Die Kirche zählt zu den größten Arbeitgebern Deutschlands. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Fälle zu den Sonderrechten der Kirche als Arbeitgeber regelmäßig die Gerichte beschäftigen. In diesem Jahr beschäftigte sich der EuGH zum wiederholten Mal mit dem Selbstbestimmungsrecht der Kirche. Mit Blog-Beitrag vom 17. April 2018 hatten wir bereits über den Fall der konfessionslosen Bewerberin berichtet. Am 11. September 2018 beschäftigte sich der EuGH mit dem seit fast zehn Jahren laufenden Verfahren der Kündigung eines wiederverheirateten Chefarztes. Auch die aktuelle Tagespresse berichtet über einen weiteren Fall zur Sonderrolle der Kirche als Arbeitgeber. Danach habe ein Referendar nach Offenlegung seiner Heiratspläne mit seinem Lebensgefährten keine Festanstellung an einem katholischen Privatgymnasium erhalten. Die vorgenannten Fälle sind Grund genug, die aktuellen Entwicklungen zusammenzufassen.
Verfassungsrechtlich garantiertes Selbstbestimmungsrecht
Nach Art. 140 GG sind die Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung (WRV) über die Rechte der Kirchen Bestandteil des Grundgesetzes. Art. 137 Abs. 3 Satz WRV sieht vor, dass jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbständig ordnet und verwaltet. Die Kirche kann demnach ihre inneren Angelegenheiten – worunter auch ihre Arbeits- und Dienstverhältnisse fallen – selbständig regeln.
Bestätigung durch das BVerfG
Dieses verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht hatte das BVerfG zuletzt im Fall des wiederverheirateten Chefarztes bestätigt. Hier stellte das BVerfG fest, dass der kirchliche Arbeitgeber aufgrund des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts weitestgehend frei darin sei, Loyalitätsanforderungen an seine Beschäftigten zu stellen. Diese Anforderungen seien von den staatlichen Gerichten nur auf Plausibilität sowie darauf zu prüfen, ob ein Widerspruch zu grundlegenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen bestünde (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 – 2 BvR 661/12).
„Gegenwind“ durch den EuGH
Sowohl im Fall der konfessionslosen Bewerberin als auch im Fall des wiederverheirateten Chefarztes wurde der EuGH um Auslegung der Antidiskriminierungsrichtlinie (Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16)) ersucht. Nach der Richtlinie ist es grundsätzlich verboten, einen Arbeitnehmer wegen seiner Religion oder seiner Weltanschauung zu diskriminieren. Kirchen und andere Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, können aber dann eine mit der Religion oder Weltanschauung zusammenhängende Anforderung aufstellen, wenn die Religion oder Weltanschauung nach der Art der fraglichen Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt.
Im Fall der konfessionslosen Bewerberin stellte der EuGH fest, dass das Erfordernis, einer bestimmten Religion anzugehören, um bei der Kirche eine zu besetzende Stelle zu erhalten, Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein muss. Hierbei stehe es den staatlichen Gerichten aber nicht zu, über das der angeführten beruflichen Anforderung zugrunde liegende Ethos als solches zu befinden, sondern vielmehr festzustellen, ob die drei Kriterien „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ in Anbetracht dieses Ethos im Einzelfall erfüllt sind (EuGH, Urteil vom 17. April 2018 – Rechtssache C-414/16)).
Auch im Fall des wiederverheirateten Chefarztes entschied der EuGH, dass die Anforderungen, welche die Kirche an ihre Beschäftigten in Bezug auf ein loyales Verhalten im Sinne der Religion stellt, Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein muss. Bei dieser Kontrolle müsse das nationale Gericht sicherstellen, dass die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des fraglichen Ethos sei. Für die Tätigkeit eines Chefarztes sei nach Auffassung der EuGH-Richter die Akzeptanz des katholischen Eheverständnisses zwar keine wesentliche berufliche Anforderung. Die Kündigung des katholischen Chefarztes wegen erneuter Eheschließung könne daher eine verbotene Diskriminierung wegen der Religion darstellen. Es sei aber Aufgabe des nationalen Gerichts zu prüfen, ob in Anbetracht der Umstände die Kirche dargelegt habe, dass die Gefahr einer Beeinträchtigung ihres Ethos oder ihres Rechtes auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich ist (EuGH, Urteil vom 11. September 2018 – Rechtssache C-68/17)).
Reformierung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes
Inzwischen hat die katholische Kirche im Jahr 2015 ihre „Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse“ reformiert. Nunmehr genügt der kirchenrechtlich unzulässige Abschluss einer Ehe allein nicht für einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß, sondern vielmehr muss die Eheschließung nach den konkreten Umständen objektiv geeignet sein, ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen. Dasselbe gilt beim Eingehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft.
Es bleibt spannend
Es bleibt auch weiterhin spannend. Sowohl im Fall der konfessionslosen Bewerberin als auch im Fall des wiederverheirateten Chefarztes liegt der „Ball“ im Nachgang zur jeweiligen EuGH-Entscheidung wieder beim BAG. Der Termin für die mündliche Verhandlung im Fall der konfessionslosen Bewerberin ist im Sitzungskalender des BAG für den 25. Oktober 2018 terminiert (8 AZR 501/14).