eine wirtschaftliche Existenzgefährdung des Betriebs abwenden können (BAG, Urteil vom 10. September 2009, Az.: 2 AZR 822/07; BAG, Urteil vom 26. Juni 2008, Az.: 2 AZR 139/07). Nur wenn betriebsbedingte Änderungskündigungen eine drohende Stilllegung des Betriebs oder eine deutliche Reduzierung der Belegschaft verhindern können, kann die mit dem Tarifwechsel verbundene Herabsetzung der Vergütung gerechtfertigt sein. Um die Rentabilität eines Betriebs zu erhöhen oder die Arbeitsbedingungen der bisherigen Arbeitnehmer und der aufgrund eines Betriebsübergangs neu hinzukommenden Arbeitnehmer zu harmonisieren, kann dieser Weg nach der Rechtsprechung des BAG jedoch nicht beschritten werden. Die einvernehmliche bzw. einseitige Änderung der Bezugnahmeklausel ist damit im deutschen Recht nichts anderes als eine theoretische Möglichkeit der Vertragsgestaltung. Sie genügt daher nicht den seitens des EuGH geforderten Möglichkeiten des Erwerbers, nach dem Betriebsübergang die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderlichen Anpassungen vorzunehmen.
Praxisfolgen
Die Praxis wird sich darauf einstellen müssen, dass das BAG aller Voraussicht nach auch bei kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen bei seiner bisherigen Rechtsprechung zu kleinen dynamischen Bezugnahmeklauseln bleiben wird. Auch weltliche Erwerber sind (jedenfalls bei nach dem 1. Januar 2002 vereinbarten Klauseln) an die Dynamik gebunden und müssen die nach dem Betriebsübergang vereinbarten Erhöhungen nach den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen weitergeben. Abzuwarten bleibt, welchen Spielraum die Entscheidungsgründe eröffnen und ob die Instanzgerichte den verbleibenden Spielraum nutzen und mittels weiterer Vorabentscheidungsgesuche die unionsrechtlichen Anforderungen an die (einseitigen) Anpassungsmöglichkeiten näher durch den EuGH konkretisieren lassen werden.
Zum Urteil des EuGH vom vom 27. April 2017 (Rs. C-680/15 und Rs. C-681/15) siehe auch unseren Beitrag “Die Revolution fällt aus – Urteil des EuGH zu dynamischen Bezugnahmeklauseln”.