Mehr als 100 Mitarbeiter der katholischen Kirche haben sich vergangene Woche unter dem Hashtag #OutInChurch als queer geoutet. Folgt jetzt eine Reform des Kirchenarbeitsrechts? Das bislang größte Coming Out in der Geschichte der katholischen Kirche dürfte die Debatte maßgeblich prägen. Die Kirche wird nicht länger ungehindert an ihren bisherigen Maßstäben festhalten können: Die eigene sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität dürfen keinen Kündigungsgrund darstellen. Dieser Beitrag greift Besonderheiten des Kirchenarbeitsrechts auf und gibt einen Ausblick.
Selbstbestimmungsrecht als Grundlage des Kirchenarbeitsrechts
Für die Kirche und ihre Institutionen, aber auch die eigenständigen karitativen und erzieherischen Einrichtungen und kirchlichen Verbände, die die Kirche bei ihren erzieherischen und sozialen Aufgaben unterstützen, gilt das allgemeine Arbeitsrecht nur, sofern sich nicht aus der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Kirchen etwas anderes ergibt. Grundlage bildet das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Gemäß § 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung, wonach jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbständig ordnet und verwaltet, ist nach Art. 140 GG Bestandteil des Grundgesetzes. Die Kirche kann demnach ihre Angelegenheiten, insbesondere was Arbeits- und Dienstverhältnisse anbelangt, autonom regeln.
Besonderheiten des Kirchenarbeitsrechts
Auf diesem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht basieren auch – insbesondere nach Ansicht des BVerfG – seit jeher alle Fragen der Personalauswahl. Von zentraler Bedeutung sind die im Kirchenarbeitsrecht verankerten Loyalitätspflichten, denen kirchliche Mitarbeiter nicht nur im Rahmen ihres Dienstverhältnisses, sondern auch im außerdienstlichen Bereich unterliegen. So können der Ehebruch von Mitarbeitern in Führungspositionen, eine Wiederheirat oder eben auch Homosexualität ein schwerwiegender Loyalitätsverstoß sein und eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Entwicklungen in der Rechtsprechung
Während das BVerfG in der Vergangenheit dem verfassungsrechtlich garantieren Selbstbestimmungsrecht einen besonderen Stellenwert bei der Prüfung von Loyalitätspflichten beimaß und den staatlichen Gerichten dadurch lediglich eine eingeschränkte Plausibilitätskontrolle ermöglichte, lassen die Entscheidungen des EuGH zum Arbeitnehmerschutz vor religiöser Diskriminierung dahingehend hoffen. Das zeigen Fälle wie die Entscheidung des EuGH im Fall Egenberger oder der fast zehn Jahre dauernde Streit um die Kündigung eines wiederverheirateten Chefarztes.
Ausblick
Das Kirchenarbeitsrecht wird sich weiterentwickeln müssen, auch wenn sich die deutsche Bischofskonferenz bis dato noch nicht zu Plänen, etwa in zeitlicher Hinsicht, äußerte. Doch die Entscheidungen der letzten Jahre zeigen bereits, dass die Besonderheiten des Kirchenarbeitsrechts, insbesondere im Hinblick auf die strengen Loyalitätspflichten, aufgeweicht werden. Diskriminierungen, vor allem wegen sexueller Orientierung, dürften auch vor dem Hintergrund, dass der EuGH die Tür zur Überprüfung diskriminierender Personalentscheidung aufgestoßen hat, häufiger und von staatlichen Gerichten strenger kontrolliert werden.
Eine Angleichung des kirchlichen an das allgemeine Arbeitsrecht ist zu erwarten – womöglich noch in diesem Jahr. Auf lange Sicht führt mit der aktuellen gesellschaftlichen Fokussierung auf Diversität, Gleichstellung und Inklusion wohl kein Weg daran vorbei, der Privatsphäre eines jeden kirchlichen Mitarbeiters einen höheren Stellenwert einzuräumen und Sonderrechte (vgl. etwa § 118 Abs. 2 BetrVG, § 9 AGG) aufzuheben.